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Stoffe in die Volkssprachen des ostnordischen Kulturraums nimmt ihren Anfang mit den sog. EufemiavisorEufemiavisor, drei im Knittelvers verfassten Versromanen, Herr IvanHerr Ivan (1303), Hertig Fredrik af NormandieHertig Fredrik af Normandie (1308) und Flores och BlanzeflorFlores och Blanzeflor (1311/1312), laut Stefanie Würth „die ältesten in altschwedischer Sprache enthaltenen Beispiele des mittelalterlichen höfischen Romans“.5 Hier erfolgte die literarische Produktion über dynastische Verbindungen zwischen Norwegen und Schweden auf Initiative der deutschstämmigen norwegischen Königin Eufemia, so dass der soziokulturelle Hintergrund, nämlich das höfische Milieu, für die Transmission von größter Bedeutung ist.Eufemiavisor6 Die Adaptionen kontinentaler Stoffe brachten neben den zentralen Figuren der europäischen Literatur auch neue Gattungen und innovative Impulse im Umgang mit der Fiktionalität mit sich, was wiederum zur Herausbildung einer neuen Gattung beitrug, der sog. originalen riddarasögurriddarasögur oder Märchensagas, „a strange mix of the translated sagas and domestic genre the fornaldarsögur“.riddarasögur7

      1.3. Forschungshistorische Kontextualisierung

      Die literaturhistorische Nähe der ostnordischen Textzeugnisse der Karlsdichtung zu den übersetzten riddarasögurriddarasögur ist sowohl auf der stoffgeschichtlichen Ebene als auch in Bezug auf die handschriftliche Transmission greifbar, so dass ein kurzer forschungsgeschichtlicher Überblick die Problematik einer Marginalisierung seitens der traditionellen altnordischen Literaturgeschichtsschreibung beleuchten wird.

      1.3.1. Ältere Forschung: Übersetzte riddarasögur

      In das heterogene Korpus der übersetzten riddarasögurriddarasögur, d.h. zunächst altnorwegischer Adaptionen kontinentaler höfischer Stoffe, wurde bereits im vorangegangenen Kapitel eingeführt. Die kanonisierende Ausgrenzung, von der Glauser in Bezug auf übersetzte Texte spricht, ist in der Dichotomie übersetzt vs. originär verankert: Übersetzungen werden als „voraussagbar triviale Verfallsprodukte“1 betrachtet. Diese rezeptionsästhetische Wertung ist implizit auf den originalzentrierten Text- und Gattungsbegriff zurückzuführen. Gerade hinsichtlich der Bedeutung der Hauptgattungen der westnordischen Literatur, der Skaldik, der Edda und der Saga als Medien zur Konstruktion des norwegisch-isländischen kulturellen Gedächtnisses lässt sich die Präferenz der älteren Forschung erklären, die Adaptionen epigonaler Gattungen, fremder narrativer Modi und unbekannter Protagonisten als „ästhetisch anspruchslose Texte“2 aufzufassen.

      Das Interesse der älteren Forschung richtete sich demnach zunächst auf die texteditorischen sowie quellenhistorischen Aspekte der übersetzten riddarasögurriddarasögur. Zu nennen sind hier die immer noch grundlegenden Arbeiten der Forscher Carl Richard Unger und Gustaf Cederschiöld,Karlamagnús saga ok kappa hansriddarasögur3 auf deren Texteditionen der riddarasögur auch heute noch zurückgegriffen wird. Einen wichtigen Beitrag zu den quellenhistorischen Fragen der einzelnen Sagas stellen die zahlreichen Publikationen Eugen Kölbings dar.riddarasögur4 Im Folgenden wird zunächst die Entwicklung der riddarasögur-Forschung kurz skizziert, um anschließend auf die neuesten Tendenzen einzugehen.

      Mit dem Ausgangspunkt in den intertextuellen Verschränkungen der übersetzten riddarasögurriddarasögur mit dem kulturellen Rahmen der mittelalterlichen europäischen Literatur befassen sich Forscherinnen wie Marianne E. Kalinke und Geraldine Barnes, deren Arbeiten sich schon frühzeitig als wegweisend in der riddarasögur-Forschung erwiesen. So stellt Barnes die Gattung riddarasögur nicht nur in die Nähe der íslendingasögur und des französischen höfischen Romans, sondern sieht in ihnen Parallelen zum Fürstenspiegel, dem englischen und französischen Prosaroman des 15. Jahrhunderts und dem mittelenglischen Versroman.riddarasögur5 Auch Marianne E. Kalinke untersucht in zahlreichen Abhandlungen detailliert die Rezeption arturischer Versromane in Skandinavien.6

      In seiner 1982 erschienen Dissertation kritisiert Bernd Kretschmer den Mangel an konkreten Untersuchungen der einzelnen Texte mittels moderner literaturwissenschaftlicher Methoden.7 Auch Jürg Glauser postuliert noch im Jahre 1998 in seiner Publikation zu Textüberlieferung und Textbegriff im spätmittelalterlichen Norden, es sei für den Stand der Altnordistik symptomatisch, dass

      die zwei bisher deutlichsten Reaktionen auf die Herausforderung des mediävistischen Textverständnisses, die spätestens durch die internationale Diskussion über Bernard Cerquiglinis Buch Éloge de la variante hervorgerufen wurde, hauptsächlich auf die editionstechnischen Aspekte des Komplexes eingingen […], während die mehr texttheoretischen Implikationen der New PhilologyNew Philology bisher ausgeklammert wurden.8

      1.3.2. Jüngere Forschung: „Kontexte statt nur Texte“

      Erfreulicherweise zeigt eine Reihe von Publikationen jüngeren Datums, dass die Auseinandersetzung mit den übersetzten riddarasögurriddarasögur durch den Theorienpluralismus und einen erweiterten Textbegriff einen Zugewinn an Erkenntnissen ermöglichen kann. Die Verlagerung des Interesses vom Prozess der Entstehung auf den der Rezeption sowie auf die Transmission stellen Neuerungen innerhalb der altwestnordistischen Forschungscommunity dar. Den Ansatz, diese Texte in ihren vielschichtigen Transmissionsprozessen zu erfassen, sie als Intertexte in einem literarischen Feld samt ihren Überlieferungszusammenhängen, ihrem intertextuellen und häufig auch interkulturellen Bezugsrahmen unter Einbeziehung rezeptionsästhetischer sowie literatursoziologischer Fragestellungen zu begreifen, verfolgt unter anderem Jürg Glauser in seinen Publikationen.1 Susanne Kramarz-Bein befasst sich in ihren Arbeiten mit den kontextuellen Bezügen der Karls- und Dietrichepik im Rahmen der hansischen und höfischen Kultur- und Literaturbeziehungen in Norwegen des 13. Jahrhunderts. Die Applikation der literarischen Netzwerktheorie am Beispiel der vernetzten literarischen Milieus in der höfischen Literatur stellt einen zentralen Aspekt der jüngsten Forschung Kramarz-Beins dar.Þiðreks saga af BernKarlamagnús saga ok kappa hans2

      Die hochmittelalterliche Transmission von Texten an den norwegischen Hof war der Schwerpunkt des von 2007–2010 an der Universität Oslo angesiedelten Projektes Translation, Transmission and Transformation. Old Norse Romantic Fiction and Scandinavian Vernacular Literacy 1200–1500 unter der Leitung von Karl G. Johansson, welches neben den Themen um fornaldarsögur norðlanda und fornsögur suðrlanda vor allem die Einführung der europäischen Kultur durch Übersetzungen altfranzösischer Dichtung ins Altwestnordische zum Thema hatte.3 Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang Stefka Georgieva Eriksens Abhandlung Writing and Reading in Medieval Manuscript Culture: the Translation and Transmission of the Story of Elye in Old French and Old Norse Literary Context4 sowie Sif Rikhardsdottirs Medieval Translations and Cultural Discourse. The Movement of Texts in England, France and Scandinavia.5 Beide Publikationen widmen sich der Transmission und Übersetzung kontinentaler Texte ins Altwestnordische und beleuchten dabei deren Rezeption und Akkulturation in verschiedenen Stadien der handschriftlichen Überlieferung.

      Dieser einführende Überblick verdeutlicht, dass theoriegestützte kontextanalytische und transmissionszentriete Studien zu den einzelnen Texten aus dem Korpus der übersetzten riddarasögurriddarasögur sich zu einem der Schwerpunkte jüngerer Forschungen entwickelt haben.

      1.3.3. Altostnordistik: Tendenzen älterer und jüngerer Forschung

      Zu einer Marginalisierung der mittelalterlichen Literaturen Dänemarks und Schwedens innerhalb der älteren skandinavischen Literaturgeschichten trugen weniger sprachliche als vielmehr gattungsspezifische und überlieferungshistorische Aspekte bei: Die bereits oben erwähnten genuinen Hauptgattungen der westnordischen Literatur sind zwar – was ihre materielle Überlieferung betrifft – Zeugnisse einer hochmittelalterlichen, vom Christentum geprägten Kultur, ihr Ursprung liegt jedoch in der vorchristlichen, heidnischen Kultur des Nordens.1 Im Gegensatz dazu sind die altostnordischen Literaturen im Wesentlichen kontinental geprägt und beinhalten neben den religiösen Gattungen wie Legenden, Mirakel, Viten, Bibelübersetzungen und Psalmen auch weltliche, wie etwa Gesetze, Hagiographie, Chroniken, höfische Versromane und Balladen, die sich ebenfalls an christlich-ästhetischen Werten orientieren.

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