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Kartell Compliance. Max Schwerdtfeger
Читать онлайн.Название Kartell Compliance
Год выпуска 0
isbn 9783811453098
Автор произведения Max Schwerdtfeger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
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In Deutschland ist nicht nur die vollendete Preisbindung verboten und bußgeldbewehrt, sondern bereits der Versuch: Unternehmen dürfen gem. § 21 Abs. 2 GWB anderen „Unternehmen keine Nachteile androhen oder zufügen und keine Vorteile versprechen oder gewähren, um sie zu einem Verhalten zu veranlassen, das nach folgenden Vorschriften nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf“. Das bloße Androhen/Zufügen von Nachteilen oder Versprechen/Gewähren von Vorteilen ist damit – unabhängig vom Ergebnis – bußgeldbewehrt. Dem Adressaten der Drohung bzw. des Vorteils hingegen droht grds. kein Bußgeld, solange er auf das Drängen nicht eingeht.[97] Übernimmt der (gebundene) Händler hingegen selbst eine aktive Rolle, so geschehen etwa im Vertikalfall des Bundeskartellamts (hier haben Händler die Preisbindung in der Erwartung akzeptiert, dass der Hersteller auch andere Händler entsprechend bindet),[98] so kann er ebenfalls sanktioniert werden.[99]
bb) Zivilrechtliche Nichtigkeit
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Vertragsbestimmungen, die gegen das Kartellverbot verstoßen, sind nichtig. Im europäischen Recht folgt dies aus Art. 101 Abs. 2 AEUV, im deutschen Recht aus § 138 BGB. Die Wirksamkeit des Gesamtvertrages[100], also über eine nichtige Klausel hinaus, bestimmt sich sodann einheitlich nach nationalem Recht, in Deutschland gem. § 139 BGB oder (im Falle von AGB) § 306 Abs. 1 BGB. Nach § 139 BGB ist im Zweifel „das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.“ Ob eine Vereinbarung teilbar ist und auch ohne den rechtswidrigen Teil abgeschlossen worden wäre, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall beurteilen. Dabei trifft die Beweislast grds. denjenigen, der sich auf die Fortgeltung des Gesamtvertrags beruft.[101] Ist der ungültige Teil aber vom Gesamtvertrag trennbar und enthält letzterer eine salvatorische Klausel, so gilt die (widerlegbare) Vermutung, dass der Vertrag im Übrigen wirksam ist.[102]
B. Einzelne Beschränkungen
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Der folgende Abschnitt B skizziert die kartellrechtliche Bewertung der besonders praxisrelevanten vertikalen Beschränkungen, namentlich: Gebiets- und Kunden- (I.), Preis- und Konditionenbeschränkungen (II.), Wettbewerbsverbote (III.) sowie Beschränkungen im Rahmen besonderer Vertriebsformen wie beim Selektivvertrieb und Online-Handel (IV.).
1. Beschränkungen i.S.v. Art. 4 lit. b Vertikal-GVO
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Nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO stellt es grundsätzlich eine unzulässige Kernbeschränkung dar, wenn vertikale Vereinbarungen – z.B. zwischen Herstellern und Groß- oder Einzelhändlern – das Gebiet oder die Kundengruppen[103] beschränken, in das oder an die der Abnehmer (oder dessen Kunden) die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen dürfen. Art. 4 lit. b Vertikal-GVO soll eine Aufteilung von Märkten[104] verhindern und sicherstellen, dass Vertragsprodukte ohne räumliche Begrenzung an beliebige Kundengruppen abgesetzt werden können.[105] Insoweit geht es um Totalverbote, d.h. um das „Ob“ der Lieferung in bestimmte Gebiete und an spezifische Gruppen, nicht hingegen um das „Wie“ der Belieferung.[106] Beschränkungen des Abnehmers in der Art und Weise, auf die er die Vertragsprodukte vertreibt (etwa das Verbot eines bestimmten Vertriebswegs), sind nicht als Kernbeschränkung i.S.d. Art. 4 lit. b Vertikal-GVO zu qualifizieren.[107]
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Wie sämtliche Kernbeschränkungen gem. Art. 4 Vertikal-GVO ist auch lit. b als umfassendes Verbot ausgestaltet, das sowohl unmittelbare/direkte als auch mittelbare/indirekte Beschränkungen erfasst.[108] Eine unmittelbare Beschränkung liegt etwa in der Verpflichtung, nicht an Kundengruppen (z.B. Online-Händler) bzw. Kunden in bestimmten Gebieten (z.B. außerhalb von Deutschland) zu verkaufen oder Bestellungen solcher Kunden an andere Händler weiterzuleiten.[109] Mittelbare Gebiets- oder Kundenbeschränkungen können sich aus den (Einzelfall-)Umständen ergeben, z.B. wenn Anreize gesetzt werden, bestimmte Kunden oder Gebiete nicht zu beliefern. Einige zentrale Beispiele nennt die Europäische Kommission in ihren Vertikal-LL (z.B. Verweigerung/Reduzierung von Prämien oder Nachlässen, Verringerung der Liefermenge, Androhung der Vertragskündigung, höhere Preise für auszuführende Produkte etc.).[110] Allgemein geht die Europäische Kommission davon aus, dass eine Vereinbarung eher als Gebiets- oder Kundenbeschränkung einzustufen ist, wenn sie durch ein Überwachungssystem (z.B. unterschiedliche Etiketten oder Seriennummern), mit dem sich der tatsächliche Bestimmungsort der gelieferten Ware überprüfen lässt, flankiert wird.[111]
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Vom Tatbestand ausgenommen, d.h. freistellungsfähig, sind Beschränkungen bezüglich des Orts der Niederlassung des Abnehmers selbst. Es stellt also keine Kernbeschränkung nach Art. 4 lit. b Vertikal-GVO dar, wenn vereinbart wird, dass der Abnehmer nur bestimmte Vertriebsstelle(n) und Lager nutzt.[112]
2. Ausnahmen nach Art. 4 lit. b Ziff. i-iv Vertikal-GVO
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Art. 4 lit. b Vertikal-GVO sieht in Ziff. i-iv vier ausnahmsweise zulässige Gebiets- und Kundengruppenbeschränkungen vor.[113]
a) Verbot des aktiven Verkaufs in/an exklusiv zugewiesene Gebiete/Kundengruppen
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Die wichtigste Ausnahme vom Verbot der Gebiets- und Kundengruppenbeschränkungen regelt Ziff. i, wonach der Anbieter den Verkauf in Gebiete oder an Kundengruppen (z.B. Großhändler, Einzelhändler, Endkunden, Weiterverarbeiter o.ä.) beschränken kann, die er ausschließlich einem anderen Abnehmer zugewiesen oder sich selbst vorbehalten hat (sog. „Alleinvertrieb“). Eine ausschließliche Zuweisung in diesem Sinne liegt vor, wenn sich der Anbieter verpflichtet, sein Produkt für den Vertrieb (i) in einem bestimmten Gebiet oder (ii) an eine bestimmte Kundengruppe ausschließlich an einen Händler zu verkaufen und den Händler so vor Verkäufen durch alle anderen Abnehmer des Anbieters in „sein“ Gebiet oder an „seine“ Kundengruppe zu schützen.[114]
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Wichtig dabei ist aber, dass den Abnehmern nur der sog. „aktive“ Verkauf untersagt werden darf, nicht hingegen der Verkauf insgesamt, also einschließlich des sog. „passiven“ Verkaufs. Die Begriffe aktiver und passiver Verkauf werden in den Vertikal-LL wie folgt definiert:[115]
– | „Aktiver Verkauf“: Aktive Ansprache individueller Kunden oder Kundengruppen bzw. Kunden in einem bestimmten Gebiet z.B. mittels Direktwerbung einschließlich Massen-E-Mails oder persönlicher Ansprache/Besuche. |
– | „Passiver Verkauf“: Bedienung unaufgeforderter Bestellungen vom Kunden. Sind Bestellungen auf allgemeine Werbe- oder Verkaufsförderungsmaßnahmen zurückzuführen, die auch nicht zugewiesene Kunden/Gebiete erreichen, aber ein vernünftiges Mittel zur Ansprache von Kunden in eigenen oder freien Gebieten darstellen, handelt es sich ebenfalls um passive Verkäufe. |
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Damit können Abnehmer in Alleinvertriebssystemen vor aktiven Verkäufen Dritter geschützt werden, keinesfalls aber vor passiven Verkäufen. Beschränkungen des Passivvertriebs sind, abgesehen von wenigen Ausnahmen (s. sogleich), stets als Kernbeschränkung einzustufen.[116]
b) Sprunglieferungsverbot
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Nach Art. 4 lit. b Ziff. ii Vertikal-GVO ist es auch zulässig, den Verkauf an Endverbraucher durch Großhändler zu beschränken.[117]