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die der verbrannten Samen. An dieser Stelle wird der Name der Stiefmutter nicht genannt: Er nennt ihn vorher20. Ovid versetzt den Leser in die Erntezeit, nicht in die Saatzeit; der Text begibt sich in medias res. Er spricht durch die Metapher tripodas (855) über das Orakel von Delphi; nur ein einziger Bote wird zum Dreifuß geschickt. Erst danach wird der Grund dieser Botschaft erwähnt, die Fruchtlosigkeit des Landes21. Die Rede ist eigentlich von Unfruchtbarkeit und nicht von DürreDürre, was den Leser erstaunt, denn Nephele wird im Text als eine himmlische, metereologische Göttin präsentiert; der Name dieser Göttin wird aber nicht in der Erzählung erwähnt, weswegen vielleicht auch nicht die Begriffe Dürre und Regen verwendet werden. Ovid sagt aber schon, dass die den Regen bringenden Wolken sie in ihrem Rettungseinsatz begleiten.

      Das Bild von Vers 857 – es erscheint hier zum ersten Mal in der Literatur – ist m.E. nicht sehr treffend, weil der verdorbene Same, der keine Frucht bringt, und der bestochene Bote22, dessen Frucht, nämlich das trügerische Orakel, falsch und unheilvoll ist, nicht vergleichbar sind. Der Orakelspruch fordert erstmalig nicht nur Phrixos’ Tod, sondern auch den seiner Schwester, die sogar an erster Stelle erwähnt wird. Athamas weigert sich, wie in Hyg. Fab IIHyginusFab. II, dem Götterspruch zu gehorchen, aber im Gegensatz zu Hygins Fabel ändert der Athamas von Ovid seine Meinung und erklärt sich schließlich bereit, seinen Sohn zu opfern. Der Dichter bietet dem Leser die Gründe für dieses veränderte Verhalten: das Volk, die Dringlichkeit und seine Frau Ino, die nun namentlich genannt wird. Der Befehl wird als nefanda (860) angesehen. Die Anfangsweigerung hätte auch Phrixos’ Meldung, für das Vaterland freiwilligfreiwillig zu sterben, wie es in Hygins Fabel geschieht, veranlassen können, aber das passiert in den Fasten überhaupt nicht. Möglicherweise hat das Orakel, indem es Helle mit einbezog, diese Entwicklung des Mythos unterbunden.

      Eine Eigenschaft der lateinischen Literatur ist die Vorliebe, entweder Phrixos oder Helle oder beide Geschwister zusammen, wie im vorliegenden Fall, von den Opferinfulen bedeckt darzustellen23. Beide stehen vor dem Altar und – dies ist sehr wichtig – bedauern ihren Schicksal. Die Szene erinnert den Leser an die von Athamas in der zweiten Tragödie von Sophokles, die den Namen des Aioliden hat, wie Schol. in Ar. Nu. 257b HolwerdaScholia zu AristophanesSchol. in Ar. Nu. 257b Holwerda berichtet. Allerdings wird nicht Athamas zum Opferaltar geführt, sondern seine Kinder.

      Es ist nicht klar, was Ovid mit dem Ausdruck ut forte pependerat aethere (863) meinte. Auf jeden Fall wird deutlich, dass Phrixos’ und Helles Mutter – ich bestehe noch einmal darauf: Ihr Name kommt im Text nicht vor – nicht irgendein gewöhnlicher Mensch ist. Diese sieht ihre Kinder und eilt hinunter, um sie zu retten24. Nephele-WolkeWolke erscheint drohend über ThebenTheben, als Ino, in der anderen Version, sich ins Meer stürzt: Beide Mütter wollen ihre Kinder retten, aber am Ende stirbt ein von ihnen (wenn nicht beide, wie z.B. bei Ino). Phrixos und Helles Mutter stürzt nicht allein, sondern von Nimbussen begleitet, das heißt, eine der vier Arten von Wolken, die bestimmt Regen bringen. Ovid kann mit diesem Bild darauf anspielen, dass der Regen schließlich Theben erreicht. Dadurch rettet Nephele-Wolke nicht nur ihre eigenen Kinder, sondern auch die Bürger von Böotiens Hauptstadt. Diese Rettung wäre es klarer geworden, wenn der lateinische Dichter von DürreDürre gesprochen hätte; Ovid spricht aber von Unfruchtbarkeit, und nicht von Dürre, aus einem m.E. deutlichen Grund: Ino kann die Unfruchtbarkeit des Landes verursachen, indem sie den Samen verbrennt, aber nicht die Dürre des Landes, weil sie keine Macht über den Regen hat. Deswegen spricht Ovid von Sterilität. Die ganze Textstelle wird aber als ein meteorologisches Problem vorgelegt, das von Nephele-Wolke gerettetet wird.

      Die Handlung findet nicht, wie üblicherweise in vielen Texten über die ArgonautenArgonautensage, in OrchomenosOrchomenos statt, sondern in ThebenTheben, das von Kadmos, Inos Vater, gegründet wurde.

      Phrixos’ und Helles Mutter überreicht ihnen den goldenen Widder. Der Grund dieser Gabe ist es, ihnen die FluchtFlucht zu ermöglichen. Man muss annehmen, dass dieses wunderbare Tier nur für die Reise da ist, denn Nephele-WolkeWolke hat ihnen schon geholfen, der grausamen IntrigeIntrige der StiefmutterStiefmutter, und damit dem nahe bevorstehenden Tod auf dem Opferaltar eines Gottes, der nie im Text erwähnt wird, zu entfliehen. Es sieht nicht so aus, als würde sich Nephele-Wolke des Widders bedient, um ihre Kinder vor der Opferung zu retten.

      Die beiden Kinder fahren über das Meer und Helle stürzt von dem Widder. Dieser Sturz wird sehr subtil durch zwei Gründe erklärt: die Schwachheit aufgrund ihrer weiblichen Natur (infirma, 870)25 und das mangelnde Können des Mädchens (cornu tenuisse sinistra)26. Wie in Val.Flac. I 291–293Valerius FlaccusVal.Flac. I 291–293 bleibt der Bruder nicht gleichgültig gegenüber dem Sturz der Schwester und versucht, sie zu retten. Zwei Kennzeichen zeigen deutlich die Verzweiflung des Knaben: die ausgestreckten Arme und die Tränen um die verlorene Schwester27. Diese Beschreibung hat weniger Pathos als die von Valerius Flaccus, aber ihre Ausdrucksstärke ist so besonders, dass Frazer sogar zu sagen wagt: „Ovid writes as if he had a picture of the scene before his eyes or in his memory“28. Frazer weist auf ein Fresko in Pompeji hin, das dem von Ovid beschriebenen Bild sehr ähnelt29. In diesem Fresko streckt Phrixos, der auf dem Widder sitzt, der Schwester, die im MeerMeer versinkt, seine Hand hin. Dies ist die Abbildung aus Pompeji30:

      Abb. 8:

      Phrixos versucht seine Schwester Helle zu retten

      Phrixos sitzt nicht rittlings, sondern „he sits on one side with his feet dangling, and looks as if, in his effort to save his sister, he might share her fate“31. Die Gelehrten vermuten, dass das Original auf eine Zeit noch vor der Alexanders des Großen zurückgehen könnte.

      Helle gesellt sich zum Meeresgott. Ovid fügt sich in die Tradition von Eratosth. Cat. XIXEratosthenesCat. XIX – auch die folgenden Texte folgt ihr: Hdn. Gr. 3, 1 247, 16–19HerodianosHdn. Gr. 3, 1 247, 16–19 Lentz; 287, 11–13 LentzHerodianosHdn. Gr. 3, 1 287, 11–13 Lentz und St. Byz. s.u. ἈλμωπίαStephanos von ByzanzSt. Byz. s.u. Ἀλμωπία – ein, die die Bindung zwischen Poseidon-Neptun und Athamas’ Tochter verkünden. Dass Ovid Eratosthenes und Hygins Astronomica nahe folgt, wird deutlich durch das Kennzeichnen des Widders (875). Sonderbarerweise findet sich die Verbindung zwischen der Saatzeit und dem Widder auch in diesem letzten Werk.

      Ovid erzählt mit einer kurzen Erklärung, dass das Goldene Vlies in das kolchische Land kommt, ohne dabei den Namen des Königs zu erwähnen. Es fällt auf, dass es keine Opferung gibt, der Katasterismus geschieht sofort, lictoribus tactis (875). Auf diese Weise wird ein positives Bild von Phrixos gezeichnet, der seinen RetterRetter nicht töten will. Der Dichter bietet ein sehr menschliches Bild von Athamas’ Sohn, fast kindlich und selbstverständlich überhaupt nicht heroisch: Er vergießt über sein ganzes Leben bittere Tränen, denn er beweint32 den Tod am Opferaltar und den Tod seiner Schwester. Der Widder hat seinen Auftrag erfüllt und verschwindet genauso plötzlich wie er erschienen ist.

      I.2.3 Fast. IV 901–904OvidFast. IV 901–904

      Der nächste Text ist der vom 25. April1, es geht um das Verschwinden der Konstellation. Ovid hat den Termin jedoch zu spät angesetzt, wie Frazer bemerkt, denn „in his time the apparent setting of the constellation at evening fell on the twentieth of March and the true setting on the fifth of April“2. Seltsam ist, dass der Dichter die Mitte des Frühjahres auf diesen Tag setzt. Bömer meint, „Ovid stimmt mit Caesar überein“3; in Colum. XI 2, 36 findet dieses Ereignis am 21. April statt. Auf jeden Fall und ohne dieses Problem zu vertiefen, muss man beachten, dass Ovid einen großen Fehler begeht, denn „the rising of the Dog-star (Sirius) at morning did not take place in Ovid’s time till more than three months later, on the second of August“4. Laut den Sachverständigen bezieht sich Ovid eher auf den Untergang des Sternbildes als auf dessen Erscheinen.

      Der Text spricht von pecudem … Athamantidos Helles. Dies ist bizarr, weil der Widder üblicherweise mit Phrixos5, nicht mit Helle, in Verbindung gebracht wurde; Ovid aber hat noch ein anderes Mal, und zwar einige Verse früher (Fast. IV 713–716OvidFast. IV 713–7166), dieses wunderbare Tier mit Athamas’ Tochter verbunden. In keinem der beiden Fälle wird Phrixos erwähnt.

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