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Schweden erlangte der ehemalige Reichsverweser Karl KnutssonKarl Knutsson Bonde die Königswürde.30 Die Wahl Karls Knutsson, die eine eindeutige Verletzung der vereinbarten Unionsverträge darstellt, ist ein deutliches Indiz dafür, dass die nationalen Tendenzen in Schweden nun dominanter geworden sind.31 Die Bestrebungen der beiden Könige galten fortan der Sicherung der Insel Gotland sowie des noch freien norwegischen Throns. Die darauffolgenden Verhandlungen in Halmstad im Mai 1450 legten eine unionistische Thronfolgeregelung unter Einbezug der Söhne der beiden Könige fest, was durch den dänisch-norwegischen Unionsvertrag von Bergen 1450 wieder revidiert wurde, indem die dänisch-norwegische Thronfolge nur den Söhnen Christians vorbehalten blieb.32

      Die Regierungszeit Karl KnutssonKarl Knutsson Bonde war außenpolitisch von der Konfrontation Schwedens mit Dänemark, innenpolitisch durch die Konflikte des Adelskönigs in Fragen des kirchlichen Eigentums, Lehenvergabe und „Steuerplünderung des gemeinen Mannes“33 geprägt. 1457 wurde unter der Führung des Erzbischofs Jöns Bengtsson (Oxenstierna) mit der Unterstützung seiner Verwandten Oxenstierna/ Vasa ein landesinterner Aufruhr gegen Karl Knutsson initiiert. Der Opposition der schwedischen Aristokratie schloss sich auch das Volk vom Lande an: Karl Knutsson wurde daraufhin abgesetzt und durch Christian I. abgelöst, der im Zeitraum 1457–1464 nun zum alleinigen Unionskönig wurde. Bis zu seinem Tod 1470 wurde Karl Knutsson noch zweimal 1464/65 sowie 1467 zum König berufen, hatte politisch jedoch kaum noch Einfluss. Nach seinem Tod wurde der Schritt zu einem erneuten Adelskönigtum nicht wieder gewagt.

      Nach dem Tod Karls Knutsson konnte sein Neffe Sten Sture der Ältere das Amt des schwedischen Reichsverwesers übernehmen und nach dem Sieg über Christian I. bei Brunkenberg bis 1497 seine Macht in Schweden ausüben, bevor er von Christians Sohn Hans verdrängt wurde. 1501 konnte Sten Sture nach einem erfolgreichen Aufstand seine Stellung zurückerlangen. Seine Regierungszeit wurde von der betont schwedischen Reichspolitik gekennzeichnet, die unter anderem in der Gründung der Universität Uppsala im Jahre 1477 ihren Ausdruck fand.34 Das Ende der Kalmarer UnionKalmarer Union wurde mit dem sogenannten Stockholmer Blutbad besonders gewaltsam herbeigeführt, als der letzte Unionskönig Christian II. seine Unionsbestrebungen durch die Beseitigung der schwedischen Opposition im Anschluss an die Krönungsfeierlichkeit am 8. November 1520 durchsetzen wollte. Damit verlor er nicht nur den schwedischen, sondern 1523 auch den dänischen und norwegischen Thron und die Kalmarer Union wurde damit Geschichte.35

      Diese knappe Darstellung der Ereignisse des 15. Jahrhunderts in Schweden soll als historische Orientierungsgrundlage für die folgenden Kapitel bei der Interpretation der Texte in den für diese Arbeit relevanten schwedischen SammelhandschriftenSammelhandschrift dienen. Wirft man einen Blick auf deren Datierungen, so lässt sich festhalten, dass die älteste der vier schwedischen Handschriften, Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4 auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, vermutlich um 1420 datiert werden kann, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a ist zwischen 1449 und 1463, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 um 1488 und AM 191 fol.AM 191 fol. um 1492 entstanden, während die dänische Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 auf 1480 datiert wird.36 Alle Handschriften wurden zur Zeit der Kalmarer UnionKalmarer Union in Auftrag gegeben und verfasst, obgleich sie Texte enthalten, die schon deutlich früher ihren Weg in den Norden gefunden haben oder sonst nicht überliefert sind. Wie bereits erwähnt, bediente sich Karl KnutssonKarl Knutsson Bonde der literarischen Gattung der Historiographie, um sein betont nationales konstitutionales Königtum zu legitimieren, weshalb er die Reimchronik KarlskrönikanKarlskrönikan in Auftrag gab. Die Historiographie war nach Zernack sein wichtigstes Herrschaftsmittel: „Die Schwachheit seiner Stellung zwang ihn, literarisch, historisch und propagandistisch sein schwankendes Königtum“37 zu begründen – damit erhielt die Historiographie Schwedens einen großen Auftrieb.38 An dieser Stelle ist die Interdependenz der literarischen und politischen Faktoren im Schweden des 15. Jahrhunderts offensichtlich. Auch Ingvar Andersson schreibt 1928: „Karl Knutsson hade skarp blick för den litterära verksamheten som faktor i det politiska spelet“.39 Die volkssprachigen Reimchroniken, unter anderem die von ihm in Auftrag gegebene Reimchronik Karlskrönikan, erhielten eine dominante Stellung, als die Historiographie im 15. Jahrhundert in Schweden als Waffe im politischen Machtkampf eingesetzt wurde.40 Im Hinblick auf die anderen Chroniken dieser Zeit, die Prosaiska KrönikanProsaiska Krönikan sowie Den lilla RimkrönikanDen lilla rimkrönikan, welche in den Handschriften Cod. Holm. D3 und Cod Holm. D4 enthalten sind, merkt Bengt R. Jonsson an: „Men givetvis kan också politiska synpunkter ha bestämt själva urvalet av texter“.41

      Die historiographische Literatur besitzt das Potenzial, mentalitätsbildend zu wirken, sie „bemüht sich um den Sinn, und Sinn ist, was Kulturen konstruiert, nicht was der Geschichte immanent ist“.42 Die Geschichtsschreibung konnte, politisch oder heilsgeschichtlich konzentriert, Vergangenheit an die Gegenwart anknüpfen und als Propaganda-Werkzeug dienen.43 Sicherlich war es nicht nur der historiographischen Literatur vorbehalten, als Werkzeug didaktischer, ideeller und politischer Ideen und Orientierungsnormen zu fungieren. Die für die vorliegende Untersuchung relevanten Gattungen – chansons de gestechansons de geste, riddarasasögur, höfischer Roman – beinhalten neben der unterhaltenden Funktion auch die belehrende, vermittelnde Komponente. Wenn Karl KnutssonKarl Knutsson also einen scharfen Blick für die literarische Aktivität als Faktor im politischen Spiel hatte, kann man davon ausgehen, dass der schwedische Hochadel aus dem Umfeld Karls, dessen Angehörige als Auftraggeber dreier von insgesamt vier schwedischen Handschriften fungierten, an zeitgenössischen politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen auf der Ebene der Literaturproduktion teilnahm. Es ist daher sinnvoll, einen genauen Blick auf die Auftraggeber und die Besitzer der Handschriften zu werfen, um sie dann in den historischen Hintergrund der turbulenten Ereignisse des 15. Jahrhunderts einzuordnen.

      3.3. Universitas nobilium, regimen regale und regimen politicum

      Die schwedische und dänische Aristokratie spielte eine entscheidende Rolle in der Gestaltung der Unionspolitik des 15. Jahrhunderts. Bereits das Zustandekommen der Kalmarer UnionKalmarer Union 1397 wird in der Forschung auf den aristokratischen Konsens zurückgeführt.1 Olesen charakterisiert daher die Kalmarer Union als universitas nobilium.Kalmarer Union2

      Sicherlich stellte der schwedische wie auch der dänische Hochadel keine homogene Gruppierung dar, einige gemeinsame Tendenzen können jedoch festgehalten werden: Offensichtlich wurde von der Aristokratie das regimen politicum angestrebt, eine Herrschaftsform, die den königlichen Einfluss mindert und die Machtaufteilung zwischen der Krone, der Kirche und der Aristokratie auf der Basis eines Wahlkönigtums vorsieht, während das regimen regale die monarchische Auffassung repräsentiert, die vom Erbkönigtum und einem zentralen Staat ausgeht.3 Das Unionskönigtum gewährte der Aristokratie adelige Freiräume und Machtzuwachs. Doch sobald wirtschaftliche und politische Chancen für den indigenen Adel gefährdet schienen – etwa durch die Vergabe der wichtigen politischen Ämter und Schlosslehen an dänische oder deutsche Adlige – , kam es zu Widerständen. So erscheint die Entwicklung der separatistisch-nationalen und antidänischen Tendenzen innerhalb des schwedischen Adels nachvollziehbar. Demgegenüber waren die Dänen aufgrund der offensichtlichen Vorteile, welche die Union ihnen bieten konnte, an deren Weiterexistenz interessiert, unter anderem wegen der Vergabe der bereits erwähnten politischen Ämter, Schlosslehen oder Kirchenpfründen.4

      Generell lassen sich nach Zernack drei Perioden der Kalmarer UnionKalmarer Union ausmachen: Erstens, eine Reformperiode der Herrschaft Eriks von PommernErik von Pommern, ein Sieg des regimen regale, gekennzeichnet durch die Stärkung der königlichen Macht, deren Ende durch den gewaltsamen Aufstand von Engelbrekt Engelbrektsson herbeigeführt wird. Zweitens, eine Restabilisierung des ratsaristokratischen Übergewichts unter der Regierung Christophs von Bayern (1442–1448) und Karls KnutssonKarl Knutsson Bonde (1448–1470, mit drei Unterbrechungen). Die dritte und letzte Phase ist geprägt durch den Ausgleich der drei treibenden Faktoren, der Zentralmacht, der Aristokratie und der popularen Kräfte.5 Abschließend hierzu sei noch angemerkt, dass die höchsten Kirchenämter häufig mit den Angehörigen der mächtigen Adelsfamilien besetzt waren, welche als Mitglieder der Reichsräte auch aktiv am politischen Geschehen teilnahmen.6

      3.4. Die schwedische Elite und ihre Codices

      Nachdem

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