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Prousts Brief an Curtius, Corr. XXI, S. 81, und dessen Antwort S. 128 f.). Fast zeitgleich (1923, aber Vorwort von Oktober 1922) erschien Victor Klemperers Die moderne französische Prosa, ein Studientext, in dem er Proust mit einem Ausschnitt aus Swann vorstellt (der letzte Abschnitt von Combray I) und die Passage vom »ungeheuren Bauwerk der Erinnerung« (WS, S. 70) mit den Worten kommentiert: »Man könnte die Formel aufstellen: Baudelaire + Bergson, doch ohne Bergsons Religiosität« (S. 301). Prousts literarische Bedeutung hat er offenbar nicht erkannt, obwohl er ihm die »Schluss- und Gipfelstellung« gibt: »Man wird in Marcel Prousts reichem und lockerem Skizzenbuch der modernen Seele kaum die große moderne französische Dichtung schlechthin sehen dürfen. Zu viel kühles und beklemmendes Spiel, zu viel bloßes Anschauen der Welt ohne den Versuch, einen Höhenweg in ihr zu finden, zu viel Religionslosigkeit der Haltung befremden mehr als der Verzicht auf Komposition eines Ganzen, als die Neuheit des Technischen. Aber ein Zeugnis für die Möglichkeiten der Verschmelzung von Romantik und Klassik ist das vielbändige und vielfältige Werk und weiter ein Zeugnis für den unversieglichen Reichtum und das ständig strömende Werden der französischen Dichtung« (S. 71 f.).

      Einem breiteren deutschen Publikum wurde À la recherche du temps perdu eigentlich erst 1925 durch Curtius’ umfangreichen Essay Marcel Proust bekannt gemacht, der die ersten fünf Bände zum Gegenstand hat und als Teil seiner Monographie Französischer Geist im neuen Europa erschien (Einzeldruck 1955 bei Suhrkamp). Die Verzögerung lag freilich ebenfalls an Curtius, der es verstand, sein Territorium zu verteidigen und Proust dazu zu bewegen, allen Übersetzungsversuchen, so 1922 für die Tägliche Rundschau – »›Taëjlishes Roundschau‹ (excusez l’allemand de Céleste)« –, eine Absage zu erteilen, weil sie nicht Curtius’ Beifall fanden (s. Briefwechsel Proust–Gallimard, S. 517, 519, 525). Auf Anfrage des Berliner Verlages Die Schmiede, ob denn nicht Curtius selbst eine Gesamtübersetzung erstellen wolle, lehnte dieser jedoch ab. Nach diesem »Korb« betraute der Verlag den Philologen Rudolf Schottlaender (1900–88) mit der Übersetzung und publizierte 1926 den ersten Band des Gesamtprojekts Auf den Spuren der verlorenen Zeit unter dem Titel Der Weg zu Swann in zwei Teilbänden.33 Diese Ausgabe wurde – man ist versucht zu sagen: erwartungsgemäß – von Curtius so unmäßig verrissen, dass auf Druck von Gallimard der deutsche Verlag die Fortführung des Vorhabens an Walter Benjamin (1882–1940) und Franz Hessel (1880–1941) übertrug. Deren Band II, Im Schatten der jungen Mädchen, erschien 1927. Nachdem der Berliner Verlag 1929 den Betrieb einstellen musste, übernahm der Piper-Verlag München das Proust-Projekt; hier erschien 1930 in der Benjamin/Hessel-Übersetzung (in zwei Teilbänden) der dritte Band, Die Herzogin von Guermantes. Der heraufziehende Faschismus setzte dem Versuch, einen ausländischen und zudem halbjüdischen Autor in Deutschland zu publizieren, ein Ende; das Manuskript zur Übersetzung von Sodome et Gomorrhe, das Notizen Benjamins zufolge bereits 1926 fertig gewesen sein soll, ist verschollen.

      1953 verkaufte der Verleger Peter Suhrkamp sein Haus in Kampen auf Sylt an das Verlegerehepaar Axel und Rosemarie Springer, um liquide genug zu sein, die Rechte an der deutschen Übersetzung vom Piper-Verlag erwerben zu können. Hier war wohl auch der Suhrkamp-Autor Hermann Hesse ein moralischer Motor, der schon seit 1925 gedrängt hatte, die »Gespinste dieses zarten Dichters«34 endlich vollständig ins Deutsche zu übertragen. Noch im gleichen Jahr stellte Suhrkamp die Literaturwissenschaftlerin Eva Rechel-Mertens (1895–1981), die bei Ernst Robert Curtius promoviert hatte, in seinem Verlag ein mit dem ausschließlichen Auftrag, eine Neu- bzw. Erstübersetzung von À la recherche du temps perdu zu erstellen; diese wurde 1957 abgeschlossen. Die Hilfsmittel, die ihr als Angestellte in einem Verlag zur Verfügung standen, erklären das erstaunliche Tempo, mit dem sie sich ihrer Aufgabe entledigte. Doch noch während Rechel-Mertens mit dem ersten Band beschäftigt war, erschien in Frankreich in Gallimards Reihe Bibliothèque de la Pléiade die von Clarac/Ferré überarbeitete, textkritisch kommentierte Neuausgabe der Recherche, die Rechel-Mertens dann ihrer Übersetzung zugrunde legte, notgedrungen erst nach dem ersten Band; dass der erste Band noch auf der EA beruht, ist jedoch nicht weiter problematisch, da bei diesem Band die Unterschiede zwischen dem Text der EA und der Clarac/Ferré-Fassung ohnehin marginal sind. Die erneute umfassende Revision des französischen Textes durch Tadié in den 1980er Jahren, die sich vor allem durch Neufassungen in den Texten der postumen Bände auszeichnete, machte allerdings auch eine Überarbeitung der deutschen Übersetzung erforderlich. Diese Aufgabe übernahmen Luzius Keller und Sybilla Laemmel 1994–2004 im Rahmen einer Gesamtausgabe der Werke Prousts bei Suhrkamp, die zudem mit Editionsberichten, Anmerkungsapparat, Namenverzeichnis und Bibliographie ausgestattet wurde.

      2002 legte der Autor Michael Kleeberg mit Combray eine Übersetzung der ersten Hälfte des ersten Bandes vor, der 2004 die zweite Hälfte unter dem Titel Eine Liebe Swanns folgte.

      Zu den Übersetzungen der Vorveröffentlichungen von Auszügen aus der Suche durch Hanno Helbling siehe oben, »Vorveröffentlichungen«.

      Zur Reclam-Übersetzung

      Die in den Bänden I bis VII der Reclam-Ausgabe vorgelegte Übersetzung hat sich zum Ziel gesetzt, die Sprache Prousts so, wie der Übersetzer sie im französischen Text gehört hat, auch im Deutschen zum Ausdruck zu bringen. Die Verwirklichung dieses Vorhabens ist natürlich nur auf einer sehr abstrakten Ebene möglich, denn dass das Französische anders klingt als das Deutsche, ist bekannt. Und so zeigen sich die ersten Fallstricke auch schon auf phonetischer Ebene, etwa bei den Händlerrufen in G, wenn der Ruf des Glasers »le vitri–, le vitri–er« mit seinen spitzen »i« unverzüglich Glasscherben assoziieren lässt – eine Assoziation, die im Schriftbild noch durch die Gestalt der »i« mit den Splittern ihrer Punkte unterstützt wird –, während das deutsche »Gla–, der Gla–ser« eher Gemütlichkeit transportiert. Ein ähnliches Problem stellt sich in großräumigerer Ausprägung bei der Aufführung von Vinteuils Sonate für Piano und Violine in WS, in deren Beschreibung Proust einen Absatz mit überdurchschnittlich vielen »p« und »f« ausstattet, offenkundig, um die Anschläge des Pianos und die Striche der Violine zu Gehör zu bringen – wobei dem Frikativ »ph« in »phrase«/»Phrase« offenbar eine Gelenkfunktion zwischen den Instrumenten zukommt, wie ja auch das Wort »phrase«/»Phrase« selbst als Gelenk zwischen dem Sprachlichen und dem Musikalischen fungiert:

      Elle reparut, mais cette fois pour se suspendre dans l’air et se jouer un instant seulement, comme immobile, et pour expirer après. Aussi Swann ne perdait-il rien du temps si court où elle se prorogeait. Elle était encore là comme une bulle irisée qui se soutient. Tel un arc-en-ciel, dont l’éclat faiblit, s’abaisse, puis se relève et avant de s’éteindre, s’exalte un moment comme il n’avait pas encore fait: aux deux couleurs qu’elle avait jusque-là laissé paraître, elle ajouta d’autres cordes diaprées, toutes celles du prisme, et les fit chanter.

      Swann n’osait pas bouger et aurait voulu faire tenir tranquilles aussi les autres personnes, comme si le moindre mouvement avait pu compromettre le prestige surnaturel, délicieux et fragile qui était si près de s’évanouir. Personne, à dire vrai, ne songeait à parler. La parole ineffable d’un seul absent, peut-être d’n mort (Swann ne savait pas si Vinteuil vivait encore) s’exhalant au-dessus des rites de ces officiants, suffisait à tenir en échec l’attention de trois cents personnes, et faisait de cette estrade où une âme était ainsi évoquée un des plus nobles autels où pût s’accomplir une cérémonie surnaturelle. De sorte que quand la phrase se fut enfin défaite flottant en lambeaux dans les motifs suivants qui déjà avaient pris sa place, si Swann au premier instant fut irrité de voir la comtesse de Monteriender, célèbre par ses naïvetés, se pencher vers lui pour lui confier ses impressions avant même que la sonate fût finie, il ne put s’empêcher de sourire, et peut-être de trouver aussi un sens profond qu’elle n’y voyait pas, dans les mots dont elle se servit.

      Ein solches onomatopoetisches Spiel ließe sich in der Übersetzung nur auf Kosten der Semantik reproduzieren. In solchen Fällen heißt es abzuwägen, wie weit man dabei gehen sollte. In diesem Fall schien mir eher Zurückhaltung geboten, da auch die wenigsten französischen Leser diesen Kunstgriff überhaupt bemerken:35

      Sie kehrte wieder, doch dieses Mal nur, um fast reglos in der Luft zu schweben, einen Augenblick ihr Spiel zu treiben und dann zu ersterben. Deshalb versäumte Swann nichts von dieser so kurzen Zeit, die sie verweilte. Sie war noch immer da, wie eine

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