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diskutiert, die interkulturelle „Übertragung und Vermittlung von Texten, Diskursen, Medien und kulturellen Praktiken“7 umfassen. Hier wird der Übergang „von einem lokalen zu einem mobilen Paradigma des Kulturbegriffs“8 indiziert. Lutz Musner warnt aber gleichzeitig davor, sich bei Transferforschung nicht zu sehr auf das Imaginäre zu konzentrieren, sondern auch die materiellen Rahmungen der Transfers zu berücksichtigen.9

      2.4.3. Kulturtransferanalyse

      Kultur wird definiert als ein veränderliches Kommunikationssystem,1 bei dem geschlossene Kulturräume und Identität abgeschafft werden und Kultur als Ergebnis von interkulturellen Differenzierungsprozessen erscheint, die „kulturelle Kontexte dem Fremden öffnen und sie zugleich durch und gegen fremde ‚Identität‘ befestigen“.2 Mit dieser kommunikationstheoretischen Ausrichtung des Kulturbegriffs operiert nun die Transferforschung und rekonstruiert anhand von drei, zunächst etwas schematisch zusammengefassten, Prozessen die Dynamik der Transfervorgänge: Durch eine sorgfältige Analyse der Selektions-, Vermittlungs- und Rezeptionsprozesse lassen sich so die Fragen nach den Intentionen, den Wegen und den Re-Integrationsmöglichkeiten kultureller Artefakte beantworten. Die Selektionsprozesse beschreiben die Formen der Auswahl von Objekten, Texten und Diskursen in der Ausgangskultur, die nach Lothar Jordan und Bernd Kortländer durch technisches, praktisches oder ideologisches Interesse bestimmt werden.3 Die Vermittlungsinstanzen – personal (z.B. Reisende, Händler, Übersetzer, etc.), institutionell (Klöster, Universitäten, Verlage) oder medial (Hörfunk, audio-visuelle Medien) agierend – transferieren kulturelle Artefakte in die neue Kultur. Letztlich sind die Rezeptionsprozesse zu untersuchen, welche beleuchten, wie die transferierten Objekte, Texte, Diskurse oder Praktiken im neuen sozialen und kulturellen Horizont adaptiert werden.4 Lüsebrink unterscheidet fünf Formen der Rezeption: Während die Übertragung eine möglichst originalgetreue Form in Bezug auf die Ausgangskultur nachzuahmen sucht, wie es bei einer Übersetzung oder einem Nachbau der Fall sein kann, sind bei der Nachahmung, einer Form „epigonaler Neuschöpfungen“,5 fremdkulturelle Muster noch erkennbar. Mit kultureller Adaption werden Formen kultureller Veränderungen im Hinblick auf die Spezifika der Zielkultur bezeichnet. Daneben beschreibt Lüsebrink Kommentarformen und produktive Rezeption, zu der sowohl die Prozesse der kulturellen Umdeutung als auch die des negativen Transfers gehören, als die letzten beiden Rezeptionsformen.6 Sicherlich lassen sich die Transfervorgänge für die Neuzeit, die Moderne und das Zeitalter der Globalisierung expliziter und präziser beschreiben als für das Mittelalter.

      2.4.4. Kulturtransferkonzeption für mediävistische Räume

      Die Applizierbarkeit des vorgestellten kulturwissenschaftlichen Konzeptes auf die mediävistischen Zeit- und Kulturräume scheint ob der Überlieferungslage der kulturellen Artefakte nicht immer einfach. Auch die dem Mittelalter als Epoche zugeschriebene Anonymität der Überlieferung erschwert zunächst die Vorgehensweise, wie sie für die Neuzeit und Moderne konzipiert wurde. Dennoch gibt es eine Reihe von mediävistischen Arbeiten, die sich dieses Konzeptes produktiv bedienen.Roland1 Doch es ist gerade die stets kritisierte konzeptuelle Offenheit der Transferforschung,2 die diesen Ansatz multiapplikabel macht, ihm den „Charakter eines Korrektivs gegenüber vorangegangenen und noch bestehenden Forschungskonzepten“3 verleiht. Freilich muss den Spezifika mediävistischer Kulturräume Rechnung getragen werden: Die Transferforschung müsse sich von nationalgeschichtlich geprägten Räumen der Neuzeit und Moderne lösen, was jedoch aus mediävistischer Perspektive ohnehin selbstverständlich erscheint, so RolandRoland Scheel.4 Das europäische Mittelalter sei von nationes, verwandtschaftlich, religiös, kulturell-sprachlich und ökonomisch ausgerichteten Kulturarealen geprägt gewesen.Roland5 Die Ausgangs- und Zielkulturen für den Untersuchungsraum zu definieren, macht eine feinfühlige Selektion von Kriterien erforderlich, da es sich nicht um Länder, Nationen oder Staaten handelt, denen die Textzeugnisse entstammen, auch Kirchen- und Konfessionszugehörigkeiten oder die sprachliche Verwandtschaft sind als alleinstehende Merkmale irreführend. Für eine Differenzierung von mediävalen Kulturräumen ist eine Kumulation von Kriterien nötig, wie etwa Religion, Sprache, Schrift, Recht, Wirtschaft, Verfassung etc.6

      Weiterhin ist bei Transfers im Mittelalter also nicht von linearen, hierarchischen Prozessen auszugehen, sondern von asymmetrischen Transferprozessen, die zwischen zwei, lokal wie zeitlich, voneinander entfernten Kulturarealen stattfinden.7 Dabei ist die zeitliche Verschiebung, der ein Rezeptionsprozess stets unterliegt – in der vorliegenden Untersuchung sind es immerhin etwa drei Jahrhunderte – der einfachste Typ von Asymmetrie. Analog dazu ist von einer räumlich-geographischen Asymmetrie bei Transferprozessen auszugehen. Hier möchte Kugler eine Binnendifferenzierung vornehmen und mit den Begrifflichkeiten Nahdistanz und Ferndistanz operieren, um so die Transferprozesse zum einen zwischen verschiedenen volkssprachigen Kulturen innerhalb Lateineuropas, zum anderen zwischen Lateineuropa und dem Islam oder dem Fernen Osten zu untersuchen.8 Bihrer plädiert allerdings in diesem Zusammenhang für eine kommunikationsgeschichtliche Ausweitung des Kulturtransferbegriffs sowie für das Konzept der mittleren Distanz, das kein abgeschlossener dritter Bereich, sondern als „Kontinuum zwischen den beiden Polen Nähe und Ferne zu denken“9 sei. Als Ausgangspunkte der Untersuchung sind Akteure, Begegnungen, Transfers und Erinnerungsakte zu wählen, statt von „scheinbaren Entitäten wie vormodernen Nationen, Herrschaftsräumen oder der Christenheit“10 auszugehen. Hiermit korreliert auch Kuglers Konzept der mediävistischen Kulturtransferforschung: Er entwirft eine Reihe an Fragen, die zwar nicht die Verbindlichkeit einer Methode beanspruchen, aber einer pragmatischen Herangehensweise durchaus behilflich sein können.11 Eine allgemeine und „ubiquitär anwendbare Theorie des Kulturtransfers“12 wird wohl vorerst ein Desiderat bleiben.

      2.4.5. Memory Studies – Transfer von kulturellen Texten

      Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses wurde von Jan und Aleida Assmann unter Rückgriff auf Maurice Halbwachsʼ Konzept des kollektiven Gedächtnisses entwickelt.1 Im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis, das durch den Geschichtshorizont der Zeitgenossen abgedeckt ist, sind „mythische, als die Gemeinschaft fundierend interpretierte Ereignisse einer fernen Vergangenheit“2 Gegenstand des kulturellen Gedächtnisses. Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Medium Literatur zu, sie stellt eine Weise der Gedächtniserzeugung unter anderen dar.3 Nach Aleida Assmann wird zwischen kulturellen und literarischen Texten unterschieden, deren Lesarten nicht aus den ihnen inhärenten Merkmalen entstehen, sondern durch den Rezeptionsrahmen, d.h. durch den „dezisionistischen Akt“4 des Rezipienten, bestimmt werden. Zusammengefasst zeichnen sich kulturelle Texte – um die es im Folgenden gehen soll – in Abgrenzung zu literarischen Texten durch einen besonderen kanonischen, für Aleida Assmann kulturellen, Status aus. Sie erhalten dadurch eine zusätzliche Sinndimension, die durch Vermittlung von Konzepten kultureller, nationaler oder religiöser Identität sowie kollektiv geteilter Werte und Normen zu einer – aus rezeptionsästhetischer Sicht – sich von den literarischen Texten unterscheidenden Textexegese auffordert. Eine Identifikation des Rezipienten mit dem Text, das Verlangen nach Aneignung von Wissen, Verehrung, ein wiederholtes Studium, Ergriffenheit – all das zeichnet kulturelle Texte aus.

      Während literarische Texte mit ihren Leerstellen prinzipiell einer Sinnstiftung durch den Horizont des Rezipienten offen, polyvalent und unverbindlich sind, verlieren kulturelle Texte einerseits ihre Standortgebundenheit und Mehrdeutigkeit, gewinnen dadurch hingegen andererseits an kultureller Tiefendimension.5 Die Teilhabe am kulturellen Text indiziert Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe als Ersatz für genetisch gesteuerte Identität.6

      Die Gattung der französischen chansons de gestechansons de geste, welche die Ereignisse des fränkischen heroic ageheroic age beschreibt, fungiert als Medium des kulturellen Gedächtnisses, ähnlich wie die Gattung der isländischen fornaldar- und íslendingasögur. Die fiktional aufgearbeitete Geschichtsauffassung bildet in einem logisch dargestellten Narrativ einen Vergangenheitsbezug, verweist auf den ‚Fernhorizont‘ der jeweiligen Kultur und schafft so die Vision einer geteilten Vergangenheit als Identifikationsangebot. Die französische Nationalgeschichte wird anhand der Heldenlieder um Karl den Großen aus dem Stoffkreis der matière

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