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noch einmal zu Grunde: Alles – von Porta Carmentalis bis zu den Salinae – stürzt ein. 196 v. Chr. baute Stertinius zwei Bögen in der Nähe beider Tempel. 174 v. Chr. weihte Sempronius Gracchus eine Inschrift im Tempel von Mater Matuta zu Ehren von JupiterJupiter, das Motiv ist aber nicht bekannt.

      Nachdem Ovid zu den römischen Müttern gesprochen hat, wendet er sich nun an Bacchus. Er wird mit Trauben und Efeu, den berühmten Kennzeichen dieses Gottes, geschildert. Man sagt ihm offensichtlich, dass der Tempel von Mater Matuta sein Haus ist, was ein klarer Hinweis auf die Erziehung Bacchus’ durch Ino ist. Er ist am besten geeignet, um dem Dichter alle AbenteuerAbenteuer Inos einzugeben.

      Ovid interessiert sich für drei Angaben:

       A) Wer Madre MatutaMatuta ist.

      Frazer zufolge identifizierte sie Ovid – nicht ohne Bedenken28 – mit der griechischen Ino. Diese Assimilation wurde schon vor ihm von Cicero29 angenommen; entweder gleichzeitig mit unserem Dichter oder nach ihm wird sie von verschiedenen Autoren verwendet: Hygin (Fab. IIHyginusFab. II; CCXXIV); Servius (AenServiusG. I 437ServiusAen. V 241. V 241; G. I 437); Laktanz (InstLaktanzInst. I 21. I 21); St. Augustinus (Ciu. XVIII 14AugustinusCiu. XVIII 14) und Lactantius Placidus (Stat.ThebLactantius PlacidusStat.Theb. I 12. I 12). Es scheint30, dass die Identifikation aufgrund der wirklichen oder eingebildeten Ähnlichkeiten in ihren Mythos und ihr Ritual31 gelangen konnte: Beide Göttinnen werfen Sklavinnen aus ihrem Tempel32 und in beiden Fällen beten die Frauen nicht für ihre eigenen Kinder, sondern für die ihrer Schwestern33. Frazer glaubt, meiner Meinung nach zutreffend, folgendes: „Obviously this Greek legend furnishes no real explanation of the Roman custom which forbade women to pray to Mother Matuta for their own children, but allowed or enjoined them to pray for their sisters’ children“34. Möglich ist, sich wie Plutarch zu fragen, ob das einzige Ziel dieses Ritus war, die Gemeinschaft innerhalb der Verwandtschaft zu stärken.

      Frazer versteht diesen Ritus anders: Er bezieht sich dabei auf Servius, der erklärt, dass man weder den Namen des Vaters noch der Tochter in den Riten von Ceres aussprechen konnte; „this suggests that in the rites of Matuta women may have been forbidden to mention the names of their children, but permitted to mention the names of their sisters’ children, and that therefore they could not pray for their own offspring, but were free to pray for their nieces and nephews, the children of their sisters“35. Auf jeden Fall, und Frazer36 selbst zieht diese Schlussfolgerung, hat man diesbezüglich keine zufriedenstellende Lösung gefunden.

       B) Warum sie Sklavinnen vom Tempel fernhält.

      Dies Thema wird im dritten Teil dieser langen Texte vertieft.

       C) Warum sie sich einen knusprigen Kuchen wünscht.

      Schilling basiert auf Dumézils Interpretation, indem er die ganze Textstelle nach der indogermanischen Perspektive des Aufgangs der Morgenröte – glossiert. Deshalb meint er, die Farbe dieser Kuchen, flava (476), „sont d’une couleur analogue à celle de l’Aurore“37. Das wäre dann eine deutliche ätiologische Erzählung.

       1’) I-L-M-Version

      Ovid fängt seine Erklärung mit der letzterwähnten Figur, nämlich Bacchus, an. SemeleSemele ist durch die Blitze verbrannt und Ino nimmt ihren Sohn auf, erzieht ihn und sorgt sich um ihn. Falsch ist meiner Ansicht nach Schillings Behauptung: „Le traitement de cette matière mythologique dans les Fastes fait contraste avec sa présentation dans les Métamorphoses: le personnage principal des Fastes devient le personnage secondaire des Métamorphoses et viceversa“38. Selbstverständlich haben beide Berichte eine ganz andere Erzählfunktion und infolgedessen werden in jeder Erzählung jeweils verschiedene Aspekte hervorgehoben. Trotzdem ist es nicht sehr treffend, zu behaupten, Semele, Bacchus’ Mutter, sei die Hauptfigur in Athamas’ und Inos Geschichte in den Metamorphosen (IV 416–562OvidMet. IV 416–562), sogar in dem ganzen Zyklus von KadmosKadmos – Schilling zitiert Met. III 260–309OvidMet. III 260–309. Sie spielt eine besondere Rolle, aber sie ist nicht die Protagonistin.

      Juno gerät wegen der Erziehung des paelice natum (487)39 in Wut. Im Gegensatz zu den früheren Motiven wird hier weder Athamas’ Hochmut noch Inos Verachtung noch ihre ὕβρις erwähnt. Darüber hinaus wird Inos Verhalten in den Fasten gerechtfertigt und gepriesen: Wieso hätte sie sonst den Sohn ihrer Schwester aufnehmen können? Es ist letztendlich das positive Bild von Ino.

      Sofort beschreibt Ovid Athamas’ Wahnsinn. Am auffälligsten ist, dass Juno überhaupt nicht eingreift: Sie spricht nicht einmal, sie beklagt sich nicht über eine Beleidigung und sie steigt nicht zur Unterwelt hinab, um die Erinnyen um ihre Rache zu bitten. Darüber hinaus sagt der Text nicht, dass JunoJuno Athamas den Irrsinn schickt. Dieser wird bei Athamas von den FurienFurien durch ein Trugbild ausgelöst, aber diesem falschen Bild, das angeblich dem von Tisiphone in Met. IV 490–511OvidMet. IV 490–511 entspricht, wird kein Name gegeben. Das Wort furiis erinnert den Leser an die Erinnyen, und zwar an die Furien, aber es soll vor allem Athamas’ WahnsinnWahnsinn als rasend kennzeichnen.

      Ovid ruft Learchos mit demselben Wort (parue), mit dem er Melikertes in Met. IV 522OvidMet. IV 522 benannte. Die Einzelheiten der Jagd fallen weg, über die Art von Learchos’ Ermordung durch seinen Vater wird geschwiegen und jede Erwähnung von Grausamkeit vermieden. Man könnte sagen, Ovid behandelt dieses Thema mit Glacéhandschuhen, denn es ist nicht eigentlich das, was er dem Leser erzählen will: Dies ist nur die Vorrede, um zur ‚wichtigsten‘ Geschichte von Ino-Leukothea zu kommen. Ino bestattet ihren Sohn und erfüllt fromm alle den Toten gepflichteten Riten; Ovid besteht auf dem positiven Bild von Ino als einer guten Mutter, die unter dem Tod ihres Sohnes durch die Hand ihres wahnsinnigen Mannes leidet. In Met. IV 515–524OvidMet. IV 515–524 bleibt Learchos’ Leiche unbestattet und unbeweint.

      Nachdem sie dem Toten gegenüber alle Akte der Barmherzigkeit erfüllt hat, nimmt Ino Melikertes aus der Wiege. Ovid ruft in diesem Moment Learchos’ jüngeren Bruder, und es ist klar, auch wenn er das Wort parue nicht erwähnt, dass Melikertes ein Säugling ist, denn er schläft in einer Wiege. Bemerkenswert ist, dass Ovid nicht sagt, Ino werde wahnsinnig wie ihr Mann: Ino leidet nicht wie Athamas unter dem Irrsinn, sondern unter der grässlichen Todesart ihres Sohnes Learchos, durch die sie emotionell (laniata, Vers 493) destabilisiert wurde. Allerdings ist die Beschreibung von funestos … capillos (493) ein Hinweis auf den bacchischen Wahnsinn der Mänaden, den Ino einigen Traditionen nach auch mitbekommen hat. Andererseits ist das Wort prosilit dasselbe, das Valerius Flaccus (VIII 21) verwendet, wenn er Medeas Antrieb, in den Wald hineinzugehen, schildert, eine Bewegung, die in der Argonautica mit Inos SprungSprung ins Meer verglichen wird40.

      Neue Szene. Ovid bringt den Leser bis zum ‚Steilufer‘, von dem Ino ins Meer springen wird. Es gibt eine große Ähnlichkeit zwischen dieser Passage und dem Ausdruck est uia decliuis in Met. IV 432OvidMet. IV 432. Dieses kleine Land wird von Meeren umspült; auffällig ist, dass es nie als eine Klippe beschrieben wird41. Selbstversändlich beschreibt Ovid den Isthmus von KorinthKorinth42. Ino, die aufgrund ihres zukünftigen Verbrechens als insanis dargestellt wird, kommt mit Melikertes in ihren Armen. Hier wird das Wort verwendet, das laut Cicero43 den Wahnsinn als eine Krankheit kennzeichnet. Ino springt unverzüglich. Es ist nicht klar, warum Ino sich so verhält, denn es wird weder gesagt, dass Athamas sie verfolgt, noch dass der Aiolide seinen andern Sohn auch töten will. Man hat den Eindruck, dass Ovid viele Einzelheiten als bekannt betrachtet.

      Der Leser springt von Szene zu Szene. Panope und ihre hundert Schwestern nehmen die Mutter und das Kind auf. Frazer erklärt, wer die Wohltäterin ist: „Panope was one of the sea-nymphs, the Nereids, the daughters of Nereus and Doris“44. Ihre Anzahl45 beträgt bei Hesiod (ThHesiodTh. 240–264. 240–264) und Hygin (Fab. Praef. 8) nur fünfzig; Ovid wird aber von Plato (CriPlatonCri. 116e. 116e) unterstützt, weil dieser auf einen Tempel zu Ehren Poseidons hinweist, wo es einhundert goldene Bilder der Nereiden gab. Bömer denkt, dass sich Ovid auf Prop. III 7, 67ProperzProp. III 7, 6746 beziehen könnte, „wo 100 eine Vielzahl bedeutet“47.

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