Скачать книгу

Wänden, zu einem einzigen, schwarzen Schrei wird, während Daskind tanzt und stampfend den geheiligten Boden bearbeitet. Das will es nicht sehen, Daskind, diese Liebe im Gesicht der Mutter und die Liebe in den Augen des Kindes, das nicht. Bricht Hass aus im Kind ob der Liebe, die es sieht. An der es nicht teilhaben kann. Ist krank, Daskind, vor Lieblosigkeit krank. Winterkind.

      Dann wieder Stille. So viel Kraft ist nicht im Kind, um all das Klagen, das Entbehren, das Nichtverstehen mit einer schützenden Haut aus Hass zu überziehen. Gehen die Schreie des Kindes in ein Wimmern über, in ein Katzengewimmer, das nicht mehr aufhören will. Sein Körper möchte sich teilen, auseinanderbrechen, den Zorn freigeben, diesen Klotz in der Mitte, an dem es erstickt. Doch es bricht nicht auseinander, noch nicht, im Gegenteil, der hässliche Klotz wird schwerer und schwerer, auch wenn sich Daskind kaum weiterschleppen kann unter seinem Gewicht. Der unsichtbare Buckel des Kindes, das kein Kind sein darf. Das nur eine Traumstunde lang den Drachen ritt.

      Kindern, die nachts weinen und schreien, legen die Mütter in der Harch den «Schlaf» unters Kissen. Sie finden den Auswuchs der Rosen­gallwespe in den Hundsrosensträuchern. Soll der «Schlaf» seine Kraft behalten, darf er nicht berührt oder übers Wasser getragen werden. Wenn das Mondlicht in die Kinderstube fällt oder das Hemd des Kindes dem Mondlicht ausgesetzt ist, dann ist das Nachtweinen, so nennen sie es, unvermeidlich. Oder wenn sie beim Eintreten zuerst das Kind betrachten statt andere Dinge. Wenn der «Schlaf» seine Kraft verliert, gibt man den Nachtweinenden Bockshornsaft, oder man legt ihnen betäubenden Nachtschatten, wilden Hopfen und Spreu aus dem Schweinestall in die kleinen Betten. Einige beräuchern das Kind mit brennendem Zaunmoos, oder sie geben ihnen getrockneten Hühnerkot in die Milch. Das Moos vom Dach eines Kuhstalles dient zum Beräuchern nachtweinender Mädchen, das Moos vom Dach eines Ochsenstalles zum Beräuchern der Knaben. Oder man trägt die nachtweinenden Kinder in den Stall und legt sie auf das noch warme Lager eines Tieres. Wenn ein Kind das Nachtweinen hat, so soll die Mutter abends beim Gebetsläuten Hafer in ihre Schürze geben, darüber das Kind halten und dreimal sprechen: «Du Nachtmutter, gib deinem Ross ein Futter, dass dein Kind schreit und meines schweigt.» Drei Steinchen, während des Läutens unter der Dachtraufe aufgehoben und – ohne sich umzusehen – unter das Kissen des Kindchens gelegt, sollen auch helfen. Manche Mütter legen das weinende Kind auf ein Fell über der Türschwelle, schreiten dreimal darüber und sprechen dabei die Worte: «Welche dich geboren, die hat dich auch befreit.» Damit der Bann hilft, dürfen aber die Mütter nach Sonnenuntergang nichts mehr ausleihen. Wenn sie es nicht vermeiden können, muss es sich der Leihende gefallen lassen, dass ihm ein Stück von seinem Hemd abgerissen und dem Kind unter die Matratze gelegt wird. Manche Frauen waschen sich bei Sonnenaufgang die Brüste mit Weihwasser und lassen die Kinder nachts an den geweihten Brüsten einschlafen.

      Dem Kind hilft keine Mutter. Wenn ein Kind wie Daskind nachts weint, hängt höchstens ein gleichgültiger Mond am Himmel, vielleicht schreit ein Kauz. Oder ein Hase hoppelt erschrocken ins Gebüsch. Wie jetzt, am östlichen Ende der Harch, als das Kind endlich die Kromenkapelle verlässt und nichts mehr anzufangen weiß mit den Sekunden.

      Im Ausweglosen verstrickt.

      In der ausweglosen Zeit, die sich in Ewigkeiten verwandelt.

      In dieser Nacht voller schwirrender Narrenlichter.

      Irrlichtert

      Daskind mit dem Kind

      über das Feld

      hinter

      der Kromenkapelle.

      Trägt

      am Buckel

      Daskind.

      Als der Knecht auf dem Hof am östlichsten Rand der Harch das Wimmern des Kindes vernimmt, glaubt er, eine junge Katze zu hören. Langsam sucht er das Feld ab, bis er in einer Ackerfurche ein Kind kauern sieht. Er habe geglaubt, dass dort ein verirrtes Kätzchen jammere, sagt der Knecht dem Bauern, als er Daskind auf seinen Armen in die Stube trägt. Der ruft nach der Bäuerin. Die schlägt beim Anblick des Kindes die Hände zusammen und kann nicht aufhören, ein ums andere Mal Armeskind zu sagen, so verloren.

      Wem es gehöre, wird Daskind gefragt. Das aber stumm bleibt. Die Milch trinkt. Sich an der großen Brust der Bäuerin wärmt. Das springt nicht über den Abgrund Wort, um endlich anzukommen, eine Ordnung zu finden. Daskind bleibt unbehaust, trotz der Wärme im Raum und der Milch, keiner Verführung zugänglich ist Daskind.

      An diesem Tag wird Daskind zweimal davongetragen. Erst vom Knecht in die fremde Stube. Dann vom Pflegevater in die Kinderkammer. Nachdem ein Hin und Her von Fragen die Herkunft des Kindes klärte. Des Hergelaufenen. Daskind hat sich nicht gewehrt. Ist im ­offenen Jeep unter Kari Kenels Gummimantel, auf den ein Sommerregen niederprasselte, nach Hause gefahren worden, in die Gefahrenzone aller Gefahrenzonen, wo Frieda Kenel herrscht. Und der Im­mergrüne. Auch Kari Kenel. Der heute keinen Ledergürtel aus den Schlaufen zerrt. Nur den Kopf schüttelt und «Warumkind» murmelt. An diesem Tag.

      11

      Agnus Dei, qui tollis peccata mundi. Das kann lange dauern, vielleicht ein Leben lang, das Danken, das Demlammdanken, weil es die Sünden der Welt auf sich genommen hat und für die Sünder gestorben ist. Agnus Dei. Singen die Dörfler mit schleppenden Stimmen, während Pfarrer Knobel mit hoch erhobenen Armen die Hostie über den Kelch hält. Seine Augen sind geschlossen. Schweißperlen auf der Stirn, Daskind sieht es genau.

      Die Zeit ist ein spiralförmiger Lindwurm, man weiß nie, auf welcher Ebene seines mehrfach gewundenen Rückens man grad sitzt. Daskind denkt an seine Sünden, die ein Lamm auf sich genommen hat. Es müssen seine Sünden sein, die das Lamm getötet haben. Es ist ein Albtraum, an die Sünden zu denken und an das Lamm mit dem Messer am Hals. Während der Schafschur scherzen die Männer und drohen spielerisch mit ihren Messern, machen das Zeichen des Halsab­schneidens. Die Schafe blöken und versuchen mit ungeschickten Bewegungen, sich zu befreien. Wenn sie auf den Rücken geworfen werden, ragen ihre zappelnden Beine anklagend in den Himmel. Einige verdrehen die Augen. Starren in eine andere Welt als die der Bauern mit ihren Messern. Manche stellen sich tot, sodass Daskind tatsächlich glaubt, sie seien gestorben. Auch wenn kein Blut fließt. Es ist eine Sünde, ein Lamm mit seinen Sünden zu beladen, dass es daran stirbt. Keine lässliche, die vergeben werden kann, eine Todsünde. Wäre Daskind nicht geboren worden oder kurz nach der Geburt gestorben, in den Bach geworfen worden, vom Vorderberg gestürzt, im See ertrunken, von Schirmers Stier zerfetzt oder vom Pensionisten, hätte kein Lamm sterben müssen. Wen auch immer das Lamm von seinen Sünden befreit hat, Daskind ist nicht unter ihnen.

      Das ist mein Fleisch, sagt der Pfarrer mit starker Stimme, und das ist mein Blut, nehmet und esset von meinem Fleisch, trinket von meinem Blut. Sagt auch der Pensionist nachts in der Kammer des Kindes. Hält Daskind in seinen Pranken gefangen. Presst mit dem schweren Leib den Leib des Kindes in die Kissen. Führt den haarigen Schwengel in den Mund des Kindes. Stößt stöhnend zu. Erstickt Daskind am Das­istmeinfleisch. Rächt sich das Lamm. Rasch überschlägt Daskind sein kurzes Leben, bricht ab vor dem letzten Stoß des Stöhnenden, hat beim Überschlagen fast das Atmen vergessen, pumpt das Herz vergiftetes Blut durch den Körper. In wilder Wut. Rast Dasistmeinblut durch die Adern des Kindes. Liegt befriedet der Stier auf dem Kind. Unter den Augen des Lamms an der Wand. Unter den Rosaaugen des Lamms, das lächelt auf den Schultern des Hirten.

      In der Sakristei ordnete Jakob Gingg die Soutanen des Pfarrherrn, als Daskind auf Geheiß seines Pflegevaters einen Strauß Rosen vorbeibrachte. Vorbeibringen musste. Während die Stunde bedrohlich mit den Flügeln schlug, hatte sich Daskind, an die Rosen geklammert, wieder einmal durchs Dorf geschlichen, am alten Schulhaus vorbei, ohne einzutreten, dem neuen entlang und am Pfarrhaus, der Michaelskirche zu. Die Rosen waren von der Pflegemutter in eine alte Ausgabe des Bezirksanzeigers gewickelt worden. Trotzdem bohrten sich die Dornen in den Handteller des Kindes. Um den Sigristen für einen Gedankenaustausch über neue Zuchtmöglichkeiten günstig zu stimmen, hatte Kari Kenel die schönsten seiner Stöcke geplündert. Er hatte sich sogar dazu durchgerungen, einige voll erblühte Zweige seiner Moosrosen zu opfern. Das zarte Rosa der Moosrosen ergänzte Kari Kenel mit einigen Hohlsteinrosen, deren blutrote Farbe den Sigristen einst zur Bemerkung veranlasst hatte, dass dieser wunderbaren Blüte der Name Herzblut

Скачать книгу