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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
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Insgesamt dürfte es sich bei der Einzelfreistellung aber um eine bloß theoretische Möglichkeit handeln.[237] In diese Richtung deutet zumindest der Befund, dass kaum Fälle bekannt sind, in denen die Voraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bei einer klassischen Kernbeschränkung bejaht worden sind.[238] Die die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission prägende Haltung kam im Fall PO/Yamaha (2003) paradigmatisch zum Ausdruck, wo es heißt: „[P]reisbindungen der zweiten Hand sind Kernbeschränkungen, die nicht die kumulativen Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EGV [Art. 101 Abs. 3 AEUV] erfüllen [. . .].“[239] Allgemein dürfte die Einzelfreistellung von bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen damit – von den o.g. Fallgruppen abgesehen – praktisch nahezu unmöglich sein.[240] Dabei scheint die restriktive Handhabung der Europäischen Kommission auch vom EuGH gebilligt zu werden. Jedenfalls waren die Fälle, in denen die Europäische Kommission vor dem EuGH scheiterte, nicht durch eine unterschiedliche Rechtsauffassung gekennzeichnet, sondern durch eine unzureichende Beweisführung der Europäischen Kommission in Bezug auf das Vorliegen einer Vereinbarung.[241] Die restriktive Handhabung der Einzelfreistellung bietet Anlass für vielfältige Kritik.[242] So wird die Beurteilung vertikaler Preisbindungen im Lichte ihrer ökonomischen Wirkungen als zu rigide empfunden und der formaljuristische Prüfungsansatz (form based approach) beklagt, der im Ergebnis einem per se-Verbot gleichkomme.[243] Bis auf weiteres müssen sich Unternehmen aber an der restriktiven Praxis orientieren, zumal sie stets dem Risiko ausgesetzt sind, dass die Kartellbehörde ihr Vorbringen als nicht ausreichend erachtet.[244]
d) Vertikale Preisbindung im Überblick
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2. Meistbegünstigungsklauseln (insbesondere sog. Bestpreisklauseln)
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Im Unterschied zu vertikalen Preisbeschränkungen, die dem Abnehmer konkrete Preisvorgaben machen, wirken Meistbegünstigungsklauseln („most favoured nation clauses“) relativ:[245] Der wettbewerbliche Preissetzungsspielraum des Gebundenen wird dahingehend eingeschränkt, dass sich die Preissetzung gegenüber Dritten auch auf die dem Klauselverwender zu gewährenden Bedingungen auswirkt und umgekehrt: So regeln entsprechende Klauseln die Verpflichtung, Dritten – gleich ob Anbietern oder Abnehmern[246] – keine günstigeren Konditionen („echte Meistbegünstigungsklausel“) zu gewähren oder Dritten zugestandene Konditionen automatisch auch dem Klauselverwender anzutragen („unechte Meistbegünstigungsklausel“).[247]
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In der Praxis sind Meistbegünstigungsklauseln häufig Bestandteil von Beschaffungsverträgen, mit denen ein Erwerber sicherstellen möchte, dass ihm der Lieferant stets seine günstigsten Konditionen anbietet. Mit den regelmäßig von Online-Plattformen genutzten Bestpreis- und Paritätsklauseln[248] sind in den letzten Jahren aber auch neue Gestaltungsformen in den Fokus gerückt.[249] Durch Bestpreis- und Preisparitätsklauseln verpflichtet der Betreiber einer Online-Verkaufsplattform seinen Vertragspartner (etwa ein Hotel), der Produkte (oder Zimmer) über die Plattform vermarktet, auf der Plattform stets seine besten und über sonstige Kanäle keine günstigeren Konditionen/Preise anzubieten.
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Ist der Betreiber einer Online-Verkaufsplattform wie z.B. Amazon auch selbst Händler oder Anbieter der vertragsgegenständlichen Produkte, sind Bestpreis- und Preisparitätsklauseln zulasten der Plattformnutzer nach der Praxis des BKartA schwerpunktmäßig als unzulässige horizontale Kernbeschränkung einzustufen. Entsprechend hat das Bundeskartellamt die von Amazon gegenüber Marketplace-Händlern genutzten Preisparitätsklauseln beanstandet und das Unternehmen zu einer Rücknahme dieser Klauseln gedrängt.[250] Der vertikale Umstand, dass Amazon die Klausel in den Dienstleistungsvertrag über die Bereitstellung der Plattformdienste aufgenommen hatte, trat demgegenüber zurück.[251]
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Aufgrund der vielschichtigen und aktuellen Rechtsprechung gerade zu Bestpreisklauseln von Hotelbuchungsportalen wird nachfolgend – unter a) – zunächst auf diese eingegangen. Sodann wird – unter b) – der Rahmen für allgemeine Meistbegünstigungsklauseln skizziert.
a) Bestpreis- und Preisparitätsklauseln als aktuelles Online-Phänomen
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Bestpreis- und Preisparitätsklauseln werden häufig von Online-Plattformen verwendet, um die bei ihnen registrierten Unternehmen daran zu hindern, außerhalb der Plattform bessere Preise oder Konditionen anzubieten. Während zuletzt Bestpreisklauseln von Hotelbuchungsportalen (insbesondere HRS und Booking) im Fokus der Aufmerksamkeit standen, wurden auch schon Verfahren gegen Plattformen zum Vertrieb anderer Produkte (etwa in den Bereichen Energie[252] oder Versicherungen[253]) geführt.
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Mit Bestpreisklauseln können Online-Plattformen ihren Nutzern den günstigsten Preis für ein Produkt garantieren und der Trittbrettfahrerproblematik vorbeugen. Bietet eine Plattform stets den besten Preis, haben Kunden keinen Anreiz mehr, ein Portal lediglich zur kostenlosen Informationsgewinnung zu nutzen, Käufe dann aber dort zu tätigen, wo bessere Konditionen angeboten werden.[254] Trotz der mit Bestpreisklauseln einhergehenden Beschränkungen nehmen Anbieter derartige Bedingungen hin, wenn sie auf die durch ein Portal vermittelte Reichweite angewiesen sind, wie dies etwa aus der Perspektive von Hotels bei HRS und Booking der Fall ist.[255] Zwar handelt es sich hierbei nur um einen Vertriebsweg unter vielen.[256] Aufgrund des Nutzerverhaltens der Endkunden, die die Suche nach einem Hotelzimmer regelmäßig auf einem der großen Buchungsportale beginnen, kommt den Portalen jedoch überragende Bedeutung zu.[257]
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Die Verwendung von Bestpreisklauseln ist mit Rechtsunsicherheit behaftet, weil die kartellrechtliche[258] Bewertung in den Mitgliedstaaten teilweise erheblich divergiert.[259] Vor diesem Hintergrund wäre eine harmonisierende Klarstellung auf EU-Ebene wünschenswert,[260] etwa indem die Europäische Kommission ihre Rechtsauffassung in neuen Vertikal-LL oder einer zukünftigen Vertikal-GVO ausdrückt.[261] Wie die vergleichende Betrachtung der europäischen Entscheidungspraxis zeigt, nimmt das BKartA eine eher restriktive Haltung ein:[262] Seine Einschätzung, wonach weite wie enge Bestpreisklauseln unzulässig sind,[263] steht in Widerspruch zu den Entscheidungen der französischen, der italienischen, der schwedischen,[264] der irischen[265] sowie zuletzt auch der polnischen Wettbewerbsbehörde.[266] Auch in Deutschland ist die Praxis angesichts divergierender Entscheidungen des OLG Düsseldorf sowie der kritischen Haltung der Monopolkommission uneinheitlich,[267] wenngleich die aktuellste Entscheidung des OLG Düsseldorf auch zu mehr Rechtsklarheit beigetragen und der restriktiven Handhabung durch das BKartA Grenzen gesetzt hat.
aa) Enge und weite Bestpreisklauseln von Buchungsportalen
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