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ist und die Geschichte sich vor allem auf die Darstellung der Unterwelt konzentriert. Bernbeck sagt deshalb: „Bei Ovid dagegen überwuchern die vorbereitenden Szenen, bezeichnenderweise seine eigenen Erfindungen, das durch die Überlieferung vorgegebene Geschehen“276. Dieser Meinung ist auch Anderson: „Thus, he ends up with a brief traditional tale in two phases of about sixteen lines each, which frames his own episode of grotesque Tisiphone, a brilliant tour de force of eighty lines“277.

      Bernbeck278 hat Recht, wenn er meint, dass die Figuren von JunoJuno und Tisiphone eine hervorragendere Rolle spielen als Athamas bzw. Ino selbst. Er übt aber eine sehr strafende Kritik an Ovids angeblichen Fehlern gegen die epische Tradition, wie z.B. das Weglassen der Teile, die die Monologe oder die Bitten vorbereiten. Er glaubt, „es fehlen die im Epos gebräuchlichen Angaben über Zugang und Abgang der Personen“279. Ebenso merkt er, wie schon angedeutet worden ist, den Mangel der Einheit der Szenen an und meint darum, dass bei Ovid Ungenauigkeiten und Widersprüche bestehen. Letzlich denkt er, „all diese Erscheinungen bedeuten eine Durchbrechung der Kontinuität des Geschehens und der Darstellung“280. Dies ist m.E. zu exzessiv; Ovid hat seine Art von Erzählung und seine eigenen Richtlinien. Schließlich ist der Humor, den Bernbeck so ungern und im Text allgegenwärtig sieht, auch nicht in der ganzen Erzählung zugegen.

      Auf jeden Fall gilt Ovids Textestelle als wesentlich im Verstehen des Mythos von Athamas, denn seine Erzählung ist verpflichtender Lesestoff, wenn nicht sogar die einzige vorhandene Quelle, für die nach ihm kommenden Schriftsteller. Man kann kategorisch behaupten, dass die Mythologie allgemein und Athamas Legende insbesondere aus Ovids Perspektive im Laufe der Jahrhunderte gelesen und verstanden wurden. Interessant ist diesbezüglich ein typisches Beispiel von literarischem Weiterleben im Feld der Mythologie, nämlich ein Fortbestand der berühmten Beschreibung der in diesem Buch I-L-M genannten Version in Ovids Metamorphosen: Es handelt sich um Dantes Göttliche Komödie281.

      Im 30. Gesang der Hölle beginnt Dante seine Geschichte, indem er den Leser in eine entfernte, irreale und mythologische Zeit transponiert: „Nel tempo che“282. Dante schlägt zwei Beispiele von WahnsinnWahnsinn vor; das erste gehört zum thebanischen Zyklus: Die von Ovid berichtete I-L-M-Version283. Dante bezieht sich offensichtlich auf Ovids Erzählung, wie man aus den im Gedicht verwandten Bildern schließen kann. Athamas ruft seine Gefährten für die Jagd zusammen; der Aiolide sieht eine Löwin mit ihren Jungen; er tötet Learchos, indem er ihn am harten Gestein zeschmettert. Das Auffälligste in Dantes Text ist die Charakterisierung von Athamas als tierisch284, die den Leser verwirrt, so wie der Aiolide selbst die Wirklichkeit verwechselt285.

      I.1.3 Met. VI 115–128OvidMet. VI 115–128

      Die nächste Textstelle spricht über einen Teil des von Arachne gewobenen Stoffes. Von dieser Erzählung wird nur Vers 117 hervorgehoben; darin berichtet Ovid, wie der in einen WidderWidder verwandelte Gott Neptun mit Bisaltide geschlafen hat, deren Frucht das bekannte goldene VliesGoldenes Vlies sein wird. Die Geschichte wurde ausführlich von Hygin in Fab. CLXXXVIIIHyginusFab. CLXXXVIII erzählt.

      Wie Bömer meint, ist nur folgendes nennenswert: „Aus Bisaltis wird durch Fehlinterpretation bei Hyg. fab. 188,1 und Schol. Germ. p. 143,9 BREYSIGScholia zu GerrmanicusSchol. in Germ. Arat. G 143 Breysig Bisaltidis (statt Bisaltis) filia“1. Ovid benutzt das Verb fallo, das die Geschichte in Verbindung mit Liebesbetrug bringt. Anderson zufolge strickt Arachne die unglückliche Liebeseskapade von Neptun, „whom Ovid apostrophizes in hymnal form in order to undermine the divinity of the god“2. Von den sechs Betrugsaffären, nämlich jener mit Kanake, Iphimedeia oder Tyros, Theophanes, Demeter, Medusa, Melantho, ist es die dritte, die auf Athamas’ Mythos anspielt.

      I.1.4 Met. XI 194–196OvidMet. XI 194–196

      Hier geht es um den HellespontHellespont. Der Kontext dieser Textstelle ist die Rückkehr von Apollon, nachdem er Midas in Troja bestraft hat, weil er den mit ApollonApollon selbst und Neptun geschlossenen Pakt gebrochen hatte.

      Der Hellespont wird angustum citra pontum Nepheleidos Helles genannt, im Gegensatz zu D.P. 506–519Dionysios PeriegetesD.P. 506–519, D.P.Par. 513–516 MüllerParaphrase zu Dionysios PeriegetesD.P. Par. 513–516 Müller und Et.GudEtymologicum GudianumEt.Gud. ε 459. ε 459, die HelleHelle zu Athamas Tochter machten. Dieser Beleg kommt zum ersten Mal vor und, wie Bömer erklärt, „nur hier in der klassischen Dichtung“1. Es stimmt, dass Valerius Flaccus nachher von pecoris Nephelaei uellera (I 56) reden wird, aber nicht von dem Meer des Hellesponts; zwei spätere Textstellen aber, und zwar Lucan. IX 956LucanusLucan. IX 956 und Auson. MosAusoniusMos. 287–288. 287–288, folgen ja ganz genau Ovids Spur.

      Das Wort citra bedeutet „zwischen Pontus und Tmolus“2; das heißt, dass man sich von Tmolus aus gesehen auf der asiatischen Seite befindet, und dass man nordwärts geht. In der Tat benutzt Ovid in den Metamorphosen nur die griechischen Namen von Ino, Melikertes (beide schon divinisiert), PhrixosPhrixos und Helles Mutter (LeukotheaLeukothea, PalaimonPalaimon und NepheleNephele), und nicht ihre lateinischen Varianten oder Übersetzungen, wie es z.B. Hygin macht.

      Ovid erwähnt den HellespontHellespont in seinen Werken sieben weitere Male3, aber jedes Mal auf andere Weise. Lohnenswert ist es, diese Textstellen kurz zu analysieren, um pauschal betrachten zu können, wie sich der Dichter auf Helles MeerMeer bezog.

       1’) Fast. IV 561–568OvidFast. IV 561–568: Keres, die von Triptolemos’ Mutter entdeckt wird, verlässt ihr Haus; sie geht an vielen Orten vorbei, unter anderen auch am Hellespont.

       2’) Tr.OvidTr. I 10, 24 I 10, 24: Dies ist die zehnte Elegie, in der Ovid sich wünscht, ein Schiff zu haben, um zur SeeSee zu fahren und aus dem Pontus zu fliehen. Dann benutzt Ovid hier ein Adjektiv: Hellesponticas … aquas.

       3’) Tr.OvidTr. I 10, 27–28 I 10, 27–28: Ein wenig weiter unten in derselben Elegie bezieht sich der Dichter auf die zwei berühmten Städte von Sestos und Abydos. Er deutet Helle (uirginis) und ihren SturzSturz (uectae male) in dieser Meerenge an (angustas … undas).

       4’) Ep. XVIII 107–108OvidEp. XVIII 107–108: Dies ist eine sehr schöne und emotionale Textstelle, wenn Leander Hero einen Liebesbrief schreibt. Wie schon bekannt, wohnte Leander in Abydos und jeden Tag sollte er den HellespontHellespont durchschwimmen, um seine Geliebte Hero zu treffen, die in Sestos wohnte und ihm mit einer Lampe den Weg zeigte. Eines Tages löschte der Sturm das Licht; Leander verlor den Weg und ertrank. Als Hero dies erfuhr, warf sie sich ins MeerMeer und ertrank ebenfalls. In diesem Gedicht von Ovid wird der Hellespont nur als Adjektiv genannt: Hellespontiaci … maris (108). Diese SeeSee habe weniger Algen als die beiden Verliebten in einer denkwürdigen Nacht Freuden hatten.

       5’) Ep. XVIII 136–145OvidEp. XVIII 136–145: In dieser Textstelle nennt Leander den Hellespont Athamantidos aequora und erzählt, dass der aufkommende Sturm das MeerMeer so aufwühlen werde wie damals, als Helle in ihm versank und ihm ihren Namen verlieh. Das Wort Hellespont ist eigentlich von Anfang an mit Leiden und Blut befleckt. Leander gibt noch einen Hinweis: Er beneide Phrixos, quem per freta tristia tutum4 / aurea lanigero uellere uexit ouis (142–143); so spielt er auf die Reise von Phrixos und Helle auf dem Seeweg5 an.

       6’) Ep. XIX 31–32OvidEp. XIX 31–32: Hero antwortet Leander. Das Mädchen küsst die Kleider, die Leander trug, als er den Hellespont durchschwamm.

       7’) Ep. XIX 121–128OvidEp. XIX 121–128: Eine großartige Textstelle aufgrund ihrer Zusammenstellung und ihres Pathos. Hero blickt auf das tobende MeerMeer des HellespontHellesponts und findet zwei mögliche Antworten auf diese Gewalten, obwohl sie keine von ihnen kategorisch bejaht6. Der erste Grund könnte die dunkle, den Himmel bedeckende WolkeWolke sein (höchste Ebene). Hero glaubt, dass der die See beschädigende Regen die Tränen von Nephele sind, die angstvoll sieht, wie ihre Tochter versinkt. Zum ersten Mal wird Nephele pia (123) genannt. Der Schmerz der Mutter veranlasst das Toben. Der zweite Grund liegt in der Tiefe des Meeres (unterste Ebene). Hero fragt sich, ob der Hass der StiefmutterStiefmutter die SeeSee

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