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Ausdrucksweise –, dessen leuchtende Farbe das Herz eines jeden Rosenzüchters höherschlagen lasse. Kenel war bereit, dem beizupflichten, obwohl ihm an derart übertrieben poetischen Ergüssen nicht sonderlich gelegen war. Im Gegenteil, gerade die sanftesten Namen seiner Rosen brachten ihn eher in Verlegenheit. Namen wie Marcelle, Caprice, Marie Claire oder Mermaid, eine besonders zarte, blassgelbe Rankrose, ersetzte Kari Kenel kurzerhand durch Initialen und Zahlen. So hieß denn Kenels Marie Claire MC3, die Mermaid dagegen MM2. Auf diese Abkürzungen verzichtete er nur an den weni­gen Ausstellungen, die er mit seinen neuesten Züchtungen besuchte. Dort musste man sich an die Regeln halten, auch wenn einem die fremdartigen, zärtlichen Namen nur schwer über die Lippen kamen. Sie verwirrten Kari, weichten den Panzer auf, der sein Inneres umschloss und es vor der Kälte schützte, der er ohne diesen Panzer nichts entgegenzusetzen gehabt hätte. Die Namen häuteten, entwaffneten ihn, sie machten ihn für Träume empfänglich, die in seinem Leben keinen Platz einnehmen durften, wollte er als einer der andern bestehen.

      Schließlich bereicherte Kari Kenel den kräftig duftenden Strauß noch um ein paar Zweige Alaskarosen, als wäre ihm zu warm geworden in der armen Haut, als genügte der Name dieser Rose, ihn vor der Hitze zu schützen, die ihn beim Nachdenken überkommen hatte. Aber auch die Alaska konnte ihn heute nicht besänftigen, konnte kein Gefühl von wohltuender Kälte hervorzaubern. Im frühen Morgenlicht schimmerten die alabasternen Blütenblätter, Tautropfen glitzerten vielfarbig in den großen Blütenkelchen, ihr Anblick war nicht dazu angetan, sich zu bescheiden. Kenels Hände zitterten. Er hätte gern die Seidenhaut berühren wollen, eindringen wollen in die Alabasterkühle eines Frauenleibes, der Frieda Kenel so gar nicht war. Wie ein Bub stand er vor ihr, die Rosen in den großen, abgearbeiteten Händen. Aber die hatte rasch, während er noch grübelte, die Rosen an sich genommen und ins Papier gewickelt, dem Kind den Strauß in die Hand gedrückt. Beim Anblick ihrer knöchernen Handgelenke wurde ihm endlich kalt. Beschämt schlurfte Kari Kenel aus der Küche, folgte dem Kind bis zum Gartentor. Dann blieb er stehen, stand unter den weißen Trauerrosen, als Daskind das Tor sorgfältig aufschloss.

      In die Stimme Kellers fiel Daskind wie in ein Loch. Sie bildete die Vorhut seiner Hände, die Daskind unter einem Vorwand packten, es an sich rissen, um es wie den schmutzigen Scheuerlappen, mit dem Kellers Frau angewidert den Dreck auf den Stufen verteilte, von sich zu schleudern. Beide, Herr und Frau Keller, bestanden aus fetten Gesichtern und fetten Wörtern, die sie wie Müll in sich hineinschaufelten. Oder andern an den Kopf warfen, bis diese, vollgestopft mit dem Kellermüll, dampften wie unordentliche Misthaufen. Die Anstrengung, mit dem Wortmüll um sich zu werfen oder ihn in sich hineinzuschaufeln, war den Kellergesichtern anzusehen. Fett waren sie, gerötet, und auf Kellers niedriger Stirn bildeten sich bei jedem Wetter Schweißtropfen.

      Fast immer hing zwischen Kellers Lippen der Stumpen und qualm­te in kurzen Stößen vor sich hin, wenn sich Kellers saugender Mund fest um ihn schloss. Auch heute, als Daskind sich an Keller vorbeischleichen wollte. Der wartete, Zigarre im fetten Gesicht, auf seinen Einsatz. Schlug zu, bevor es das alte Schulhaus erreichte. Mit den in einen alten Bezirksanzeiger eingewickelten Rosen. Mit der behelfsmäßigen Tüte, auf der, leicht vergilbt, noch immer nachzulesen war, wie Bauer Peter aus Freienbach ums Geld kam und sich Kaplan Ringholz bei diesem unredlichen Handel als Komplize des Betrügers einen Namen geschaffen hatte. Oder dass in Yverdon eine 51-jährige Hebamme von einem Rekruten erstochen wurde. Das Bajonett des Solda­ten fand die besondere Beachtung des Reporters. Wie auch die Leiche des Massenmörders Tore Hedin, die aus dem südschwedischen See von Borasp gefischt wurde. In einem Abschiedsbrief habe er neun Morde gestanden und darauf hingewiesen, dass er, wenn nicht als ­Lebender, so wenigstens als Leiche seinem Land einen Dienst erweise, erspare er ihm doch die Gerichtskosten und den Gefängnisplatz, man möge ihm deshalb seine Flucht ins Jenseits verzeihen.

      Von aller Vorsicht abgenabelt, gehorchte Daskind Kellers Stimme. Die als Vorhut nach ihm grapschte. Das fette Kellerlachen traf auf keinen Widerstand, als es in die Poren des Kindes eindrang und gleichzeitig die Kellerhand dem Kind den Stumpen in den Mund stieß, bis Daskind fahl wurde, die Todesangst über die Rosen kotzte, und über Tore Hedin, der doch schon tot war. Den keine Angstbrühe aufer­wecken konnte, wie das der herr am Ende eines langen Wartens eines jeden Sünders tat und mit dem Daumen beliebig nach unten oder oben wies.

      Ich werde dich lehren, Zigaretten zu stehlen. In meinem Laden. Unter meinen Augen.

      Lacht sein fettes Kellerlachen. Dieben soll man beizeiten die Hände abhacken.

      Hat den krummen Blick, der Keller, auf Daskind gerichtet und lacht.

      Kari Kenel steht noch immer bei der Trauerrose. Ohne sich zu rühren. Was soll Daskind mit dem stummen Pflegevater unter der Trauerrose. Mit dem speicheligen Zigarrenende im wunden Mund. Mit dem fetten Lachen in den Poren. Mit dem «Ich will dich lehren, in meinem Laden Zigaretten zu stehlen».

      Schleicht, vom Ekel geschüttelt, alleinsam durchs Dorf. Keinen einzigen Schrei hinter sich lassend. Dieser Art Wege sind taubstumm zu beschreiten. Mit verstopftem Mund wie nachts unter dem Immergrünen.

      Daskind verhielt den Schritt vor der Michaelskirche. Schluckte bitteren, übel riechenden Schleim. Die Erniedrigung. Den Hass Wenn­­ich­großbinwerdeicheinenvoneuch. Oder vielleicht die Kellermarie. Wenn man ein Kind wie Daskind ist, scheint die Auswahl unbegrenzt. Nur Eulenkinder haben eine Zukunft. Anderer Kinder Leben scheint ein Tod ohne Ende zu sein. Und nähme der Tod ein Ende, was dann? Was überhaupt bei dem Leben?

      Im Kind denkt’s ans Töten. Dann ist eine Macht da, im Kopf, wenn ans Töten gedacht wird.

      Unter dem Chorgewölbe blieb Daskind einen Augenblick stehen. Über ihm breitete Mutter Maria schützend ihren Sternenmantel aus. In seine Falten schmiegten sich um Fürbitte betende Menschen, zur Linken der Heiligen Jungfrau fromme Männer, zu ihrer Rechten Frauen und Kinder. Die Hände Hilfe suchend erhoben, hingen ihre Blicke am Gesicht der Jungfrau, das, von einem Heiligenschein umrahmt, sanft auf sie herablächelte. Die Gottesmutter war eine Riesin, so groß, dass sich die Menschen in ihren Mantelfalten wie Zwerge ausnahmen. ­Einige gingen am Stock, andere hatten Schwären an den nackten Füßen. Einem fehlte ein Bein, der junge Mann stützte sich auf die Schulter eines Alten, dessen Gesicht von einer Wunde entstellt war. Ein Mädchen, an der Hand seiner Mutter, sah mit großen, traurigen Augen empor. Bei seinem Anblick zog sich dem Kind das Herz zusam­men. Das kannte Daskind, diese nie enden wollende Trauer in der Brust, ein schwarzer Stein, der das Atmen erschwerte. Schmerzzerfres­sen. Hasszerfressen, wenn der Schmerz nicht mehr auszuhalten war.

      Eine kurze Steintreppe führte hinter dem linken Seitenaltar, der dem Schmerzensmann geweiht war, hinunter zur Sakristei. Das Sandsteinrelief über der goldverzierten Altarmensa wurde von einer winzigen Öllampe schwach beleuchtet. Die Gesichtszüge des leidenden Christus, in Schmerz erstarrt, wirkten abweisend. Der nackte, magere Leib war von den gestifteten Kerzen rußgeschwärzt. Eine Hand war abgeschlagen, die Beine grotesk ineinander verschlungen, am linken Fuß fehlte die Ferse. Daskind berührte die raue Oberfläche des Körpers, es musste sich dazu auf die Zehenspitzen stellen und weit über den Altartisch beugen. Im Herzen der silbernen Strahlenmonstranz lagen die Hostien von der letzten Totenmesse. Wenn die Wettermesse gelesen werden musste, wurde die kleinere, vergoldete Wettermons­tranz hervorgeholt. Daskind, das nicht wusste, was es am Leib des Herrn zu suchen hatte, trödelte lange vor dem Altar.

      Bis es den Sigristen in der Sakristei hantieren hört. Bedächtig nimmt es Stufe um Stufe. Den jetzt unschönen Strauß mit den langen Dornen fest umklammernd. Zwingt sich, nicht an den Schmerz im blutenden Handteller zu denken. Das Blut hat Tore Hedins Geständnis und des Kindes Angstbrühe rot gefärbt. So ist alles eins geworden mit dem Kind, das Blut und die Angst und der Schmerz und der Tod eines Mörders. Kein Loch, durch das Daskind aus dem Kreis schlüpfen könnte. Sieht dem Sigristen ins faltige Altmännergesicht. In die geröteten Augen. Saugt sich an ihnen fest, als wäre das ungläubige Staunen in diesen Augen eine feste Burg. Der Unverstand des Sigristen ein sicherer Hafen. Streckt dem Sigristen die Angst und das Blut und den Schmerz, den Tod entgegen. Der ihm, angewidert von der Geste, die Tür weisen will. Daskind bleibt unter der schweren Holztür stehen, mit den zerstörten Rosen in der ausgestreckten Hand.

      Daskind kann den Zorn im Sigristengesicht sehen. Er spiegelt sich in den Sigristenaugen wider, die jetzt schmal werden

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