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Glauben schenken darf, die ihre Schilderungen als einzigartige Darstellungen spezifischer regionaler, nationaler oder globaler Aspekte von Geschichte präsentieren.

      Die Vorstellung von Einzigartigkeit spielt auch eine wichtige Rolle in Untersuchungen von race, Rassismus und race-Beziehungen. Laut Dienke Hondius stellt der Exzeptionalismus das letzte von fünf Mustern dar, die die europäische Geschichte von race und race-Beziehungen prägten. Ihr zufolge entwickelte sich Europa von »Infantilisierung, Exotismus, Bestialisierung, Distanzierung und Ausgrenzung zu Exzeptionalismus«.10 Indem die Infantilisierung postulierte, Afrikaner und Asiaten seien im Grunde Kinder, brachte sie die stark diskutierte Vorstellung des »Paternalismus« hervor, der zufolge Afrikaner betreut oder gar vor sich selbst und ihresgleichen beschützt werden müssten – und die etwa in Rechtfertigungen der Sklaverei im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts Anwendung findet.11 Exotismus wiederum stand im Zusammenhang mit der europäischen Faszination für Unterschiede und für Schwarze und Braune Körper, Gedanken und Kulturen. Ebenso wichtig war in der Geschichte der europäischen Hierarchisierung außereuropäischer Gesellschaften die Vorstellung von Bestialität, die im Zusammenspiel mit den beiden vorherigen angeblichen Eigenschaften wirkte. Sowohl die Anziehungskraft des als exotisch wahrgenommenen Körpers als auch die Angst, die er auslöste, waren mit dieser Idee von Rohheit verwoben. Afrikaner wurden gleichgesetzt mit wilden Tieren, ungezähmt und gewalttätig. Assoziiert mit dem Bösen, müssten Afrikaner »domestiziert« werden, damit die Europäer, die mit ihnen in Kontakt kämen, sich sicher fühlen und auch sicher sein könnten. Undomestiziert gelte es, sie auf sicherer Distanz zu halten, möglichst fern von Europa.

      In diesem Kontext muss der Exzeptionalismus gemeinsam mit anderen Aspekten betrachtet werden, wie etwa mit der Beziehung zwischen Afrikaner*innen und Europäer*innen und mit dem Afrikaner*innen aufgezwungenen europäischen Blick. Der Exzeptionalismus wirft mehrere Fragen dazu auf, wessen Ansichten den Entwicklungsverlauf einer Gruppe prägten und wessen Position zu race und Rassismus den gesellschaftlichen Status bestimmter Afroeuropäer*innen festlegte. Mit einem Verweis auf den afroamerikanischen Schriftsteller Richard Wright stellt Hondius fest: »Rassismus ist hauptsächlich ein weißes Problem, da Weiße die Bedingungen schufen, durch die der Diskurs über race erst aufkam und weiter fortbesteht«.12

      Das Leben bestimmter Bevölkerungsgruppen in einem sorgfältig verpackten und wiedererkennbaren Wort wie »Empire« zusammenzufassen oder die eigene Fallstudie auf das Leben eines Individuums zu stützen, hilft uns zu verstehen, dass Exzeptionalismus so spezifische wie komplexe Kontexte umfasst. Das Erkennen dieser Kontexte ermöglicht in den historischen Darstellungen eine umfassende Analyse all der Scheidewege und Unterbrechungen und schafft außerdem Platz für die Untersuchung lokaler und internationaler Entwicklungen. Exzeptionalismus ermöglicht eine ausführliche Auswertung der Spannungen zwischen dem Vergessenen, das am Rande des Diskurses lauert (jene verdrängten oder unerzählten Geschichten), und der Art der Präsentation und Vermittlung von Geschichte aus unterschiedlichen gesellschaftlichen, kulturellen und selbstverständlich politischen Gründen.

      Ausnahmegeschichten erfüllen einen Zweck in der Konstruktion von Identitäten. Im Fall der in diesem Band vorgestellten Geschichten von Afroeuropäer*innen sind sie die Ausnahme, weil sie dem Vergessen getrotzt haben und in europäische Berichte aufgenommen wurden. Allerdings existierten viele dieser Geschichten bereits außerhalb der europäischen Hagiografien. Einige bildeten das Herzstück von Schilderungen aus hebräischen, arabischen und aramäischen Zivilisationen. Eine Unmenge jener Geschichten informiert uns über die Natur und das Erbe von Begegnungen zwischen unterschiedlichen Welten. Die folgenden Kapitel reichen von wohlbekannten Individuen, die häufig als einzigartig aufgefasst werden, bis hin zu jenen Kontexten, die Gelegenheit für die Anerkennung und gar das Feiern dieser Individuen boten. Teilweise folgen diese Geschichten einer chronologischen Ordnung, in anderen Fällen erkundet die Erzählung moderne und gegenwärtige Erfahrungen an einem bestimmten Ort, ehe sie frühere Geschichten von Menschen afrikanischer Abstammung in demselben Land oder in derselben Stadt betrachtet. Der chronologische Ansatz hilft uns, historische Veränderungen in ganz Europa und ihre Auswirkungen auf Afroeuropäer jener Zeit zu verstehen, oder auch, wie diese Gruppen von Menschen dazu beigetragen haben könnten, spätere Mentalitäten zu prägen. Die Entscheidung, sich auf bestimmte Orte, Individuen oder Gruppen zu konzentrieren, wurde diktiert von der Zugänglichkeit von Quellen und von der Relevanz dieser Geschichten für heutige Fragen interkulturellen Zusammenwirkens, von Identität und so weiter. Die Episoden reichen vom 3. bis zum 21. Jahrhundert. Dieses Buch basiert auf dem Wissen jener, die zu verschiedenen Aspekten der Lebensgeschichten von Menschen afrikanischer und europäischer Abstammung geforscht haben, und fügt diese Studien auf eine umfassende und neuartige Weise zusammen, die darüber hinausgeht, die Schwarze Präsenz in Europa zu kartografieren, um so in Themen wie Identität, Staatsbürgerschaft, Resilienz und Menschenrechte einzutauchen. Afroeuropäer*innen werden als Reisende definiert und wahrgenommen. Sie sind Weltbürger*innen, was manche Menschen dazu veranlasst hat, sie zu beschuldigen, »Bürger von Nirgendwo«13 zu sein.

      Menschenrechte und Staatsbürgerschaft scheinen auf den ersten Blick moderne Konzepte zu sein. Die Rechte von Männern und später die von Frauen sind jedoch von jeher an bestimmte Bedingungen geknüpft gewesen. In Europa ist die Geschichte der Rechte eng verbunden mit politischen, ökonomischen und philosophischen Entwicklungen. Vom antiken Griechenland bis zur Reconquista übte die Frage nach Rechten immer wieder Einfluss auf die europäische Geschichte aus. Doch vom 15. Jahrhundert an, als Europa sich langsam vom Feudalismus entfernte, erwuchs aus ihr ein drängendes Problem. Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 musste Frankreich die stattgefundene Veränderung und die Forderung der Bevölkerung nach mehr Rechten und Freiheiten anerkennen, worauf auch der Rest Europas rasch folgte. Besonders relevant in dieser Geschichte der Menschenrechte und der Staatsbürgerschaft ist die Frage nach den Rechten außereuropäischer Menschen, deren Körpern lediglich als Werkzeugen zur Erschaffung von Wohlstand Relevanz zugesprochen wurde. Versklavte und afrikanische Körper, die in europäischen Städten kaum geduldet wurden, warfen die Frage nach Zugehörigkeit, Identität und Freiheit auf, wie wir in den nächsten Kapiteln sehen werden. Bei Afrikanern, die in Europa ein gewisses Maß an Freiheit genossen, ging man davon aus, dass sie ihre Rechte und Privilegien verdient oder gewährt bekommen hatten, was sie zu Ausnahmeerscheinungen machte, die sich exklusiver Rechte erfreuen konnten. In einigen Fällen führte diese Exklusivität dazu, in die Mehrheitsgesellschaft aufgenommen zu werden, in anderen sicherte die Anerkennung ihrer Existenz jenen Afroeuropäern jedoch keine allseitige Akzeptanz. Akzeptanz wurde wiederum manchmal durch einen Prozess erreicht, der von ihnen verlangte, ihr Erbe oder eines ihrer Elternteile zu verleugnen. Doch auch dies führte nicht immer zur Inklusion, wie die Erfahrungen zahlreicher Afroeuropäer in Frankreich demonstrieren.

      Fragen von Inklusion und Akzeptanz stehen auch in Verbindung mit Themen der Staatsbürgerschaft und mit Integrationsmodellen für Minderheiten in Europa. Frankreichs Assimilationsmodell etwa unterbindet institutionalisierten Rassismus nicht und ändert auch keine rassistischen Mentalitäten auf individueller Ebene. Tatsächlich basiert das französische Assimilationsmodell auf Ansichten, die anti-rassialistisch sind, wie David Theo Goldberg betont:

      Antirassismus erfordert ein historisches Gedächtnis, eine Erinnerung an die Bedingungen der rassifizierten Erniedrigung und eine Verknüpfung heutiger mit historischen und lokaler mit globalen Umständen. Wenn ein antirassistisches Engagement Gedenken und Erinnern erfordert, dann legt Antirassialismus Vergessen nahe, ein Darüberhinwegkommen und Weitermachen, ein Wegwischen der Bezeichnungen, bestenfalls (oder schlimmstenfalls) das kommerzialisierte Gedenken anstelle einer Aufarbeitung und Wiedergutmachung der Bedingungen von Erniedrigung und Entwertung.14

      Die Erfahrungen von Afroeuropäern in Bezug auf Staatsbürgerschaft und Menschenrechte variieren stark und werden von verschiedenen historischen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umständen beeinflusst. Verbunden mit diesen Ideen ist eine Vorstellung von Identität, die von Schwankungen anderer Vorstellungen, wie etwa race, Erbe und Kultur, über Zeit und Raum hinweg abhängt. Demzufolge variiert auch die in diesem Buch verwendete Terminologie. Ich werde Begriffe benutzen und zitieren wie etwa Afrikaner, Negroes, Afroamerikaner, Afroeuropäer, mixed race, dual heritage und so weiter;

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