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Texte im neuen literarischen System. Dieser literarische Einwanderer, von dem die ältesten historiographischen Werke wie Svend Aggesens Brevis Historia Regum Daniae oder Saxos Gesta Danorum schweigen,Holger Danske10 kann namentlich bis auf die Chanson de RolandRoland zurückverfolgt werden. Seine Genese als dänischer Nationalheld nimmt ihren Anfang in der altwestnordischen Bearbeitung der chanson und wird in den altostnordischen Übersetzungen fortgesetzt. Schließlich erlangt die Figur des Holger Danske eine eigenständige Existenz, auch über seine Zugehörigkeit zum Zwölferbund Karl des Großen hinaus, über die dänischen Balladen und Volkslieder parallel mit Dänemarks Verlust an historischer Bedeutsamkeit.11 Liegen die Wurzeln der Konstruktion eines Nationalhelden bereits in Karl Magnus und Karl Magnus Krønike? War dem Übersetzer/ Redaktor bei der Übersetzung eines Dänen zurück in seine Heimat die historische Dimension seiner Adaptation bewusst und inwiefern unterscheidet sich das entworfene Bild von Holger Danske in der altdänischen Krønike von dem im Karl Magnus? Wurde dem Helden Ogier le Danois in den Übersetzungen mehr Handlungsraum eingeräumt als in den altfranzösischen Texten? Wurde nicht nur die Übersetzung selbst, sondern die Wahl der zu übersetzenden Texte entsprechend der polysystemischen Prämisse politisch und gesellschaftlich determiniert? Auch hier wird die Analyse zentraler Textpassagen die weiter oben aufgeworfenen Fragen nach der Funktion und Rolle eines eingewanderten (National-)Helden beantworten.

      Steht die literarische Gestalt Ogier le DanoisHolger Danske noch im Lichte der Funktionalisierung im Dienste eines lokalen, einheimischen Identitätsbezugs, so stellt die Figur Karl des Großen als eine der Schlüsselfiguren im europäischen kulturellen Gedächtnis ein ungleich mächtigeres Identifikationsangebot dar, gilt er doch als der universale, von Gott auserwählte Krieger im Dienste des Christentums. An dieser Stelle sei vor einer Pauschalisierung gewarnt: Die chansons de gestechansons de geste haben in ihrer Entwicklung als Genre vielfältige, nicht nur positive Karlsbilder produziert. Die narrative Identitätskonstruktion eines Herrschers kann im Hinblick auf die zeitgenössische politische Situation erfolgt sein. Vermittelt höfische Literatur Normen und Werte, an denen sich die Aristokratie orientieren soll, kann der große Herrscher mittels narrativer Verfahren idealisiert oder auch kritisiert werden. Welche Transformationen erlebt Karl der Große auf seinem literarischen Weg in den Norden? Kann man hier von einer Hagiographisierung Karls des Großen sprechen, wie es in der deutschen chanson de geste-Rezeption der Fall war? Spielt das benachbarte autochthone Sagengedächtnis der altwestnordischen Heldenepik eine Rolle bei der Umsetzung der chansons de geste, hatte man doch mit Olav dem Heiligen eine aus dem benachbarten Kulturraum stammende Identifikationsfigur? Oder lassen sich die vielen schablonenhaften Kampfszenen auf eine Profanisierung der Geschichten zugunsten einer stereotypen Massakerästhetik zurückführen? Wie ist die Figur Karls des Großen vor dem Hintergrund der Regentschaft Eriks von PommernErik von Pommern, dem alleinigen Herrscher der Kalmarer UnionKalmarer Union von 1412–1439, Karls VIII. Bonde sowie Christians I. zu interpretieren?

      Die Auswertung der zuvor erläuterten Themenkomplexe wird vor dem theoretischen Hintergrund schließlich zur Beantwortung der Frage nach dem Transfer kultureller Texte – denn, wie einleitend erklärt, werden die chansons de gestechansons de geste in der vorliegenden Studie als solche aufgefasst – in den ostnordischen Kultur-und Literaturraum beitragen. Die als vom Übersetzer intentional angenommenen Transformationen lassen sich mit den Erkenntnissen verknüpfen, die aus den Studien der kodikologischen sowie historischen und gesellschaftlichen Kontextualisierungen gewonnen werden. Auf diese Weise wird die Frage nach der Position der übersetzten chansons de geste im literarischen System Schwedens und Dänemarks des 15. Jahrhunderts beantwortet. Mit dieser Fragestellung korreliert auch die Frage nach der Gattungstransformation, wie aus den ursprünglichen geste de France mit Hilfe der europäisch-peripheren altwest- und vor allem altostnordischen Bearbeitungen geste d’Europe entstehen konnten.

      3. Historischer Kontext

      Translation is a cultural phenomenon produced by individuals with a certain personality as well as an agenda and it is closely linked to the political and often economic or personal situation of the translator.1

      Der Transfer der Gattung chanson de geste in den altnordischen Raum unterlag, wie alle anderen Gattungen auch, stets wandelnden sozialen, politischen und religiösen Faktoren der aufnehmenden Kulturen. Den theoretischen Prämissen der PolysystemtheoriePolysystemtheorie folgend, müssen bei der Analyse der Funktionen der übersetzten Werke, ihrer Positionierung in den neuen literarischen Systemen ebenso außersystemische Determinanten berücksichtigt werden. Zum einen sind dies die linguistischen und ästhetischen Normen, die für die Übersetzungen, im mediävistischen Kontext somit auch stets Reinterpretationen, ausschlaggebend sind. Zum anderen sind es vor allem die politisch-historischen und soziokulturellen Kontexte, deren Einbeziehung sowohl die Positionierung als auch das Gesamtverständnis der Texte ermöglicht. Im Folgenden wird daher die historische Situation der jeweiligen Kulturräume skizziert, die die Übersetzungen der altfranzösischen Stoffe ermöglicht und beeinflusst hat.

      3.1. Norwegen und norwegischer Hof

      Die übersetzten riddarasögurriddarasögur, zu denen auch die Karlamagnús saga ok kappa hansKarlamagnús saga ok kappa hans gehört, die als Hauptvorlage der altostnordischen Karlsdichtung gilt, sind ein wichtiges Zeugnis für die Interaktion zwischen Herrschaft, Kultur und Literatur im Norwegen des 13. Jahrhunderts.1 Als Initiator für Übertragungen der höfischen Literatur ins Norwegische gilt Hákon IV. Hákonarson (1204–1263, Regierungszeit 1217–1263), der mit 13 Jahren von den Birkenbeinar, den Gegnern der sogenannten Bagler im norwegischen Bürgerkrieg, zum König gewählt wurde.2 Zwar musste er sich am Anfang seiner Herrschaft gegen andere Thronanwärter und auch seinen Vormund Skúli Bárðarson behaupten sowie seine königliche Abstammung nachweisen, in seiner Regierungszeit galt er jedoch bis zu seinem Tod als ein kluger und zurückhaltender Herrscher. Von Matthäus Paris, einem bedeutenden Geschichtsschreiber im Benediktinerkloster St. Albans in England, der sich in den Jahren 1248–1249 in Norwegen am Hof Hákons in Bergen und im Kloster Niðarhólmr aufhielt, wird er zudem als bene litteratus bezeichnet.3 Zu seinen innen- und außenpolitischen Errungenschaften zählen u.a. die Etablierung eines dauerhaften Friedens, Regelung der Thronfolge nach festen Regeln auf Grundlage des Erstgeburtsrechts und Erweiterung seines Herrschaftsbereiches auf Island und Grönland.4 Desweiteren ließ er viele Kirchen und Klöster bauen.

      Das überlieferte Urkundenmaterial aus Hákon Hákonarsons Regierungszeit zeigt deutlich, dass wirtschaftliche und diplomatische Allianzen mit vielen europäischen Monarchien dieser Zeit, unter anderem mit Dänemark, Frankreich, Deutschland und England, von norwegischer Seite initiiert wurden. Hákons Bestreben war es, sein Reich nach dem Vorbild der führenden europäischen Reiche zu formen, und so pflegte er intensiven Kontakt zu Herrschern wie beispielsweise dem deutschen Kaiser Friedrich II.Þiðreks saga af Bern5 Das gute Verhältnis zwischen den beiden wird in der Hákonar saga Hákonarsonar betont, die als wichtige Quelle zu Hákons Leben und Wirken angesehen wird.6 Einen weit intensiveren Kontakt hatte Hákon jedoch zum englischen König Heinrich III., mit dem er Briefe und Geschenke austauschte. In seiner prosopographischen Untersuchung der reisenden Skandinavier in Europa zwischen 1000 und 1250 stellt Dominik Waßenhoven fest, dass die Hälfte aller Reisen, die die Norweger in dieser Zeit unternahmen, nach England führten.7 Dies ist zum einen durch die Intensivierung der Handelsbeziehungen, zum anderen durch das freundschaftliche Verhältnis zwischen Hákon und Heinrich III. zu erklären. Bis nach Tunesien sollen Hákons Gesandte gekommen sein, um dem Sultan preisgekrönte Falken zu überreichen. Der Höhepunkt seiner Allianzen mit den kontinentaleuropäischen Königshöfen wurde mit der Heirat seiner Tochter Kristín und des Bruders des spanischen Königs, Don Felipe, erreicht.riddarasögur8

      Durch Kontakte zu anderen europäischen Höfen, vor allem aber zum anglonormannischen Königshof, kam Hákon auch mit der höfischen Literatur in Berührung. Von ihm stammt der Impuls für deren Übersetzungen ins Norröne: Als 22-Jähriger ließ er im Rahmen seiner Kulturpolitik den altfranzösischen Stoff um Tristan und Isolde von Bruder Robert übersetzen. Auskunft darüber gibt die Saga selbst.9

      Die überaus produktive Übersetzungstätigkeit in Hákons Zeit umfasste literarische

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