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Carl Schmitts Gegenrevolution. Reinhard Mehring
Читать онлайн.Название Carl Schmitts Gegenrevolution
Год выпуска 0
isbn 9783863935771
Автор произведения Reinhard Mehring
Жанр Социология
Издательство Bookwire
Mit dem Aufruf zum Sozialismus hatte er seine Position gefunden. Seine „mystische Anthropologie“ vom „werdenden Menschen“ artikulierte er nach 1911 dann meist in der Form literaturkritischer Essays. Er verband oder verquickte hier mittelalterliche Mystiker mit anarchistischen Autoren, rezipierte Meister Eckart und Jakob Böhme, Proudhon und Kropotkin. Seit 1916 stand Landauer in engerer Verbindung mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus und hielt dort zahlreiche Vorträge über Goethe, Shakespeare und andere Dichter. Seit dem November 1918 engagierte er sich dann in München. In der Revolution hielt er zahlreiche politische Reden. Dazu kamen Gedächtnisreden u.a. für Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Eisner. Am 12. Januar kandidierte Landauer in seinem schwäbischen Wohnort Krumbach für die USPD. Noch Ende Januar 1919 plante er aber einen Umzug nach Düsseldorf, um ein Engagement als Dramaturg am dortigen Stadttheater anzunehmen.
Der Shakespeare-Zyklus, 1920 von Martin Buber posthum herausgegeben, ist ein letzter Stand seines Denkens. Landauer deutet den Liebestod von Romeo und Julia hier als religiöses „Versöhnungswunder“: „Die Liebe hat sich opfern müssen, um die Menschen vom Haß zu erlösen“, heißt es im Shakespeare-Vortrag.125 Vielleicht betrachtete er sein Revolutionsengagement, nach dem Tod seiner Ehefrau, als ein solches Opfer. Als romantischer und utopischer Sozialist hing er einer irrationalistischen Lebensphilosophie erotischer Vergemeinschaftung und „Verbrüderung“ der Menschen im spontanen Handeln an. Ähnlich wie Hannah Arendt unterschied er strikt zwischen dem politischen Handeln „zwischen den Menschen“ und politischer Organisation und bejahte die revolutionäre Aktion als „Selbstzweck“: als transindividuellen Liebesakt und Happening vom Selbstgefühl des Lebens. Dieser politische Enthusiasmus war für die Zwecke des Alltags und deren bürokratische Organisation völlig blind. Landauer sah gleichsam nur das Feeling, den Rausch und Charme der Revolution, ohne Blick für die anstaltsstaatlichen Formen. Er setzte das Erleben ins flüchtige Ereignis, beschwor die verändernde Kraft revolutionärer Erfahrung, zielte nicht auf Organisation, sondern auf Mentalität. Kant erörterte die enthusiastische Anteilnahme und „Teilnehmung“ der politischen Öffentlichkeit am „Geschichtszeichen“ der Französischen Revolution. Ein solches „Phänomen in der Menschengeschichte vergisst sich nicht mehr“, meinte er, „weil es eine Anlage und ein Vermögen in der menschlichen Natur zum Besseren aufgedeckt hat.“126 Landauer wurde durch sein Engagement und seine brutale Ermordung zu einem Märtyrer und Mythos vom Scheitern des politischen Idealisten. Er war ein exemplarischer Vertreter eines antipolitischen und antibürokratischen Konzeptes charismatischer Herrschaft, das praktisch terroristisch wurde.
Was Landauer 1919 zum gewaltbereiten Revolutionär machte, ist letztlich kaum entscheidbar. Im Verlauf der Revolution radikalisierte er sich aber immer mehr. Charismatischer Erwählungsglaube und revolutionäres Avantgardbewusstsein sperrten sich gegen eine verantwortliche Wahrnehmung der diktatorischen Praxis. Die Praktiker der Revolution glaubten an charismatische Herrschaft und betrachteten sich als Kommissare und Diktatoren „des Geistes“. Landauer war ein revolutionärer Gesinnungsethiker und Utopist, der zur Aktion schritt, einen Einklang von Theorie und Praxis suchte und das „Risiko des Politischen“ mit seinem Leben bezahlte.
2. Landauer und Schmitt als Antipoden in der Münchner Revolution
Landauer und Schmitt waren 1919 Antipoden. Während Landauer in München Revolution machte,127 war Schmitt als Jurist in der Heeresverwaltung tätig. Die bayerische Revolutionsgeschichte beginnt im Oktober 1918 mit der Entlassung Kurt Eisners aus Untersuchungshaft. Eisner organisierte mit dem Mehrheitssozialisten Erhard Auer zusammen dann eine Aktionseinheit. Sie proklamierte die Absetzung des bayerischen Königs, der umgehend nach Österreich floh. Es konstituierte sich ein Revolutionskabinett, ein Regierungsprogramm bekannte sich zum Sozialismus und zielte gegen Österreichs großdeutschen Anschlusswillen auf die Separation einer „Donauföderation“. Eine Aktenveröffentlichung zur Kriegsschuldfrage brüskierte das Reich. Eisner reklamierte die Kommandogewalt über die bayerischen Truppen und suchte Wahlen aufzuschieben. Darüber kam es auch innerhalb des Revolutionskabinetts zu Auseinandersetzungen. Die Wahlen vom 12. Januar 1919 brachten dann eine katastrophale Wahlniederlage. Die Unabhängigen Sozialisten erlangten lediglich drei von 180 Sitzen und das Revolutionskabinett war abgewählt.
Eisner spielte nun auf Zeit und berief den gewählten Landtag erst zum 21. Februar ein. Auf dem Weg zum Landtag wurde er von Anton Graf Arco-Valley erschossen. Der Mehrheitssozialist Auer wurde dann im Landtag von einer anderen Person angeschossen und schwer verletzt. Ein „Rätekongress“ übernahm daraufhin die Macht und entschied gegen eine Rätediktatur, verschob aber erneut die Einberufung des Landtags und konstituierte ein Kabinett unter Martin Segitz, in dem u.a. Ernst Niekisch und Edgar Jaffé mitwirkten. Dieses Kabinett wurde von der Berliner Reichsregierung nicht anerkannt. Erst am 17. März wählte der Landtag den Mehrheitssozialisten Johannes Hoffmann zum Ministerpräsidenten, der einige Tage auf der Grundlage eines Ermächtigungsgesetzes eine Minderheitsregierung geführt hatte. Der weiterhin bestehende revolutionäre Zentralrat erklärte diese gewählte Regierung Hoffmann aber für abgesetzt und rief am 7. April 1919 mit Unterstützung eines Soldatenrates die Räterepublik aus. Das war ein Putsch der Unabhängigen Sozialisten im Bündnis mit Anarchisten, sozialistischen Intellektuellen und Mitgliedern des Bauernbundes. Diese Proklamation einer Räterepublik unterzeichneten u.a. Ernst Niekisch, Gustav Landauer und Erich Mühsam. Ernst Toller übernahm den Vorsitz. Das Kabinett Hoffmann floh nach Bamberg und suchte die Hilfe der Reichsregierung.
Landauer stand damals zwischen Eisner und Leviné. Nach der Wahlniederlage vom 12. Januar 1919 schrieb er an Margarete Susmann: „Es hätte nie so kommen dürfen, nie hätte sich die Revolution dieser Sorte Wählerei und Parlamentarismus anvertrauen dürfen; sie hätte die Massen in ihren neuen Gebilden umformen und erziehen müssen“.128 Am 29. Januar sprach er davon, dass die Forderung nach dem „alten Parlamentarismus“ „sogar einen Mann wie Kurt Eisner vom rechten Wege abgebracht“129 habe. Landauer meinte hier, vor der Ermordung Eisners, die verspätete Anerkennung der Wahlniederlage, die Landauer offenbar ablehnte. Er bejahte die Revolutionsdiktatur gegen das demokratische Votum der Wahlen. Im letzten überlieferten Brief an Mauthner schreibt er dazu mit dünner Ironie:
„Die Bayerische Räterepublik hat mir das Vergnügen gemacht, meinen heutigen Geburtstag zum Nationalfeiertag zu machen. Ich bin nun Beauftragter für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft und Künste und noch einiges. Läßt man mir ein paar Wochen Zeit, so hoffe ich etwas zu leisten; aber leicht möglich, daß es nur ein paar Tage sind, und dann war es ein Traum.“130
Der „Vorgang der Ämterverteilung“, erinnert sich Niekisch später, war damals „voll grotesker Züge“. Fast unbekannte Personen erhielten Macht. Landauer hatte sich selbst vorgeschlagen.131 Er musste damals wissen, dass diese Räterepublik keine demokratische Legitimation und Machtbasis hatte. Politisch war er darüber mit Mauthner entzweit. Mauthner schrieb dazu am 3. April in seinem letzten Brief noch:
„Was uns seit bald 5 Jahren trennen will, erscheint mir plötzlich, genau besehen, als etwas sehr Dummes: die Frage der prophetischen Gabe. Es wäre niedrig, das mit der Frage des Erfolges zu verwechseln.“132
Anders als die kommunistischen Berufsrevolutionäre war Landauer ein realpolitisch blinder Utopist. Nachdem er „Mitglied der revolutionären Regierung Bayerns“ wurde,133 schwelgte er Ende November 1918 schon in Revolutionsemphase:
„Revolution! Es wird entsetzliche Nöte geben, vielleicht hunderttausendfache Arbeitslosigkeit und schließlich Industrieruinen wie früher Burgruinen – denn aus diesem Krieg haben wir das Eine gelernt: Daß die Menschen das Gebotene und Nahliegende erst dann