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Bedeutung tragen.

      Der Begriff »Afroeuropäer« ist daher eine Provokation für all jene, die leugnen, dass ein Mensch mehrere Identitäten und sogar Staatsbürgerschaften haben kann, sowie für jene, die behaupten, »farbenblind« zu sein. Er ist auch eine herausfordernde Einladung, neu zu denken, wie wir europäische und afrikanische Geschichten nutzen und lesen und wie wir Begriffe wie Staatsbürgerschaft, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Brüderlichkeit definieren, die die Grundlage der heutigen gesellschaftlichen Werte in Europa bilden. Außerdem hinterfragt er die Verwendung solcher Begriffe als Werkzeuge zur Ausgrenzung verschiedener Gruppen. In Europa lebende Afroeuropäer*innen stehen am Scheidepunkt verschiedener sich kreuzender Identitäten. Ebenso angemessen wäre es gewesen, den Begriff »Euroafrikaner*innen« zu verwenden, um auf Menschen afrikanischer Abstammung zu verweisen, die in Europa geboren wurden, aber die meisten von ihnen werden von anderen oder auch von sich selbst als Erstes über ihre Verbindung mit dem afrikanischen Kontinent definiert. Diese Verknüpfung und Identifikation wird in den folgenden Kapiteln näher untersucht. Dieses Buch hat sich zum Ziel gesetzt, über die Zeit und den Raum gespannte Verbindungen zu verstehen, hartnäckige Mythen zu widerlegen und das Leben von Afroeuropäer*innen wiederzuerwecken und zu feiern.

      Kapitel eins stellt Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart her, indem es die Geschichte der Begegnungen zwischen Römern und Meroiten, Ägyptern und Äthiopiern in den mediterranen Regionen untersucht. Damit wird ein Licht auf die Vorstellungen des Christentums über arabisch-muslimische Welten und die in den religiösen und ethnischen Identitätskonstruktionen zum Tragen kommenden Dynamiken zwischen dem Jahr 20 vor unserer Zeitrechnung und dem 17. Jahrhundert geworfen. Diese Dynamiken erlaubten es Afroeuropäern wie dem heiligen Mauritius, der Königin von Saba, Kaiser Septimius Severus und anderen, weniger bekannten Individuen, in unterschiedlichen Welten zu existieren.

      In Kapitel zwei reisen wir weiter in der Zeit entlang der Mittelmeerküste und entdecken, dass das südliche Europa im 16. Jahrhundert eine beträchtliche Schwarze Bevölkerung aufzuweisen hatte. Einige von ihnen, wie der erste Herzog von Florenz, Alessandro de’ Medici, kamen zu Ruhm, während andere ihr Dasein in Unterwerfung fristeten. Auch wenn einzelne Individuen in Freiheit lebten, war die große Mehrheit versklavt und arbeitete in den ländlichen Gegenden von Italien oder Spanien oder als Hausdiener in wohlhabenden Haushalten. Indem wir anhand des Lebens von Juan Latino und anderen, oftmals namenlosen versklavten Männern und Frauen analysieren, wie verschiedene Gruppen im Europa der Renaissance miteinander interagierten, lässt sich zeigen, wie Konzepte wie Rassismus und Rassialismus konstruiert wurden.

      Kapitel drei untersucht das Leben von Afroeuropäern in West- und Mitteleuropa. Europa florierte im 16. und 17. Jahrhundert durch den Handel, und die Beteiligung Westeuropas am transatlantischen Sklavenhandel und an der Plantagensklaverei prägte die Beziehungen zwischen Afrika, Europa und Amerika. Bis zum 18. Jahrhundert hatte der europäische Wettbewerb um Waren und Sklavenmärkte die Beziehung zwischen Europa und Afrika transformiert, wie das Leben des afroniederländischen Geistlichen Jacobus Capitein beispielhaft verdeutlicht. Das 18. Jahrhundert war eine Zeit, in der die Schwarze Präsenz streng kontrolliert und eine wissenschaftliche Klassifizierung verschiedener Spezies herangezogen wurde, um eine rassifizierte Hierarchie zu begründen. Darüber hinaus war es die Ära, in der Schlüsselfiguren wie Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges, auftraten und solche Klassifizierungen infrage stellten.

      In Kapitel vier richten wir unsere Aufmerksamkeit auf jene, die in Afrika mit afrikanischem und europäischem Elternteil geboren wurden, und auf die Rolle Schwarzer Frauen bei der Herausbildung von Identitäten. Dieses Kapitel behandelt Geschlechterrollen und Handelsinteressen in afrikanischen Küstenstädten. Es untersucht, wie verschiedene europäische Händler sich niederließen, ein Vermögen anhäuften und Kinder von doppelter, afroeuropäischer Abstammung hinterließen. Außerdem analysiert es das Verwischen rassifizierter Hierarchien und Grenzen an Orten, an denen eine europäische Abstammung große ökonomische und gesellschaftliche Vorteile bot, exemplarisch dargestellt am Leben der Signaren in Gorée und Saint Louis in Senegal und der Ga-Frauen in Ghana. Zusätzlich erkundet das Kapitel die Vermächtnisse dieser Geschichten in der heutigen dänischen Gesellschaft.

      Kapitel fünf widmet sich den Territorien Brandenburgs als Beispiel für eine historische Amnesie und betrachtet die Prozesse, die zum Erinnern und dann Vergessen der Vergangenheit dieser Region führten und die Deutschland damit gestatteten, sich selbst als »unbefleckt« vom Sklavenhandel darzustellen. Die deutsche Kolonisation Afrikas und insbesondere Kameruns ist allerdings gut dokumentiert, und diese Aufzeichnungen geben uns die Möglichkeit, die Geschichten von Afroeuropäern wie Manga Bell auszuwerten. Afroeuropäische Geschichten sind transkontinental, und es ist wichtig zu sehen, wie sie mit den Geschichten von bedeutenden afroamerikanischen und in der Karibik, in Senegal oder Deutschland geborenen Individuen verwoben sind.

      Kapitel sechs befasst sich mit den Wegen von Afroeuropäer*innen im 20. und 21. Jahrhundert und vergleicht die Erfahrungen von Afroitaliener*innen und Afroschwed*innen, insbesondere in Bezug auf die Frage der Staatsbürgerschaft. Das Kapitel setzt seine Erkundung afroeuropäischer Geschichten fort, indem es bekannte Persönlichkeiten wie Abraham Petrowitsch Hannibal und Alexander Puschkin in Russland betrachtet und darlegt, dass Verbindungen zu Afrika keinen positiven gesellschaftlichen Blick auf die Fragen von race und interethnischem Zusammenwirken mit sich bringen mussten. Das Kapitel endet mit einem Beispiel für Widerstand und Resilienz von Afroeuropäer*innen im 20. und 21. Jahrhundert: dem afroniederländischen Wissenschafts- und Graswurzelaktivismus.

      Kapitel sieben reflektiert, wie Identitäten und Identitätsmarker im heutigen Europa funktionieren. Das Kapitel führt verschiedene Konzepte zusammen, wie etwa race, Rassismus, Rassialismus, Staatsbürgerschaft, Schwarze radikale Befreiung und Aktivismus. Es betrachtet, inwiefern Gender und insbesondere der Afrofeminismus eine wichtige Rolle bei der Herausbildung afroeuropäischer Identitäten spielen. Außerdem beleuchtet es, wie organisierte Räume geschaffen werden, um zu heilen und Strategien für den Kampf gegen soziale Ungleichheiten zu entwerfen. Dieses Kapitel wirft ein Licht auf die Diskrepanzen innerhalb der Europäischen Union im Umgang mit Diskriminierung, dargestellt am Beispiel von Polizeikontrollen in Spanien oder den Erfahrungen von Afrogriech*innen. Daraufhin würdigt es die umfassende Arbeit, die in Großbritannien zum Thema Afroeuropäer*innen geleistet wurde, und die verschiedenen Wege Schwarzer Briten*innen im 21. Jahrhundert, gegen rassistische Diskriminierung, Ungleichheit und Marginalisierung anzukämpfen. Das Kapitel endet mit der Betrachtung von Gemeinsamkeiten in den Geschichten von Afroeuropäer*innen und zeigt, auf welch unterschiedliche Weise diese in transnationale, europäische, afrikanische und amerikanische Geschichten eingebettet sind.

      Während sie Erzählungen von Begegnungen, Erfahrungen und Identitätsbildung aus der Vergangenheit aufdecken, berichten diese Episoden uns auch von den kreativen und rasch hervorgebrachten Antworten der verschiedenen Communitys auf negative Auffassungen gegenüber Menschen afrikanischer Abstammung im Globalen Norden des 21. Jahrhunderts. Heute bauen Afroeuropäer*innen unentwegt transnationale und transkontinentale Allianzen auf, die auf kraftvolle Weise inklusiv sind. Afroeuropäer*innen der Generation Z brennen darauf, die ermächtigenden Geschichten ihrer Vorfahr*innen wiederzubeleben. Sie suchen aktiv nach diesem Wissensschatz, indem sie in virtuellen Lernräumen, Onlinedebatten, Social Media und so weiter aktiv sind. Darüber hinaus erzeugen sie neue Narrative der Resilienz und stürzen sich in einen Aktivismus, der zum Handeln drängt gegen den Klimawandel, für die Gleichstellung der Geschlechter und LGBTQ-Rechte sowie für den Abbau von Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung.

      Diese Energie und aktive Beteiligung am Kampf für soziale Gerechtigkeit erreichten mit der überwältigenden weltweiten Reaktion auf die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd im Mai 2020 einen neuen Höhepunkt. Die von Black Lives Matter angeführten Massendemonstrationen und die darauffolgenden Debatten über Rassismus haben sowohl die Notwendigkeit, das Wissen über die Geschichten von Menschen afrikanischer Abstammung auszuweiten, als auch die Dringlichkeit betont, mit der wir den Unterricht über Kolonialgeschichte im Globalen Norden überarbeiten müssen.

      Afrikanische Europäer versteht sich als eine Antwort auf diese Bedürfnisse. Es möchte zahlreiche Geschichten als Ausgangspunkte liefern, um mehr über die Vergangenheit zu erfahren und rassistische Unterdrückung

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