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die Epigonalität der Romantik als „Reaktionsform“ (PR 84) heraus. So profiliert er die katholische Kirche, Ontologie und Theologie, der er nahe steht, gegen die Romantik. Burke, Bonald und de Maistre, Gentz, Haller und auch Stahl rechnet er nicht zur Romantik. Donoso Cortés ist noch nicht erwähnt und es gibt noch keine klare Absage an die dynastische Legitimität und Restauration. Damit erscheint die Schrift als ein letztes Abwehrgefecht in der Option für die Gegenrevolution. Die Taine-Dissertation seiner geliebten Kathleen Murray, die Schmitt vermutlich in erheblichen Teilen – „jedes Wort von mir“ (TB 1921/24, 87, vgl. 468) – selbst schrieb, zeigt dann die Grenzen einer soziologischen Deutung der Romantik, als Ausdruck bürgerlicher Bewegung und Demokratisierung,79 die Taine mit einer unzulänglichen „Rassen- und Milieutheorie“80 zu übertünchen suchte. Diese Abgrenzung von Taines Soziologismus geht dann ins Vorwort von 1924 zur erweiterten Fassung der Politischen Romantik ein.

       2. Novalis-Erwähnungen in der Politischen Romantik

      Schmitt hat sich nur beiläufig mit Novalis beschäftigt. In den Tagebüchern der 1920er Jahre wird er gelegentlich erwähnt, in den Publikationen und Briefwechseln spielt er aber fast keinerlei Rolle. Das vierte Kapitel der Politischen Theologie eröffnet: „Den deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung eigentümlich: das ewige Gespräch; Novalis und Adam Müller bewegen sich darin als der eigentlichen Realisierung ihres Geistes.“ (PT 69) Novalis wird in der Schrift aber nicht weiter erwähnt. Ein wichtiger Nachtrag zur Politischen Romantik findet sich in der Verfassungslehre von 1928, die für die „Lehre von der Monarchie“ verschiedene Begründungen unterscheidet. Schmitt schreibt hier eingehender:

      „Im 19. Jahrhundert tritt die echte Idee der Monarchie zurück. […] In der Rechts- und Staatsphilosophie von Fr. J. Stahl sind verschiedene Gesichtspunkte miteinander verbunden, aber selbst hier fehlt das spezifisch Monarchische des Gedankenganges und die Argumentation wirkt wie ein kluges Plädoyer. […] Noch viel weniger sind die romantischen Poetisierungen von Königen, wie sie bei Novalis und Adam Müller vorkommen, eine monarchische Staatstheorie. Sie machen aus dem Monarchen einen Anknüpfungspunkt für Stimmungen und Gefühle […] Der Gedanke der Repräsentation des Staates, das politische Formprinzip der Monarchie, verflüchtigt sich in die Vorstellung, daß der König ein Symbol oder eine Art Fahne ist“ (VL 284f).

      Der Begriff der Repräsentation ist für Novalis tatsächlich wichtig. Wenn Schmitt die Lehre vom König als „Symbol“ aber auf eine „Art Fahne“ reduziert, bagatellisiert und banalisiert er die Überlegungen polemisch. In der Politischen Romantik findet sich Novalis häufiger im Schulterschluss mit Müller erwähnt. Das Buch konzentriert sich aber mehr auf das Verhältnis zur Restaurationspolitik nach 1815 und die Spätromantik. Schon deshalb setzt es sich nicht näher mit Novalis auseinander. Schmitt hat das Buch für die zweite Auflage von 1925 erheblich überarbeitet und erweitert. Ein Textvergleich zeigt, dass dies nicht zuletzt die Novalis-Erwähnungen betraf. Schmitt ergänzt und illustriert seine Pauschalkritik mit einigen prägnanten Zitaten, ohne sich näher auf Novalis einzulassen. Er interessiert sich überhaupt erstaunlich wenig für die politische Biographie oder juristische Ausbildung des Novalis und kontextualisiert die Frühromantik nicht in den Wendejahren um 1800 beim Aufstieg Napoleons. Ein Grund für dieses Desinteresse wurde bereits genannt: Schmitt konzentriert sich auf Müller und belastet sein Werk nicht mit dem historischen Vergleich zwischen Früh- und Spätromantik; er bestreitet der Politischen Romantik vielmehr pauschal die Produktivität und erklärt die Romantiker zu Wendehälsen und Opportunisten, die vor der Politik in Poesie flüchteten. Dieser These ist alles untergeordnet.

      So findet sich im Buch keine starke Kontextualisierung und Differenzierung zwischen den Antworten auf 1789 und 1815. Schmitt rührt diverse Autoren im Prototyp Adam Müller zusammen. Obgleich Novalis im Buch vergleichsweise häufig erwähnt ist, ist die Funktion seines Namens im Werk deshalb leicht überschaubar. Schmitt erwähnt Novalis häufiger mit wiederholenden Schlüsselformulierungen. Den Ofterdingen- Roman erwähnt er nicht und zitiert meist nur aus wenigen Fragmenten nach der vierbändigen Ausgabe von Jacob Minor. Novalis fungiert im Buch als Pionier der Ästhetisierung und Poetisierung. Im Vorwort zur erweiterten Auflage schreibt Schmitt dazu:

      „Im Romantischen wird alles zum ‚Anfang eines unendlichen Romans‘. Diese auf Novalis zurückgehende, den sprachlichen Sinn des Wortes wieder zur Geltung bringende Formulierung bezeichnet am besten die spezifisch romantische Beziehung zur Welt.“ (PR 26)

      Im Haupttext ergänzt Schmitt 1925: „Dieses Fragment (Nr. 66) gibt die eigentliche Formel des Romantischen.“ (PR 121, vgl. 122) Schmitt bezieht sich vermutlich auf folgende Bemerkungen aus Novalis’ Blütenstaub-Fragmenten:

      „Alle Zufälle unseres Lebens sind Materialien, aus denen wir machen können, was wir wollen. Wer viel Geist hat macht viel aus seinem Leben – jede Bekanntschaft, jeder Vorfall wäre für den durchaus Geistigen – erstes Glied einer unendlichen Reihe – Anfang eines unendlichen Romans.“81

      Es wäre Schmitt leicht möglich gewesen, diese Bemerkungen näher auszulegen und von der romantischen „Formel“ vom „magischen Idealismus“ her zu entwickeln. Der apodiktische Ansatz beim Okkasionalismus ist dagegen alles andere als naheliegend und plausibel. Schmitt ignorierte aber die idealistische Grundlegung der Romantik und wählte einen externen, polemisch charakterisierenden Zugang. Er suchte die „eigentliche Formel“ des Novalis nicht aus den Voraussetzungen des magischen Idealismus zu explizieren, sondern setzte eine gänzlich andere „Formel“ voraus:

      „Romantik ist subjektiver Occasionalismus, d.h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlass und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität.“ (PR 23)

      Man könnte Schmitts Alternativformel als polemische Strategie verstehen, sich auf die romantische Philosophie nicht einzulassen. Mit seiner Gegenformel ist der Explikationsverzicht beschlossen. Seine weiteren Novalis-Erwähnungen variieren und exemplifizieren meist nur den Satz vom „Anfang eines unendlichen Romans“. Schmitt verzichtete auf die nähere Auseinandersetzung mit Novalis, weil er sich buchstäblich ganz auf die exemplarische Hinrichtung Adam Müllers konzentrierte. Für die zweite Auflage weitete er die Belege unter dem Eindruck der Kritik zwar etwas aus, ohne jedoch sein homogenisierendes Verfahren aufzugeben und genauer zwischen Früh- und Spätromantik zu differenzieren. Deshalb rückte Novalis nicht aus dem Schatten Adam Müllers heraus und verblieb in seiner marginalen und illustrativen Rolle. Eine nähere Auseinandersetzung etwa mit dem Europabild oder der Philosophie des Novalis fehlt 1919 wie 1925. Das heißt nicht, dass Schmitt dazu keine Meinung gehabt hätte; er wollte aber offenbar nicht in die nähere Auseinandersetzung eintreten, weil dies der literarischen Anlage des Buches widersprach: Die exemplarische, prototypische Auseinandersetzung mit Adam Müller sollte im Zentrum bleiben.

      1925 grenzte Schmitt Joseph de Maistre in einer Rezension von der Romantik ab.82 Eine ätzende Besprechung von Paul Kluckhohns Studien zur Staatsanschauung der deutschen Romantik kann dann als letztes Gefecht gelten: Schmitt attestiert Kluckhohn hier, „dass eine Kompetenz auf dem Gebiet der romantischen Liebe noch keinerlei Kompetenz auf dem Gebiet der Staatsauffassung zu begründen vermag.“83 Schmitt kritisierte, dass Teile der Forschung ihren Gegenstand immanent, aktualisierend, mimetisch und romantisch erörterten. Seine eigenen Versuche, sich dagegen in katholische Traditionen der Gegenrevolution zu stellen, wurden vom Mehrheitskatholizismus niemals akzeptiert. Als Schmitt infolge seiner Scheidung und erneuten Heirat 1926 dann förmlich exkommuniziert wurde, brach er mit der Kirche und verschob die konfessionelle Stereotypisierung in den Antisemitismus. Polemische Abgrenzungen vom Protestantismus finden sich zwar weiterhin gelegentlich, Schmitt verzichtete aber fortan auf starke katholische Identifikationen und beteiligte sich nicht weiter an der innerkatholischen Diskussion. Damit hatte er auch das Interesse an der Romantik eigentlich verloren, das stellvertretend für seine Stellung zum Mehrheitskatholizismus stand. Seine Ablehnung der Politischen Romantik stellte Schmitt nach 1925 nicht mehr ernstlich in Frage und er positionierte sich auch nicht weiter im Feld der Romantikkritik.

       3. 1815 statt 1798: Hegel statt Novalis, Staat

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