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die Auflösung, in welcher der Ausgang der Komplikation geschildert wird. In der Coda wird die Sprecherperspektive wieder auf den Zeitpunkt der Gegenwart gelenkt und schlägt den Bogen zum Abstract zurück.

      Um mündliche Erzählungen zu strukturieren, können grammatische, lexikalische und intonatorische Mittel ausgeschöpft werden (Gülich 2004). Über grammatikalische Markierungen am Verb kann in Bezug auf dargestellte Ereignisse verdeutlicht werden, welche Ereignisse als Hintergrundhandlungen bzw. als Vordergrundhandlungen zu verstehen sind (vgl. das Inzidenzschema bzw. aspektuelle Oppositionen zwischen passé simple und imparfait im Französischen, vgl. hierzu Pollak 1988 und insbesondere Weinreich 1964).

      Zu den lexikalischen Mitteln gehören beispielsweise die sogenannten Gliederungssignale, die als universales Merkmal der gesprochenen Sprache eine ordnende Funktion innerhalb des Erzählungsaufbaus haben. Durch diese Form der Gesprächswörter werden innerhalb des Textes Markierungen geschaffen, die den Anfang einer Erzählung, ihren Abschluss oder Exkurse in Bezug auf das Hauptthema signalisieren (vgl. Gülich 1970, Quasthoff 1979, Berretta 1984, Bazzanella 1994). Für die Festlegung von Relevanz und für die Hervorhebung von bestimmten Komponenten innerhalb einer mündlichen Erzählung können u.a. intonatorische Verfahren genutzt werden (vgl. Gülich 2004).

      Weitere Ansätze für die Beschreibung der Struktur von Erzählungen beziehen eine Planungskomponente ein. Van Dijk, der in diesem Sinne eine Vorreiterrolle einnimmt, setzt für Texte und somit auch für Erzählungen eine Planung voraus, die für den Sprecher semantisch fundiert, aber noch nicht linear ist. Danach besteht jeder Text aus einer Makrostruktur, die hierarchisch aufgebaut ist und sich aus Mikrostrukturen zusammensetzt. Makrostrukturen bilden zum einen den semantischen Rahmen eines Textes (van Dijk, 1972, Kintsch & van Dijk, 1978) und umfassen Propositionen, die das »Informationsskelett« des Textes bilden. Ferner konstituieren schematische Makrostrukturen die formale Struktur eines Textes (Bierwisch, 1965; van Dijk, 1995). Jeder Text stellt für van Dijk das Produkt von angewandten »Makroregeln« dar, nach denen die Konstituenten eines Textes zu einem übergeordnetem Ganzen verbunden werden. Ein Text beruht in diesem Sinne auf einer »vom Sprecher programmierten noch nicht linearen, semantisch basierten Struktur (…), die dann durch Transformationen schrittweise in eine Textoberflächenstruktur überführt wird« (Vater 2001: 67).

      Nach diesem einleitenden Kapitel, in dem Erzählungen definiert und im Hinblick auf ihre Struktur beschrieben wurden, werden in den folgenden Abschnitten die Funktionen aufgezeigt, die Erzählungen innehaben.

      2.4. Zur Funktion von Erzählungen

      Im obigen Abschnitt wurde bereits angedeutet, dass der interdisziplinäre Zugang zu Erzählungen ihre Funktion im Sinne einer identitäts- und kohärenzstiftenden Tätigkeit sieht. Erzählungen werden von der Tatsache gekennzeichnet, dass sie von einem dominanten Erzähler wiedergegeben werden (Gülich & Hausendorf 2000), der deutlich macht, wie er in einem interaktiven Engagement die Beschaffenheit seiner referentiellen Welt zum Ausdruck bringt. So schreibt Bamberg:

      The way the referential world is put together points to how tellers »want to be understood,« how they index their sense of self. (Bamberg 2009: 140)

      Erzählen ist somit jene Diskursform, die »die Sinnbildungsoperation des Thematisierens (Erlebens) ist« (Gumbrecht 1980: 409). Durch das Erzählen wird der erlebten Welt ein Sinn verliehen, der in einer kohärenten Struktur1 resultiert. Die kohärente Struktur ist nicht zuletzt das Ergebnis einer Verknüpfung von Ereignissen (»temporal junction« nach Labov und Waletzky 1967: 20). Diese Verknüpfung stellt eine grundlegende sowie eine ordnende Eigenschaft von Erzählungen dar. Die identitätsstiftende Funktion von Erzählungen wird besonders aus der Perspektive der Psychologie untersucht. Die Kompetenz des Erzählens, die vom Kindesalter an erworben wird, dient zum einen dem Aufbau der eigenen Identität, zum anderen zeigt die sogenannte narrative Identität auf, welche Verbindungen zur Gesellschaft bestehen:

      The stories we construct to make sense of our lives are fundamentally about our struggle to reconcile who we imagine we were, are, and might be in our heads and bodies with who we were, are and might be in the social contexts of family, community, the workplace, ethnicity, religion gender, social class, and culture (…) The self comes to terms with society through narrative identity. (McAdams 2008: 243).

      Gumbrecht plädiert daher für einen anthropologisch fundierten Narrations-Begriff. Durch das Erzählen komme ein sinnbildender Prozess zustande, da

      subjektive Bewusstseinsabläufe die Ergebnisse subjektiver Erfahrungsprozesse und subjektive Motive in den intersubjektiven Raum der Kommunikation holen. (Gumbrecht 1980: 408–409)

      Innerhalb dieser sinnbildenden Funktion kommt das oben erwähnte Charakteristikum zum Tragen, dass Erzählungen von menschlichen oder menschenähnlichen Charakteren getragen werden. Es werden Identitäten von Handlungsträgern aufgebaut, die willentlich Aktionen ausführen und Ereignisse verursachen. Die Entwicklung von Intentionalität, die sowohl den Handlungsträgern als auch den Erzählenden zugrunde liegt, liefert die notwendige mentale Voraussetzung für das Produzieren und Verstehen von Erzählungen (McAdams 2008). Diese kognitiven Prozesse werden im folgenden Abschnitt beleuchtet.

      2.5. Die kognitive Komponente beim Erzählen

      Mit Blick auf eine Funktion von Erzählungen, die im obigen Abschnitt als sinnstiftend bezeichnet wurde, wird deutlich, dass Erzählungen mit Bedeutungszuweisung verknüpft sind. Durch das Erzählen werden Erlebnisse klassifizierbar, erkennbar und erinnerbar gemacht (Nünning 2012). Aus diesem Grunde sieht Herman Erzählungen als ein Werkzeug für das Denken an und bezeichnet sie als

      Pattern-forming cognitive systems that organize all sequentially experienced structure, which can then be operationalized to create tools for thinking. (Herman 2003: 171)

      Das grundlegende, kognitive Potential beim Erzählen ist verknüpft mit der Auswahl von Ereignissen, die in einen kausalen Zusammenhang gebracht und somit strukturiert werden (Pethes 2008). Zu den kognitiven Prozessen für die Entstehung einer Erzählung gehören nach von Stutterheim und Kohlmann (2003: 466 ff):

      1 Die Bezugnahme auf dynamische Sachverhalte und deren Perspektivierung im Sinne einer Wiedergabe von einzelnen Phasen eines Geschehens oder dem Geschehen als Ganzes.

      2 Die Selektion von Ereignissen aus der Wissensbasis

      3 Die Schaffung eines kohärenten Musters

      4 Die Linearisierung im Sinne einer Übertragung der Ereignisse auf eine lineare Struktur

      Diese Prozesse resultieren in einer komplexen linguistischen Struktur, die mentale Prozesse dieser Art abbilden. Im Zusammenhang mit kognitiven Leistungen, die für das Erzählen relevant sind, stehen Intentionalität und Vorstellungskraft (untersucht von der analytischen Philosophie), Wahrnehmung und Kategorisierung (untersucht von der kognitiven Psychologie) sowie Textinterpretation (untersucht von der Linguistik) im Vordergrund. Erzählen wird dabei stets als kognitive Fähigkeit wahrgenommen, die Einblicke in die menschlichen Denkprozesse erlaubt. Die Prozesse, die der Erschaffung einer erzählten Welt (worldmaking) zugrunde liegen, sind komplex. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Konfigurierung einer narrativen Welt, in der Bezüge zu einem WAS, WO und WANN aufgebaut werden, die miteinander verknüpft sind. Aus diesem Zusammenspiel resultiert ein ontologisches Make-up, das kognitiv fundiert ist (Herman 2009).

      Die kognitive Komponente von Erzählungen, die in dieser Arbeit im Vordergrund steht, bezieht sich auf die Konzeptualisierung von Ereignissen. Im Sinne der Bildung eines »begrifflichen Entwurfs« in der konzeptuellen Makroplanung (Rickheit & al. 2002: 88, Levelt 1989), die der Produktion von Erzählungen zugrunde liegt, werden in dieser Arbeit sprachspezifische, von der Grammatik gesteuerte Präferenzen bei der Konzeptualisierung von Ereignissen beim Erzählen untersucht. Der kognitive Aspekt kommt bezüglich der Makroplanungsebene zum Tragen, auf deren Ebene relevante Entscheidungen für den Aufbau einer storyworld wirksam werden.

      Fassen wir nun dieses Unterkapitel zusammen:

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