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Thema L’Ironie proustienne (2004). Die Philosophie Prousts, die sich nicht unbedingt in den Abschnitten mit philosophischen Themen niederschlägt, arbeitet Vincent Descombes 1987 in Proust: Philosophie du roman heraus. Die Verbindung Prousts mit verschiedenen Strömungen in der philosophischen Diskussion stellen der britische Philosoph Malcolm Bowie 1987 in Freud, Proust, and Lacan: Theory as Fiction dar, die ungarische Philosophin Erika Fülöp 2012 in Proust, the One, and the Many (Oxford University Press) oder der schwedische Philosoph Martin Hägglund 2012 in Dying for Time: Proust, Woolf, Nabokov (Harvard University Press). Die psychoanalytische Untersuchung des Textes nahm Michael Schneider 1999 mit Maman (Gallimard) wieder auf, während sich Jean-Yves Tadié 2012 in Le Lac inconnu: Entre Freud et Proust (Gallimard) vor allem für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Proust und Freud interessiert.

      Eine Reihe von Publikationen wendet sich Prousts Interesse an darstellenden Künsten zu, so 2003 Jean-Pierre Montier und Jean Cléder in Proust et les images: Peinture, photographie, cinéma, vidéo, und 2004 Marion Schmid und Martine Beugnet in der anregenden Untersuchung Proust at the Movies, sowie Eric Karpeles’ Paintings in Proust (2008) mit Reproduktionen aller in der Suche direkt erwähnten Kunstwerke, während sich Kazuyoshi Yoshikawa in Proust et l’art pictural (2010) auf die Suche nach den im Text verborgenen Kunstwerken macht. Eine wichtige Studie in diesem Zusammenhang ist auch Peter Colliers Untersuchung Proust and Venice (1989), die sich mit Prousts Ästhetik befasst, insbesondere am Beispiel des Venedig-Kapitels in der Entflohenen. Den Einfluss der Fotografie schließlich auf Prousts Sicht der Welt untersucht 1997 der Fotograf Brassaï in Marcel Proust sous l’emprise de la photographie (dt. Proust und die Liebe zur Fotografie, 2001, Übers. Max Looser). 1999 erschien eine Sammlung von Aufnahmen von Prousts Zeitgenossen und Brassaïs nicht minder bekanntem Kollegen Paul Nadar, Le Monde de Proust vu par Paul Nadar (Texte von Anne-Marie Bernard; dt. Proust und seine Modelle), die insbesondere Lesern, die einer autobiographischen Lesart der Suche zuneigen, das nötige Lokalkolorit liefern. Eine fotografisch anspruchsvolle, sich assoziativ relativ frei bewegende Spurensuche unternimmt 1982 François-Xavier Bouchart mit seinem reizvollen, in Schwarz-Weiß gehaltenen Bildband La Figure du pays; Elger Essers faszinierende Suche nach dem alten im neuen Frankreich dagegen trägt ihren Titel Combray (2016) in einem eher metaphorischen Sinn.

      Die Fülle der Ansätze in der Proust-Literatur hat das Bedürfnis nach Werken entstehen lassen, die es ermöglichen, sich zumindest einen Überblick zu verschaffen. Hier war gewiss der von Richard Bales 2001 herausgegebene Cambridge Companion to Proust wegweisend, an dem sich auch spätere Ausgaben mit ähnlicher Zielsetzung orientierten, wie etwa die von Adam Watt 2013 herausgegebene Sammlung von Aufsätzen Marcel Proust in Context. Ein inzwischen unentbehrlich gewordenes Arbeitshilfsmittel stellten 2004 Annick Bouillaguet und Brian G. Rogers mit ihrem monumentalen Dictionnaire Marcel Proust zur Verfügung, das 2009 in einer überarbeiteten und erweiterten Übersetzung von Luzius Keller unter dem Titel Marcel Proust Enzyklopädie auch in Deutschland erschien. Eine Zwischenstellung zwischen Enzyklopädie und Biographie nimmt Philippe Michel-Thiriets Quid de Marcel Proust von 1982 ein, das nach Sachgruppen geordnet verschiedene Aspekte zu Leben und Werk stichwortartig behandelt; die deutsche Übersetzung der 2. Aufl. 1987 von Rolf Wintermeyer erschien 1992 unter dem Titel Das Marcel Proust Lexikon. In diesem Zusammenhang sollte auch noch das reich bebilderte Album Proust von Pierre Clarac und André Ferré aus dem Jahr 1965 erwähnt werden, das sich bemüht, dem Leser und Betrachter einen leichten Zugang zur Person des Autors und zu seinem Werk zu ermöglichen; die deutsche Übersetzung von Hilda von Born-Pilsach erschien 1975 unter dem Titel Das Proust-Album. Das Bildmaterial aus diesem Album hat inzwischen Eingang in verschiedene französische E-Book-Ausgaben der Werke Prousts gefunden.

      Die Jahrtausendwende hat eine überraschende Populärkultur zu Proust hervorgebracht, deren Tiefenwirkung sicherlich begrenzt ist, deren Breitenwirkung man aber nur begrüßen kann, denn gewiss haben viele, selbst aufgeschlossene Leser zum ersten Mal von Proust dank Alain de Bottons Ratgeber Wie Proust Ihr Leben verändern kann (1997; dt. 1998) gehört oder sich dank Jean-Bernard Naudins La cuisine retrouvé (1991; dt. Zu Gast bei Marcel Proust, 1992) mit Françoise im Bunde fühlen können. In Il capotto di Proust (2008; dt. Prousts Mantel, 2011) spinnt Lorenza Foschini eine Detektivnovelle um Prousts berühmten Mantel, und Anita Albus knüpft 2011 in Im Licht der Finsternis. Über Proust längere Gedankenspiele an die in der Suche erwähnten Pflanzen an. Zu einem Paris-Besuch, der nicht ausschließlich dem Konsum geweiht ist, regen schließlich Bücher wie Rainer Moritz’ Mit Proust durch Paris. Literarische Spaziergänge (2004; Neuauflage 2015) an, oder zu etwas weiteren Ausflügen der Bildband Les Promenades de Marcel Proust von Nadine Beauthéac und François-Xavier Bouchart (1997; dt. Auf den Spuren von Marcel Proust, 1999).26 Ein Vorläufer dieser Popularisierung Prousts war zweifellos Monty Pythons All-England Summarise Proust Competition27 vom 16. November 1972 mit dem unerreicht gebliebenen Ziel, eine Inhaltsangabe in 45 Sekunden zu liefern, während diese Entwicklung 2009 mit dem (2011 ins Französische rückübersetzten) japanischen Manga Ushinawareta toki o motomete ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht haben dürfte – die ganze Suche nach der verlorenen Zeit in einem Taschenbuch!

      »Ich sehe schon Leser vor mir, die sich einbilden, ich schriebe hier im Vertrauen auf willkürliche und zufällige Gedankenverbindungen die Geschichte meines Lebens.«

      (Brief an Paul Souday vom 10. 11. 1919 zu SJM, in: Corr. XVIII, S. 464.)

      Die autobiographische Lesart, von der Proust in der oben zitierten Stelle aus seinem Brief an Paul Souday spricht, wurde zwar einerseits durch die Abschnitte Combray und Ländliche Namen: Der Name des ersten Bandes ziemlich nahegelegt, dann aber doch durch den ganz und gar unautobiographischen Abschnitt Eine Liebe von Swann ad absurdum geführt. Dennoch fühlten sich viele Kritiker eher berufen, Swann als Ungereimtheit zu empfinden denn als Widerlegung ihrer Herangehensweise (vgl. dazu das Ghéon-Zitat unten, S. 130) – die dann durch SJM neue Nahrung erhielt. Dazu schreibt Proust kurz nach dem 6. November 1920, also etwa zwei Wochen nach dem Erscheinen von WG I, offenbar etwas entnervt an Jacques Boulenger: »Ich schildere so viele verschiedene Dinge in meinem Werk, dass niemand ernstlich glauben kann, das sei alles Ich. Ohne nun gleich wie die ›Dadas‹ in Bewunderung ob meiner Seiten über die Schwerhörigkeit zu erstarren (die ich, trotz ihrer Lobgesänge, ziemlich mittelmäßig finde), sind sie dennoch zutreffend. Trotzdem bin ich keineswegs schwerhörig und wünschte nur, ich könnte ebenso gut sehen wie hören« (Corr. XIX, S. 580 f.). Immerhin, wollte man die Suche nicht als Autobiographie lesen, so legte das zeitgenössische Ambiente zumindest die Lesung als Schlüsselroman nahe.

      Da Proust in den bedeutendsten Salons von Paris ein und aus ging und er sich zudem mit seinen Essays im Figaro einen Namen als Berichterstatter von Herzoginnen-Festen und Opernpremieren gemacht hatte, war es auch nicht weiter erstaunlich, dass »Tout Paris« sich auf den Weg zu Swann machte, um zu sehen, ob man wohl darin vorkomme – und beleidigt zu sein, wenn ja, und erst recht, wenn nicht. Auch gegen diese – schwerer zu widerlegende – Lesart der Suche als ein »roman à clef« hat sich Proust schon früh und immer wieder energisch verwahrt – »es gibt keine Schlüssel oder Porträts« (Brief an Madame Straus vom 3. Juni 1914, Corr. XIII, S. 231) –, doch mit mäßigem Erfolg: Noch Painter 1956 legt Wert darauf, Swann in Charles Haas, Odette in Laure Hayman, Charlus in dem Baron Doäzan, Saint-Loup in Louis d’Albufera wiederzuentdecken. Dazu Proust in dem zitierten Brief an Madame Straus: »[…] jener, den Sie Swann-Haas nennen. (Obwohl er nicht Haas ist […])«, am 19. Mai 1922 an Laure Hayman: »Sie lesen mein Buch und stellen eine Ähnlichkeit zwischen sich und Odette fest! Man möchte ja am Bücherschreiben verzweifeln« (Corr. XXI, S. 209), im April 1921 an Robert de Montesquiou: »Viele Leute glauben, Saint-Loup sei d’Albufera, an den ich dabei nie gedacht habe« (Corr. XX, S. 194), und im Mai 1921 an denselben: »Meine Person [Charlus] war schon im voraus aufgebaut und gänzlich erfunden […] sie ist größer, enthält mehr an menschlicher Vielfalt, als wenn ich sie auf eine Ähnlichkeit mit Monsieur ­Doäzan beschränkt hätte« (Corr. XX, S. 281). Allerdings muss man auch sagen, dass Proust das »keine« in »keine Schlüssel« an anderer Stelle ein wenig relativiert, wenn er zum Beispiel an Lucien Daudet schreibt: »Es gibt so viele [Schlüssel] für jede Tür, dass es in Wirklichkeit gar keinen dafür gibt«, oder in der Widmung von WS für Jacques de Lacretelle feststellt: »Es gibt keine Schlüssel für

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