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Rechtsstaat“ und der „unmittelbaren Gerechtigkeit“ des charismatischen Führers und brauchte Jahre, um den Führerstaat als Leviathan zu erkennen. Zweifellos hätte er aber in den 1920er Jahren schon Novalis entgegnen können: ‚Deine chiliastischen Träume vom „neuen“ und „dritten Reich“ kenne ich! Alle anarchistischen Utopien von der Herrschaftsfreiheit und freien Moral führen in die „Erziehungsdiktatur“. Das zeigt die bolschewistische Sowjetunion! Das war bereits eine Erfahrung der Französischen Revolution!‘

      Novalis hat das nicht so gesehen. Sein „Weg der innern Betrachtung“ changiert zwischen entpolitisierender Ausflucht und anarchistischer Idealisierung und Moralisierung der Politik. Novalis betrachtete das als religiöse Utopie. Um der Zukunft willen idealisierte er die bestehende Monarchie. Wahrscheinlich war ihm die Staatsformenfrage sekundär. Gewiss war er kein dogmatischer Anhänger der dynastischen Legitimität, sondern band seinen Monarchismus an idealisierte Voraussetzungen. Was er verfassungspolitisch vor allem forderte, war die republikanische Gesinnung. Wie sehr seine Überlegungen damals auf verlorenem Posten standen, zeigt schon sein vor dem Ofterdingen entstandenes Fragment über Die Christenheit oder Europa, das erst 1826 vollständig publiziert wurde. Eine Wiederkehr des katholischen Mittelalters war damals ebenso unmöglich wie das tausendjährige Reich einer theokratischen „Regierung Gottes auf Erden“.101 Schmitt konnte diese Schrift nur als Märchen betrachten. Mit den damaligen Entscheidungsfragen hatte sie nichts gemein. Gerade löste sich das alte Reich auf und die letzten geistlichen Fürstentümer wurden säkularisiert. Die Trennung von Staat und Religion wurde vollzogen.

      Novalis antwortete mit seinen Träumereien auf die Zeit um 1798: die Lage nach den Koalitionskriegen, den Verträgen von Basel und Campoformio, in denen Preußen und Österreich sich mit Frankreich arrangierten, sowie den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. Das ist für Schmitts Interesse, oder vielmehr: Desinteresse wichtig. Schmitt unterschied verfassungspolitisch zwischen der Lage nach 1789 oder 1798 und der Jahre 1806 oder 1815: der preußischen Erhebung und der Antwort des Wiener Kongresses und der Restaurationsepoche. Er dachte die deutsche Verfassungsgeschichte von den Resultaten von 1815 her. Als Aufbruchzeit interessierte ihn der Vormärz weitaus mehr als die Lage um 1800. Eine komplexe Beschreibung der verfassungspolitischen Lage in Deutschland nach 1789 hat er nirgendwo publiziert. Erst im Spätwerk erörterte er die Lage nach 1806 und der preußischen Erhebung von 1812 eingehender. Das frühromantische Interim oder Interregnum ignorierte er verfassungspolitisch.

      Will man verstehen, weshalb er die Romantik von der Restauration nach 1815 her dachte und ablehnte, so sehe ich zwei Ansatzpunkte: Es wurde gesagt, dass Novalis den Staat als eine Nation oder Republik imaginierte, die über ein ideales Königspaar integriert wurde. Einen solchen konstitutionellen Vorrang der Nation vor dem Staat gab es für Schmitt, der primär etatistisch dachte, aber nicht. Die nationalistische Mobilisierung Preußens gegen Napoleon beschäftigte ihn erst im Spätwerk. Wenn Schmitt der Romantik von 1798 einen idealistischen Überschuss zubilligte, so lag dieser weniger im Nationalismus als in der Reichsidee. Der wichtigste Text, den er dazu schrieb, ist seine Kölner Antrittsrede vom Sommer 1933 über Reich – Staat – Bund. Dazu gibt es eine interessante Vortragsfassung vom 22. Februar 1933, vor den Märzwahlen und dem Ermächtigungsgesetz, mit dem erst Hitler, nach Schmitts Kategorien, zum „souveränen“ Diktator wurde. In Köln erklärte Schmitt lapidar: „Der Begriff des Staates hat das alte Reich zerstört.“ (PB 191). Im früheren Vortrag meinte er ausführlicher:

      „Es gibt Begriffe, die geradezu eine explosive Kraft haben und umgekehrt: durch Zerstörung eines Begriffs kann ich ein Reich zerstören, und die Wirkungen einer Begriffszerstörung können je nach der historischen Lage der Sache so einer Thronzerstörung selber gleichen. Mit diesen Begriffen ist eine sehr wichtige unmittelbare Frage verbunden, nicht nur, weil sie der Kern von Mythen sein können, um die gekämpft wird, weil sie schließlich zu jedem Katechismus gehören, und ein Staat kann nicht existieren ohne einen Katechismus, und ein Katechismus kann nicht bestehen ohne Begriffe, handhabbare, klare Begriffe“.102 „Aber der Kampf um die Worte Reich und Staat wurde merkwürdigerweise niemals so geführt, daß man sagte, das Reich ist mehr als ein Staat oder das Reich ist etwas anderes als ein Staat, ist eine Art politisches Gebilde für sich, sondern Staat war das selbstverständliche Wort. Die reichstreuen Leute, die zum Ausdruck bringen wollten, daß sie selbst 1797 noch an einem Reich festhielten, fanden dafür kein anderes Wort, als daß sie versicherten, das Reich sei trotz allem doch noch ein Staat“.103

      Schmitt konnte hier Novalis als einen der reichstreuen Denker von 1797 meinen, die der Reichsidee nachträumten und doch vom Staat sprachen, denen ein verfassungspolitisch konkreter Reichsbegriff fehlte. Er nennt stattdessen aber immer wieder den jungen Hegel, der in seiner Verfassungsschrift von 1802 schon „aus dem Reich in den Staat“ geflüchtet sei und dann die Konstitutionalisierung Preußens nach 1815 auf den Begriff brachte. Schmitt ging auf Novalis nicht näher ein, weil seine Verfassungsgeschichte an den Epochen der deutschen Antwort nach 1789 nicht historistisch interessiert war, sondern die Entscheidungen von 1815 zum politischen Ausgangspunkt nahm. Schmitt meinte, dass der preußische Konstitutionalismus die Reichsidee beerbt und beerdigt hatte. Novalis hätte er dagegen als einen Versuch der Rettung der Reichsidee durch Nationalisierung betrachtet.

      Liest man den Ofterdingen mit Glauben und Liebe zusammen, so wollte Novalis Preußen irgendwie mit der Reichsidee verknüpfen. Ein solcher Transfer war aber unmöglich. Die Reichsinsignien lagen in Wien und eine Übergabe an Berlin war politisch wie konfessionell nahezu ausgeschlossen. Schmitts Befund, dass der Staatsbegriff und territorial-staatliche Separatismus, die Spannung zwischen Preußen und Österreich, auch eine Wiedergeburt des Reiches unter preußischen Vorzeichen ausschloss, war politisch berechtigt. Wenn Schmitt das 1933 ausführte, stellt sich die Frage, ob er den Nationalsozialismus als charismatische Wiedergeburt der Reichsidee betrachtete. Buchstäblich muss man das so sehen, obgleich Schmitt vorsichtig und vorbehaltlich formulierte; es könnte ernstlich so gedacht gewesen sein, war Schmitt doch ein religiöser Ekstatiker wie Novalis, der die religiösen Weihen suchte. Eine Verbindung Preußens mit der Reichsidee lehnte er aber für die Lage um 1800 ab und meinte dagegen mit Hegel, dass die Rettung Deutschlands vor Napoleon nur durch die preußischen Reformen auf dem Weg der Etatisierung erfolgen konnte. Diese Antwort der preußischen Reformen hat Novalis jedoch nicht mehr erlebt. Schmitt unterschied bei politischen Denkern zwischen Siegern und Verlierern. Es wäre aber übertrieben zu sagen, dass er Novalis als einen „Besiegten von 1798“ betrachtete. Dessen politische Schriften hatten überhaupt keine Chance. Die idealistische Verklärung des jungen Königspaars war damals auch wenig überzeugend. Der philosophische Chiliasmus des Novalis ist davon zwar nicht getroffen; Novalis war für Schmitt aber nicht zentral, weil er den philosophischen Idealismus mied und die Lage von 1798 in seiner Verfassungsgeschichte keine Rolle spielte.

       V. Gegen den Anarchismus: Fritz Mauthner und Gustav Landauer im Visier

      Die letzten Kriegsjahre, der Systemumbruch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik und das Scheitern der ersten Ehe Schmitts sind aus den biographischen Quellen nicht detailliert greifbar. Die Ablehnung politischer Romantik und seine Option für Diktatur und Gegenrevolution sind aus den Schriften zwar grundsätzlich klar; seine genaue Wahrnehmung der politischen Lage in Bayern und im Reich ist im Umbruch aber kaum explizit. Schmitt argumentierte bereits indirekt mit den historischen Parallelen zur Moderne und Neuzeit: zur Lage nach 1815 und vor 1648. Er sprach von Wallenstein und Adam Müller, David Friedrich Strauss und Bakunin, statt sich zu Ludendorff oder Ebert, Liebknecht, Eisner oder Leviné klar zu positionieren. Es gibt auch nur wenige rückblickende Äußerungen zu den Akteuren des bayerischen Sonderwegs in die Weimarer Republik. Ob Schmitt etwa die Reichsexekution gegen Bayern und die Gewalt der Freikorps in der Bürgerkriegslage des Frühjahrs 1919 für richtig hielt, ist aus den damaligen Quellen kaum zu sagen. Rückblickende Äußerungen sind unzuverlässig. Auch einige späte Briefe an Hansjörg Viesel, in denen Schmitt sich über seine frühe Münchner Zeit äußert, bleiben vage. Viesel hatte sich über die Erwähnung von Otto Gross in der Politischen Theologie (PT 71) verwundert; Schmitt antwortet dazu 1973: „Sie, lieber Herr Viesel, sind also der Erste und Einzige, der – innerhalb eines halben Jahrhunderts!

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