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Arbeit begonnen. Nein, eigentlich hatte er noch gar nicht aufgehört, seitdem er am Abend zum Unfall von Staatsanwalt Gauernack gerufen worden war.

      Alle Todesursachen waren unterschiedlich schnell feststellbar. Sehr schnell ließen sich zum Beispiel eine CO-Vergiftung oder ein Tod unter Alkoholeinfluss nachweisen.

      Ebenso war die Todesursache von Jan Schnackenberg unzweifelhaft. In der Stirn des Bankers klaffte ein mächtiges Loch. Man erkannte deutlich eine klaffende sternförmige Eintrittswunde mit Schmauchspuren an den Wundrändern, die auf einen aufgesetzten Nahschuss hindeuteten.

      Durch die Druckwirkung des Projektils am Austritt aus dem Lauf zerplatzte die Haut des Mannes förmlich und riss sternförmig ein.

      Schnackenberg war hingerichtet worden. Es war nicht seine Aufgabe zu ermitteln, doch seine Erfahrung sagte ihm, dass es sich hier um eine persönlich motivierte Tat handelte.

      Eine Waffe abzufeuern, ohne dabei Spuren zu hinterlassen, war beinahe unmöglich. Projektil und Hülse, sofern der Täter sie nicht aufgesammelt hat, lassen Rückschlüsse auf die Waffe zu. Wer geschossen hat oder zumindest in der Nähe gewesen ist, beweisen die Schmauchspuren. Dabei handelt es sich um die Verbrennungsrückstände der Treibladung und des Anzündsatzes der Patronen.

      Mit dem Diktiergerät in der Hand, auf das er seine Obduktionsergebnisse sprach, wischte sich Dr. Plasshöhler den Schweiß von der Stirn. Er biss sich auf die Lippe. Draußen lachte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel, doch im Sektionssaal der Gerichtsmedizin in der Stiftsstraße herrsche eine angenehme Kühle. Das Thermometer zeigte die übliche Temperatur an.

      Er fuhr zusammen, als die Türe hinter seinen beiden Kollegen zufiel. Sie würden einen Kaffee trinken gehen. Dabei war er es, der diese Nacht kein Auge zugetan hatte. Doch gutmütig wie er war, hatte er ihrem Wunsch entsprochen.

      Er blickte in den geöffneten Brustkorb des Toten, schaltete das Diktiergerät ein. „Abschluss Obduktion Jan Schnackenberg. Todesursache aufgesetzter Schuss, Stanzmarke durch aufgerissene Wundränder stark zerfasert. Das Projektil durchschlug den os frontale, die Austrittswunde befindet sich in einem leicht geneigten Winkel am os occipitale. Das Projektil befindet sich in der KTU. “

      Seine Stimme war an diesem Morgen nicht so präzis und scharf intoniert wie sonst. Mit einem Klick schaltete der Mediziner das Gerät wieder aus.

      Er nahm die grüne OP-Mütze vom Kopf. Dr. Plasshöhler war sonst nicht so leicht zu beeindrucken. Es war auch nicht der Tote, dessen Obduktion er soeben beendet hatte. Vielmehr war es die Tatsache, dass in einer der Kühlkammern die Leiche von Staatsanwalt Gauernack lagerte.

      Noch vor ein paar Tagen hatte er sich mit Dr. Beisiegel unterhalten und dabei die Furcht geäußert, einmal jemanden auf dem Tisch liegen zu haben, den man kannte. Die Ärztin teilte seine Furcht. Stephanie Beisiegel hatte allerdings Glück. Sie war auf dem Seminar. So hatte er die Aufgabe, als ihr Stellvertreter, übernehmen müssen. Das Leben hielt doch die besten Drehbücher bereit.

      Er streifte sich die Handschuhe von den Fingern und verließ den Saal. Der Sektionsgehilfe würde den armen Schnackenberg wieder zunähen. Die Arbeit war getan.

      *

      Vor dem Büro, das keine vierundzwanzig Stunden vorher noch von Staatsanwalt Gauernack besetzt war, herrschte ein hektisches Treiben. Nachdem Wendt sich bei Hell gemeldet hatte und ihm die Ereignisse der letzten Minuten schilderte, ordnete Brigitta Hansen eine sofortige Sichtung und Sicherung der Akten in Gauernacks Büro an.

      Unter den Argusaugen von Überthür durchsuchte Julian Kirsch den Computer von Gauernack. Die Akten, die Gauernack bisher noch nicht ausgepackt hatte, blieben in den Umzugskisten. Die KTU würde sie direkt zur Überprüfung mitnehmen. Die bereits ausgepackten Akten, die der Staatsanwalt schon benutzt hatte, verdienten eine besondere Aufmerksamkeit. Es waren nicht viele. Die Regale hinter seinem Schreibtisch waren nur spärlich genutzt. Das sah dem so ordentlichen Staatsanwalt überhaupt nicht ähnlich.

      Viele alte Akten waren auch direkt ins Archiv gewandert. Ein solcher Umzug war ein guter Grund mal richtig auszumisten.

      Was er noch nicht für wichtig erachtet hatte und in den Kisten verblieben war, konnte auch nicht für ihn am Vorabend wichtig gewesen sein.

      Kirsch überprüfte seine Emails, durchforstete den Outlook-Kalender. Hinter ihm stand Überthür und ließ keinen Blick von dem Bildschirm.

      Hell vergewisserte sich drei Mal bei Wendt, ob es ihm auch gut ginge. Er solle doch besser ins Krankenhaus fahren, um sich einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Wendt lehnte das ab. Er trug einen Turban aus weißem Verbandsmaterial. Bei der Hitze begann er fast sofort darunter zu schwitzen, nachdem der Sanitäter ihm den Verband angelegt hatte.

      Jetzt war Wendt mit Christina Gericke auf dem Weg ins Präsidium. Sie hatte ihm bereits bestätigt, dass sie es war, die Ihren Bruder aus dem Krankenhaus abgeholt hatte. Danach hatte sie ihn nach Hause gefahren. Dort wollte sie ihn auch besuchen, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Da sie ihn aber nicht antraf, fuhr sie zu ihm in die Werkstatt. Dort fand sie Wendt, der ohnmächtig vor dem brennenden Mazda lag. Von ihrem Bruder fehlte jede Spur.

      Er reagierte nicht auf ihre Anrufe, die junge Frau war besorgt. „Er geht nicht an sein Handy. Das sieht meinen Bruder gar nicht ähnlich“, sagte sie.

      Wendt vermied es bisher, ihr davon zu erzählen, dass ihr Bruder Verdächtiger in einem ungeklärten Todesfall war. Sein Bild war schon an sämtliche Dienststellen geschickt worden, die Bahnhöfe und die Flughäfen in Frankfurt, Köln und Düsseldorf wurden informiert.

      Wendt fuhr gerade über die A 562 und ordnete sich rechts ein.

      „Hat ihr Bruder Ihnen etwas über den Unfall erzählt? Wie es dazu kam? Wo er herkam und wohin er wollte?“ Er warf einen kurzen Blick auf den Beifahrersitz, versuchte ihren Blick zu fangen. Doch sie versteckte sich hinter ihren blonden Locken. So gut es ging, denn der Fahrtwind versuchte, Unordnung anzurichten.

      „Nein, er sagte nur, dass alles total schnell gegangen sei.“

      „Er ist ungebremst in einer Kurve in den Gegenverkehr gefahren. Ist ihr Bruder ein sicherer Fahrer?“

      Sie strich sich die Haare zurück. Erlaubte Wendt einen Blick in ihr Gesicht zu werfen.

      „Mein Bruder ist ein guter Autofahrer“, sagte sie trotzig und blickte aus dem Seitenfenster. Der Wind hob eine blonde Strähne an und wirbelte sie hoch.

      Bis sie auf dem Parkplatz vor dem neuen Präsidium ankamen, fiel kein Wort mehr.

      Wendt glaubte ihr. Und wenn sie mit ihrem Bruder gemeinsame Sache machen würde? Der Zweifel, jemanden zu schnell als unschuldig zu stempeln, stand bei Wendt auf verlorenem Posten. Wieso hatte sie ihn dann vor den Flammen gerettet? Aus Kalkül?

      Nein, da war er sicher. Zu so einer Perfidie war dieses hübsche Geschöpf nicht imstande. Daher behandelte er sie auch nicht wie die Schwester eines Verdächtigen. Sie durfte nicht der Gegenstand seines ersten Verhöres im neuen Verhörraum sein, nein, im Gegenteil. Wendt führte sie wie eine Art Trophäe in den Raum, den er sich zusammen mit Klauk und Rosin teilte.

      „Darf ich euch meine Lebensretterin vorstellen“, sagte er, als er die Glastür zum Flur geschlossen hatte. Klauk und Rosin waren überrascht. Noch bevor die junge Frau auf sie zukam, hatte sie bereits intensiv die Fotos und Notizen auf den Glastafeln hinter den Beamten betrachtet.

      Mit einem schüchternen Blick schüttelte Christina Gericke die Hände von Klauk und Rosin.

      „Ich freue mich, dass sie zur Stelle gewesen sind, Frau Gericke“, sagte Lea Rosin und drückte der Frau mit ihrem festen Händedruck die Hand.

      In dem Moment kam auch Hell aus dem Büro. „Dem kann ich mich nur anschließen, Frau Gericke. Vielen Dank. Ich darf Sie aber jetzt bitten, mit dem Kollegen Klauk in den Verhörraum zu gehen. Ich muss mit meinen Kollegen ein kurzes Briefing abhalten, dass nicht für die Ohren außenstehender bestimmt ist. Vielen Dank für ihr beherztes Eingreifen.“

      „Verhörraum? Bin ich eine Verdächtige?“, fragte

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