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darstellen, die interdisziplinär untersucht wird, da in ihr sinn-, kohärenz- und identitätsstiftende Eigenschaften zum Tragen kommen, die einen Blick in kognitive Prozesse ermöglichen. Der in diesem Zusammenhang bereits gefallene Begriff der Komplexität bezieht sich nicht nur auf die kognitiven Grundlagen bei der Produktion von Erzählungen, sondern auch auf ihre sprachliche Realisierung sowie ihre Einbettung in eine bestimmte kommunikative Situation. Die Analyse von derart komplexen Texten, wie Erzählungen sie darstellen, bedürfen eines klar definierten Instrumentariums, um Planungsprozesse und sprachliche Strukturen im Hinblick auf die Informationsorganisation beschreiben zu können.

      Erzählungen werden in der vorliegenden Analyse im Sinne des Quaestio-Ansatzes, der im folgenden Kapitel ausführlich behandelt wird, als eine komplexe Antwort auf eine einleitende Frage aufgefasst. Im folgenden Kapitel wird erläutert, wie sich eine einleitende Frage auf den Aufbau der Erzählung auswirkt und wie der Quaestio-Ansatz als Analyseinstrument für das Datenkorpus nutzbar gemacht werden kann.

      3. Der Quaestio-Ansatz

      Der Quaestio-Ansatz (vgl. Klein & von Stutterheim 1987, 1992, 2002 sowie von Stutterheim 1997) versteht einen Text und somit auch Erzählungen als komplexe Antwort auf eine explizite oder implizite Frage (= die Quaestio) im Sinne eines Redeanlasses, der die Produktion eines Textes einleitet. Die Quaestio wird als Auslöser für den Textplanungsprozess gesehen, der auf einer globalen Planung basiert (von Stutterheim und Klein 2008).

      Ein Erzähltext baut beispielsweise auf folgende Fragen auf:

      Was geschah zum Zeitpunkt tn?

      Was geschah zum Zeitpunkt tn +1?

      Was geschah zum Zeitpunkt tn +2?

      Was geschah zum Zeitpunkt tn +3?

      Die Frage schafft eine Gesamtvorstellung bzw. einen Rahmen für eine Antwort, innerhalb dessen sich der Sprecher für die Beantwortung der Frage bewegt. Die Frage hat somit als Strukturierungsgröße die Funktion, unterschiedliche Komponenten der relevanten Informationen kontextgerecht zu verbinden (Klein und von Stechow 1982). Im folgenden Kapitel werden der Quaestio-Ansatz sowie seine Relevanz für die vorliegende Arbeit behandelt.

      Im Kapitel 2.3. wurde bereits auf die Struktur von Erzählungen sowohl im Hinblick auf ihren prototypischen Aufbau (vgl. narrative schema nach Labov und Waletzky 1967) als auch in Bezug auf die Makrostruktur eingegangen, die nach van Dijk (1977) der Planung eines strukturierten und kohärenten Textes zugrunde liegt. Kohärenz entsteht nach van Dijk durch die Überführung von einzelnen Sätzen in eine übergeordnete Makrostruktur. Ein Text beruht somit auf einer hierarchischen Struktur, die sich aus Makro- und Mikrostrukturen zusammensetzt (van Dijk 1977).

      Diese Konzeption des Textes erfasst jedoch nicht alle relevanten Eigenschaften, die in folgenden Fragen thematisiert werden (vgl. von Stutterheim & Carroll 2018):

      1 Wie lässt sich das Verhältnis in Bezug auf den Textaufbau zwischen Makro- und Mikrostrukturen beschreiben?

      2 Inwiefern kommen beim Aufbau einer Makrostruktur einzelsprachliche Faktoren zum Tragen?

      Der Quaestio-Ansatz versucht die oben erwähnten Lücken mit folgenden Mitteln zu kompensieren:

      Der Quaestio-Ansatz führt durch eine redeeinleitende Frage (die Quaestio) einen makrostrukturellen Rahmen ein, innerhalb dessen sich Äusserungssequenzen einer Antwort auf eine gegebene Frage zu einem kohärenten Text zusammensetzen.

      In other words, the quaestio introduces a macro structural frame which provides sufficient criteria for the speaker to construct information at the micro-level in accordance with requirements for coherence at a global level. (von Stutterheim & Carroll 2018)

      Dieser Ansatz, der für die vorliegende Arbeit als Analysewerkzeug für die Untersuchung von Erzähltexten genutzt wird, bietet aus folgenden Gründen ein geeignetes Analyseinstrument für die zentralen Fragestellungen dieser Arbeit:

      1 Der Quaestio-Ansatz leistet einen fundamentalen Beitrag zur Integration der makro- und mikrostrukturellen Ebene eines Textes, da sowohl die globale Organisation von Texten (vgl. Unterscheidung Vordergrund und Hintergrund oder Episodengliederung) sowie ihre mikrostrukturelle Umsetzung auf Äusserungsebene (anaphorische Mittel, Wortstellung, Thema-Rhema-Gliederung) berücksichtigt wird (Klein und von Stutterheim 1992, 2002). Der Ansatz liefert in diesem Sinne Einblicke in die Art und Weise, wie Informationen in den hier zugrundeliegenden Erzähltexten organisiert werden. Er verdeutlicht die Prinzipien, nach denen der Sprecher Informationen selegiert und strukturiert, um einen kohärenten Text zu produzieren. Die Quaestio stellt folglich einen Zusammenhang zwischen der Gesamtstruktur des Textes und der Informationsorganisation einzelner Äusserungen her (Klein & von Stutterheim 1992).

      2 Aufgrund des Zusammenhangs, der zwischen der globalen und lokalen Ebene der Textplanung hergestellt wird, stellt der Quaestio-Ansatz somit ein Instrument dar, um informationsstrukturelle Organisationsmuster nicht nur auf Satzebene, sondern auch auf Textebene herausarbeiten zu können (was in Bezug auf informationsstrukturelle Studien noch kaum durchgeführt wird, Lambrecht 1994).

      3 Als Ansatz, der sich an der Schnittstelle zwischen psycho- und textlinguistischen Fragestellungen platziert, wird die Komplexität des Textplanungsprozesses ausgehend vom Sprecher betrachtet, bei dem die syntaktischen, semantischen und pragmatischen »Fäden« für die Planung von Texten zusammenlaufen. Der Text wird in diesem Sinne als Ergebnis eines dynamischen Prozesses und nicht als statisches Produkt angesehen (Klein & von Stutterheim 1992). Der Sprecher trifft dabei Entscheidungen, die Einblicke in makrostrukturelle Planungsprinzipien ermöglichen.

      Der zentrale Ausgangspunkt für die Erfassung des Quaestio-Ansatzes beruht auf der strukturierenden Kraft, die einer redeeinleitenden Frage innewohnt. Durch eine Frage, sei sie explizit wie »Wie sieht eigentlich Euer neues Haus aus?« oder nur gedacht bzw. implizit, werden Beschränkungen für die Antwort auferlegt.

      Die Quaestio wirkt sich auf die folgenden textkonstituierenden Prozesse aus (von Stutterheim & Carroll 2018):

      1 Selektion von Informationen, die in der Antwort verbalisiert werden.

      2 Die Muster für die Kohärenzbildung und die Ereignisverknüpfung bzw. Linkage (von Klein und von Stutterheim als referentielle Bewegung bezeichnet).

      3 Die Informationsstruktur (Topik-Fokus-Organisation, vgl. Kapitel 3.3. für eine Diskussion der Begrifflichkeiten Topik und Fokus).

      Die Wahl der sprachlichen Mittel seitens des Sprechers, um innerhalb des gegebenen makrostrukturellen Rahmens seine Antwort zu spezifizieren, wird von Vorgaben beeinflusst, die als inhaltliche und strukturelle Vorgaben bezeichnet werden (von Stutterheim 1997, Klein und von Stutterheim 1992, 2002).

      3.1. Vorgaben der Quaestio für die Textplanung

      In den folgenden Abschnitten wird aufgezeigt, wie sich die Quaestio gliedernd auf die Textplanung auswirkt. Dieses strukturierende Moment der Quaestio zeigt sich anhand von Vorgaben, die die Quaestio sowohl inhaltlich als auch strukturell für einen Text macht.

      Die Quaestio wirkt sich auf die inhaltliche Planungsseite eines Textes aus, indem sie die Auswahl und die Organisation von Informationen beeinflusst, die in einem Text spezifiziert werden. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang drei Geltungsbereiche, in denen die Quaestio als strukturierende Kraft wirksam wird. Es handelt sich dabei um:

       die Schaffung eines referentiellen Rahmens innerhalb dessen die zu spezifizierenden Informationen organsiert werden

       die Auswirkung der Quaestio auf die Wissensorganisation

       die Erzeugung einer Perspektive für die Darstellung

      Die Wahl der sprachlichen Mittel, die der Sprecher unternimmt, um innerhalb des gegebenen makrostrukturellen Rahmens seine Antwort zu spezifizieren, wird von Vorgaben beeinflusst, die als inhaltliche und strukturelle

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