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zu werden. Effrosyni Zacharopoulou gibt jedoch zu bedenken, dass dieser eher positive Blick auf den Einfluss von Mauritius und anderen Schwarzen Menschen an den europäischen Höfen nicht eine andere Realität verschleiern sollte: Dass einzelne Gelehrte und angesehene Gäste die Macht der christlichen Kirche akzeptierten und erkannten, änderte nichts daran, dass das christliche Äthiopien, nur weil es sich dem Einfluss Roms entzog, durch den Papst und die Kardinäle mit dem Verdikt der Häresie belegt wurde. Das christliche Nubien gelangte 1323 schließlich unter die Herrschaft eines von den Mamluken unterstützten muslimischen Königs.35

      In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts tauchten Darstellungen von Mauritius dem Afrikaner im von Kaiser Otto I. beherrschten Norden auf. Der Kaiser, auch bekannt als Otto der Große, besiegte 955 die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld und begann eine Bekehrungskampagne, die später mit der Gründung des Erzbistums von Magdeburg eine entscheidende Wende nahm. Durch das Aufstellen einer Statue des heiligen Mauritius im 13. Jahrhundert unterstrich der Magdeburger Dom seinen Stellenwert als Knotenpunkt und spirituelles Zentrum für die Expansion und Zelebrierung des christlichen Glaubens sowie als ein machtvolles Symbol für den Status der römischen Kirche. Der heilige Mauritius, mittlerweile ein Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches, stand für das, was noch kommen würde. Abgesehen von solchen religiösen und politischen Erwägungen sollte Magdeburg auch zu einem Mittelpunkt für Landwirtschaft und Handel werden. Die Figur des Mauritius im Kettenhemd mit einer Reproduktion der Heiligen Lanze in der Hand, einem Emblem der Reichsinsignien, sollte die von den europäischen Rittern des Mittelalters verkörperten Traditionen beschützen. Seine afrikanischen Züge stellten für Zeitgenoss*innen kein Problem dar, da er Ausdruck der grenzüberschreitenden gemeinsamen Werte war, die durch das starke Römische Reich verkörpert wurden. Der Schutzheilige war so beliebt, dass der Name Mauritius auch unter den herrschenden Eliten in Mode kam und Erstgeborene häufig nach ihm benannt wurden. Auch Stadtzentren und verschiedene andere Orte nahmen den Namen Mauritius an.36

      In allen Darstellungen wird Mauritius als Afrikaner gezeigt, und seine Züge wurden bewahrt. Stefan Lochners Altarbild Dreikönigsaltar (ca. 1440, Köln), Rogier van der Weydens Bladelin-Altar (1452–55) und später Albrecht Dürers Anbetung der Könige (1504) bringen die Geschichte der Heiligen Drei Könige mit der Figur des heiligen Mauritius zusammen. Auf jedem dieser Gemälde ist einer der drei Könige ein Berber, ein Maure oder ein Schwarzer Afrikaner. Die Anbetung der Könige und jene von Mauritius verbinden sich in Lochners Gemälde, auf dem ein Afrikaner zu sehen ist, der eine »Mauritius-Flagge«37 hält. Balthasar erscheint auf mehreren Gemälden im 16. Jahrhundert als Schwarzer König, darunter in den Werken von Bartholomäus Bruyn dem Älteren und anderen Meistern, während der heilige Mauritius in Matthias Grünewalds Erasmus-Mauritius-Tafel (ca. 1520–25) erneut auftaucht. Die Verehrung sowohl Mauritius’ als auch der Heiligen Drei Könige hielt an und führte zu zahlreichen lokalen Darstellungen dieser Figuren in deutschen Regionen. Später schritt Magdeburg erneut voran, als die Stadt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf Weisung Kardinal Albrechts von Brandenburg eine Büste von Fidis, der imaginären Schwester des heiligen Mauritius, anfertigen ließ.

      Diese Darstellungen von Herkunft, äußerer Erscheinung und Hautfarbe in den mittelalterlichen und frühmodernen Künsten könnten als Hinweis auf eine Akzeptanz des Anderen interpretiert werden. Parallel zu solchen Darstellungen schien die Gleichsetzung von »schwarz« mit »böse« eher mit moralischen Vorstellungen zusammenzuhängen als mit Schwarzen Afrikanern. Allerdings verschob sich die Wahrnehmung in der nun anbrechenden Ära. Wissenschaftler*innen haben argumentiert, die im 19. Jahrhundert definierte Vorstellung von race sei bereits im Mittelalter hervorgebracht worden. David Theo Goldberg behauptete, am Ende des Mittelalters sei

      race eher im Entstehen begriffen [gewesen], ohne bereits voll ausgebildet zu sein, und wurde in den Anfängen der nationalen Entwicklung vermehrt zur Flankierung der Nationenbildung heraufbeschworen. Damals bildete sich ein rassifizierendes Bewusstsein aus einer Mischung – die von diesem später wohl übernommen, wenn nicht gar ersetzt wurde – aus öffentlicher religiöser Verfassung, der Symbolik und Beschaffenheitsvorstellung des Blutes, den naturalisierenden Traditionen – der Metaphysik – von hierarchischen Ketten des Seins und den ontologischen Ordnungen in Bezug auf eine angeblich vererbbare Vernunft.38

      Andere Forscher*innen haben bemerkt, dass auch eine Stadt wie Nürnberg, die im 15. und 16. Jahrhundert eine lebendige Entwicklung auf dem Gebiet der Technik, der Mathematik und der Navigation erlebte, paradoxerweise von einer relativ konservativen religiösen Interpretation der Geschichte und der Herangehensweise an sie beherrscht wurde. Man ging davon aus, die Weltbevölkerung sei in mehrere Hauptteile aufgespalten, die ihre Existenz der Abstammungslinie Noahs verdankten. So glaubten beispielsweise viele, Noahs Sohn Ham, der den nackten Körper seines Vaters sah und daraufhin mit einem Fluch belegt wurde, sei der Vorvater aller Nordafrikaner. Allerdings verband man seine Hautfarbe nicht mit einer Vorstellung von Unterlegenheit. Dürers Porträt eines Afrikaners (1508) und Porträt der Afrikanerin Katherina (1521) sind deswegen künstlerische Leistungen, weil der Zeichner in der Lage war, die Nuancen der Gesichtsausdrücke von Afrikanern festzuhalten, die sich zuvor oftmals nur durch die Färbung ihrer Gesichtszüge unterschieden. Der Zusammenhang, der zwischen »böse« und »schwarz« hergestellt wurde, war zwar offensichtlich, aber böse Charaktere wurden im 16. Jahrhundert nicht notwendigerweise mit afrikanischen Gesichtszügen dargestellt.

      Dennoch regulierte das mittelalterliche Europa die Leben jener, die es als »anders« und als eine Gefahr für die Mehrheitsgesellschaft ansah, wie nicht zuletzt die gut dokumentierte Verfolgung der jüdischen Gemeinden im Mittelalter demonstriert. In England wurde beispielsweise eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die die jüdische Gemeinde sichtbarer machen sollten. 1215 verlangte die englische Kirche, dass Juden und Muslime Kleidung trugen, die sie von Christen unterschied. Ab 1218 mussten Juden ein Abzeichen tragen. 1222 wurde dann eine überarbeitete Version jenes Abzeichens verpflichtend, das die englische Obrigkeit geschaffen hatte, und 1290 waren sie schließlich gezwungen, England zu verlassen. Man lastete der jüdischen Gemeinde Ritualmorde an christlichen Kindern an, wobei sich Hinweise auf jene Rituale in fiktiven Geschichten fanden, die häufig mit der Realität vermischt wurden und verheerende Auswirkungen für Juden hatten. Beispielsweise wurden 1255 nach dem tödlichen Unfall eines kleinen Jungen 91 Juden gefangen genommen und einer von ihnen auf Befehl von König Heinrich III. hingerichtet. Auch wurde die jüdische Gemeinde durch die Vorstellung physischer Attribute verändert, wie dargestellt in den King’s Remembrancer Memoranda Rolls.39 Die offiziellen Schriftrollen präsentierten die Juden als eine erkennbare Gemeinschaft, die anhand von »jüdischen Gesichtern«, die stark an Karikaturen erinnerten, identifiziert werden könne.

      Geraldine Heng betont, dass die Frage der race grundlegend für die Herausbildung einer europäischen Identität war. Sie stellt fest, dass das kulturelle Schaffen in der mittelalterlichen Periode mit dieser Herausbildung im Einklang stand. Zum Beispiel zeigten mappae mundi aus dem 13. Jahrhundert, wie etwa die Hereford-Karte, nicht nur Orte, sondern auch Gegenstände, Tiere und Menschen. Ihre Darstellungen von Europa sind charakterisiert durch städtische Zentren, Kathedralen und Beispiele von Stadtplanung, während diese im Rest der Welt auffällig fehlen. Asien und Afrika sind dagegen bevölkert von Ungeheuern, Menschen mit sichtbaren Gebrechen und Kreaturen, die teils Tier, teils Mensch sind, sowie von »Troglodyten, Kynokephalen, Skiapoden« und anderen Bevölkerungen, die für Europäer als abscheulich galten.40 Die Europäer wurden jedoch auch keineswegs als eine homogene Gruppe angesehen, die die Vorzüge eines höheren Intellekts genoss. Irland und seine Bewohner*innen stellte man als eine niedere race dar, die eine starke Hand benötige, um sich zu bessern. Heng weist darauf hin, dass in der Prämoderne und der Moderne verschiedene Ausgestaltungen von race und auf race basierenden Hierarchien existierten. Das mittelalterliche England hatte spezifische Ansichten über seine Nachbarn.

      Karikiert als ein primitives Land – ein unentwickelter Globaler Süden westlich von England –, wurde Irland dementsprechend positioniert als ein Projekt, das evolutionärer Verbesserung und Anleitung bedurfte, um die ›wilden Iren‹ zu zwingen, […] eines Tages aus ihrem barbarischen Kokon herauszutreten in einen Zustand aufgeklärter Zivilisation.41

      Die

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