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zuvor: So fügte sie den beiden Farben, die sie bisher nur hatte erblicken lassen, andere schillernde Bänder, alle jene des Prismas hinzu und ließ sie erklingen.

      Swann wagte nicht, sich zu rühren, und hätte auch gern die anderen Leute zur Ruhe gebracht, als hätte die leiseste Bewegung den übernatürlichen, lieblichen und zerbrechlichen Nimbus gefährden können, der doch so nah daran war zu vergehen. Tatsächlich jedoch dachte niemand daran, zu sprechen. Das unsagbare Wort eines einzelnen Abwesenden, vielleicht eines Toten (Swann wusste nicht, ob Vinteuil noch lebte), das über den kultischen Handlungen dieser Zelebranten atmete, genügte, die Aufmerksamkeit der dreihundert Personen gebannt zu halten, und machte aus diesem Podium, auf dem eine Seele also beschworen wurde, einen der erhabensten Altäre für den Vollzug eines übernatürlichen Rituals. Dieser Eindruck war so stark, dass Swann, als die Phrase sich schließlich auflöste und in Bruchstücken durch die folgenden Motive flatterte, die bereits an ihre Stelle getreten waren, zwar im ersten Augenblick irritiert war, als er die Gräfin von Monteriender, berühmt für ihre Naivität, sich zu ihm neigen sah, um ihm ihre Eindrücke sogar noch vor dem Ende der Sonate anzuvertrauen, sich dann aber eines Lächelns nicht enthalten konnte, wohl auch, weil er in den Worten, deren sie sich bediente, noch einen tieferen Sinn fand, den sie nicht darin sah. (WS, S. 483 f.)

      Anders etwa bei dem Martinville-Aufsatz in WS (S. 252 f.), der rhythmisch stark gebunden ist und deshalb in SJM auch als »Prosagedicht« bezeichnet wird. Da dieses Merkmal insbesondere dazu dient, das etwas Schülerhaft-Eklektische dieses Marcelschen Erstlings zu transportieren, schien es mir wichtig genug, bei der Wortwahl gegebenenfalls Konzessionen an die Präzision zu machen, um hier auch im Deutschen einen naiv-plätschernden Tonfall zu erzielen.

      Sein Interesse an den musikalischen Aspekten der Sprache machte Proust schon in dem Essay Mélancolique villégiature de Madame des Breyves36 explizit; in der Suche wird es ganz allgemein im Gebrauch der Satzzeichen deutlich und kommt konzentriert in den »cris de Paris« der Gefangenen zum Ausdruck. Die Kommasetzung in der Recherche ignoriert großzügig die »logischen« Regeln der französischen Grammatik und orientiert sich primär gleich den Atempausen im Gesang an rhythmischen Merkmalen; dies im Deutschen nachbilden zu wollen erwies sich jedoch als heikles Unterfangen, denn da die Intonationsstrukturen im Deutschen von anderen Regeln geleitet werden als im Französischen, könnte eine prosodische Kommasetzung im Deutschen nicht mehr die des Autors sein, sondern wäre zwangsläufig die des Übersetzers, der sich damit etwas zu sehr in den Vordergrund spielen würde; zudem ist eine Kommasetzung, die sich nicht dem Duden unterwirft, jenseits historischer Orthographie in wissenschaftlichen Editionen in Deutschland kaum plausibel zu machen. Im übrigen aber orientiert sich die Punktuation gänzlich – bis auf eine Ausnahme – an der Textvorlage. Die Sätze blieben durchweg unangetastet, Semikola blieben Semikola, Klammereinschübe und Einschübe zwischen Gedankenstrichen wurden originalgetreu wiedergegeben. Die Ausnahme bilden einige Einschübe, die bei Proust nur durch Kommata eingefasst sind; hier legte dann gelegentlich der andere Satzbau des Deutschen dem Leser eine falsche Vermutung über den Fortgang des Satzes nahe. In solchen Fällen hielt ich es für besser, die Kommata durch Gedankenstriche zu ersetzen.

      In den »cris de Paris« (G, S. 153–157, 167–173, 182–184) werden die Händlerrufe, die Marcel in seinem Schlafzimmer von der Straße hereindringen hört, explizit in Bezug zu melodischen Strukturen der Gregorianik und zum Parlando bestimmter Opern gesetzt. Hier war natürlich Sorge zu tragen, dass die Übertragung der Rufe dann auch den beschriebenen Merkmalen entspricht. Zudem verleiht Proust den »cris« (auch: ›Schreie‹) eine gewisse Straßen-Authentizität, indem er sie mit derb-erotischen Konnotationen befrachtet. Um diesen beiden Aspekten Genüge tun zu können, waren gelegentlich Eingriffe vor allem auf lexikalischer Ebene notwendig, wenn eine deutsche Entsprechung einfach nicht passt oder nichts hergibt (z. B. »Römersalat« oder »Artischocke«, die durch »Feige« bzw. »Pflaume« ersetzt wurden). Um solche Behelfe zu vermeiden, hatte ich anfangs erwogen, die Rufe im Text auf Französisch stehen zu lassen und nur in den Anmerkungen eine wortgetreue Übersetzung anzubieten. Dies hätte aber den meines Erachtens erheblichen Nachteil gehabt, dass ein Leser, der nicht das Französische beherrscht – und von dem muss der Übersetzer natürlich ausgehen – dieses Glanzstück der Recherche (und ich hoffe, auch der Suche) nicht als die verliebte Komposition für ein Solo-Instrument, die Sprache nämlich, zu lesen, zu hören und zu genießen vermöchte, die es für französische Leser darstellt.

      In rhythmischer Hinsicht bilden die deutschen Hilfsverben ein ständiges Ärgernis: während sich im Französischen auch bei längeren, im Perfekt oder Plusquamperfekt gehaltenen Passagen die Formen zu »avoir« mit ihren weichen oder gar nicht vorhandenen Konsonanten prosodisch im Hintergrund halten, gehen die deutschen Hilfsverbformen gern auf stimmlose Plosive und womöglich obendrein noch Frikative aus (»bist«, »hattest«) und drängen sich so verstärkt ins Bewusstsein, was die Sätze dann leicht ins Stampfen bringt. Um einer linguistischen Seekrankheit beim Leser vorzubeugen, habe ich gelegentlich den einen oder anderen Teilsatz ins Passiv transformiert, um wenigstens einen Wechsel zwischen den Formen von »haben« und »sein« zu erzielen.

      Ein bekanntes Problem bei Übersetzungen aus dem Französischen bilden die Partizipialkonstruktionen, die zwar eine kompakte Ausdrucksgestaltung erlauben, aber im Deutschen für ungeschickt gelten und deshalb im allgemeinen in Relativsätze aufgelöst werden. Damit ist jedoch eine Erhöhung der syntaktischen Komplexität verbunden, was bei der Startbasis, die Proust vorgibt, wenig wünschenswert ist. Erfreulicherweise benutzt Proust aber gelegentlich auch Konstruktionen, bei denen man sich fragt, ob es nicht auch einfacher geht. Hier bietet sich dann die Möglichkeit, ein wenig Ausgleich zu schaffen. Die Auflösung der Partizipialkonstruktionen in Relativsätze sollte man allerdings nicht zum Prinzip erheben, denn häufig verbindet sich damit auch ein Verlust an Dynamik. So habe ich etwa dem längsten Satz der Recherche (SG, S. 28 ff., »Ohne mehr als eine zerbrechliche Ehre …«) schließlich die verpönten Partizipien belassen, da alle meine Versuche, sie zu vermeiden, dem Satz (dessen Matrixsatz übrigens die finite Verbform fehlt) die Spannkraft ausgetrieben hatten.

      Obwohl das Französische und das Deutsche so eng verwandte Sprachen sind, zeigen sich bei der Genuszuordnung, die doch sprachhistorisch im allgemeinen recht stabil ist, erhebliche Unterschiede: man denke nur an le/die »Tour de France«. Dies hat weitreichende Konsequenzen, denn der Zusammenhalt der verschiedenen Teile eines Satzes wird ganz wesentlich über Kongruenzen gestiftet, d. h. durch Übereinstimmungen (oder eben Unterschiede) zwischen den Genus-Markierungen der Nomen und Pronomen des Satzes. Durch die Übersetzung wird aber gelegentlich verschieden, was gleich war, was kein Problem ist, und leider häufig auch gleich, was verschieden war: das kann dann den ganzen Satz durcheinanderbringen. Mit etwas Glück findet man zwar für dieses oder jenes Wort ein Synonym mit passenderem Genus, aber meist lässt sich nicht vermeiden, den Satz umzubauen, um ein Nomen aus dem Fokus eines Pronomens zu entfernen, in den es nicht gehört, oder um es umgekehrt in den Fokus des zugehörigen Pronomens hineinzurücken. Je komplexer der Ausgangssatz, desto umfassender im allgemeinen die Umbauarbeiten. Dabei treten natürlich auch Konflikte auf, wenn z. B. Proust eine Konstituente ans Satzende rückt, um ihr mehr Gewicht zu verleihen, sie im Deutschen an dieser Stelle aber aus Kongruenzgründen nicht stehen bleiben kann. Solche Erwägungen haben allerdings untergeordneten Stellenwert, da im Französischen die Prominenz der Endposition auch weitgehend durch die Neigung der französischen Sprache zur Endbetonung bedingt ist, während man bei den deutschen Satzenden mit ihrer Tonsenkung eher aufpassen muss, dass sie einem nicht allzu abrupt abstürzen (weshalb ich gelegentlich eine Partikel einfüge oder zu einer Langform greife, um eine Silbe zu gewinnen) oder sich in Gemurmel verlieren.

      In lexikalischer Hinsicht habe ich mich insbesondere bei Fremdwörtern im Zweifelsfall am Verwendungsstatus eines Wortes orientiert, über den man sich ja heute mit Hilfe von Suchmaschinen mühelos ein einigermaßen repräsentatives Bild verschaffen kann. Wenn etwa Sachs/Villatte für »métempsycose« kommentarlos »Metempsychose« und »Seelenwanderung« nebeneinander anbieten, und umgekehrt für »Seelenwanderung« »métempsycose« und »migration des âmes«, dann zeigt ein Vergleich der Trefferhäufigkeiten, dass vom Gebrauchswert her der »métempsycose« mit Abstand die »Seelenwanderung« entspricht, der »Metempsychose« dagegen eher die »migration des âmes«. Häufig ist es allerdings auch so, dass sich Fremdwörter im Französischen ganz anders in einen

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