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Eisner ist als Modell des ‚Charisma‘ und der ‚charismatischen Legitimität‘ in Webers Soziologie eingegangen. Der von Jaspers und Theodor Heuss aufgebaute Max-Weber-Kult hat einer kritischen Würdigung dieses erstaunlichsten Falles politischer Theologie im Wege gestanden“.105

      Weber hatte zum Sommersemester 1919 den Lehrstuhl in München übernommen. Damals war Schmitt noch in der Heeresverwaltung tätig. Erst zum Wintersemester 1919/20 übernahm er seine erste feste Dozentur. Er besuchte damals Webers Veranstaltungen und klebte sich eine Teilnehmerkarte in sein Exemplar von Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu ergänzte er handschriftlich: „Die intellektuelle Besorgnis, ein fremdes Charisma zu verkennen, war stärker als die existentielle Angst, das eigene Dasein zu verfehlen. (Dr. Toller, Eisner 1919)“ (TB 1915/19, 495) Weber las im Wintersemester seinen „Abriss der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“ und gab samstags ein Seminar „Soziologische Arbeiten und Besprechungen“. Am 21. Februar 1920 zählte Weber in einem Brief an Karl Vossler die regelmäßigen Teilnehmer des Dozentenseminars auf: Rothenbücher, Palyi, Carl Landauer, Christian Janentzky, Ernst von Aster, Friedrich Klausing und Schmitt.106 Wenn Schmitt rückblickend von der Eisner-Zeit sprach, zeigen sich Überformungen der Erinnerung: Weber veranstaltete das Dozenten-Seminar über ein Jahr nach Eisners Ermordung.

      Spätestens seit der Politischen Theologie argumentierte Schmitt mit der historischen Parallele von 1848; er spiegelte die Lage der Weimarer Republik im Aufbruch des Vormärz und der Paulskirchen-Politik. Diesen nationalliberalen Weg zur Reichsgründung sah er im Licht des Ausnahmezustands von den extremen Polen der Revolution und Gegenrevolution her skeptisch; die Münchner Lage von 1918/19 spiegelte er verdeckt in der kleinen Parallele von 1848. Nur einmal (D 185) erwähnt er damals Landauers Ausgabe von Kropotkins Buch über Die französische Revolution.107 Diese Nennung war kein gezieltes metonymisches „Zeichen“, wie die Erwähnung von Otto Gross, steht aber für eine anarchistische Linie der Revolution – von Kropotkin zu Landauer – und die Aktualität der Fronten von 1848. Landauer gilt auch heute als einer der wichtigsten Vordenker und Akteure der Revolution. Das folgende Kapitel will zeigen, dass Autoren wie Landauer hinter Schmitts ständiger Erwähnung von Bakunin stehen und Schmitt intime Kenntnisse und Einsichten in diese Kreise hatte. Das zeigt sich schon am Interesse für Fritz Mauthner, dessen mystische Philosophie Landauer anarchistisch übersetzte.

       1. Von Mauthner zu Landauer: von der Sprachskepsis zur anarchistischen Revolutionsmystik

      Fritz Mauthner wurde 1849 in Böhmen geboren. In seinen späten Erinnerungen schildert er seine Sozialisation von seiner Dreisprachigkeit ausgehend. Die „Leichen dreier Sprachen“108 – deutsch, tschechisch und hebräisch – trug er mit sich herum. In einem strikt säkularen, jüdischen und bürgerlichen Elternhaus geboren, in Prag aufgewachsen, war er durch eine kurze Phase jüdischer Identitätssuche und Bekehrung hindurchgegangen und früh zu einem „wütenden“ und „kriegerischen Atheismus“109 gelangt. Nach einem geschäftlichen Bankrott des Vaters empfand er sich als Außenseiter. Mauthner betont den „nationalen Zwist“ zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen. An allen „Raufereien mit den Tschechen“110 war er beteiligt. Nach 1866 optierte er kleindeutsch. Wie viele nationalliberale Deutsche und Juden sah er Bismarck als gewaltigen Modernisierer und Befreier aus den nationalistisch zerrissenen und instabilen Verhältnissen des Vielvölkerstaates an. Die Doppelmonarchie war für ihn keine kulturelle und politische Heimat. Nach dem Studium verließ er Prag, wie er schreibt, „für immer, um in Deutschland zu leben“.111 Das Basisfaktum seiner Biographie ist diese Entscheidung für das deutsche Kaiserreich. Es war in erster Linie eine Entscheidung für deutsche Kultur und politische Ordnung, Modernität und prosperierende Stabilität.

      Mauthner verachtete den zeitgenössischen universitätsphilosophischen Betrieb und verstand sich primär als Dichter. Von seinen dichterischen Produktionen gelangte er über die Literatur- und Theaterkritik zur Sprachkritik. In Berlin wurde er ein erfolgreicher Literaturkritiker und schrieb dort in den 1890er Jahren seine Beiträge zur Kritik der Sprache. Mauthner suchte die Sprache vom Zwang sozialer Konventionen zu emanzipieren und in eine sprachlose Mystik und unmittelbare Präsenzerfahrung zu überführen. Diese Utopie mystischer Unmittelbarkeit trennte ihn trotz vieler Gemeinsamkeiten von der „fiktionalistischen“ Philosophie des Neukantianers Hans Vaihinger. Sein Spätwerk, seine vierbändige Geschichte des Atheismus, endete mit einer Absage ans Christentum und dem Etikett einer „gottlosen Mystik“.

      Landauer war mit Mauthner lange eng befreundet. Seine Broschüre Skepsis und Mystik von 1903 schildert Mauthners Weg von der Sprachskepsis zur Präsenzmystik. Landauer betrachtete seine anarchistische Politik als eine praktische Folgerung aus Mauthners Philosophie. Mauthners kleindeutscher Option wollte er nicht folgen. Im Juli 1918 liest er die Jugenderinnerungen und ist verwundert: „Es würde mich interessieren“, schreibt er an Mauthner, „ob Dir in Deiner Jugend der Name Bakunins […] nie begegnet ist? Er hat damals in Prag eine wichtige Rolle gespielt“.112 Landauer betrachtete Mauthners Sprachkritik über Kant hinaus als eine kopernikanische Wendung zur mystischen Innerlichkeit und Subjektivität113 und sah dies als notwendige Voraussetzung für die eigene revolutionäre Wendung an. Er fand es inkonsequent, dass Mauthner nicht den Schritt von der Sprachkritik zur politischen Revolution machte. „Die Erschütterung ist da“, schreibt er Weihnachten 1918, „der Fluß und die Bewegung, das beginnende Chaos – und der Sprachkritiker klammert sich an ‚Deutschland‘“.114 Landauer las Mauthner als „Wegbereiter für neue Mystik und für neue Aktion“.115 Er habe mit den Fiktionen der Grammatik gebrochen und die Sprache insgesamt als „Metapher“ erkannt. Damit habe er das „Ende Gottes“116 begrüßt und zu einem „spiritualistischen Pantheismus“117 gefunden. Für ihn war das neue Selbstgefühl entscheidend, die idealistische Destruktion der Grenzen von Ich und Welt. Landauer berief sich dafür auch auf Hofmannsthal und George; er pries die Befreiung der Poesie zur „Musik“ und fand mit Mauthner zur „großen Stimmung“ des „dionysischen Pessimismus“.118

      In der Broschüre Die Revolution von 1907 heißt es:

      „Entweder kommt bald der Geist über uns, der nicht Revolution, sondern Regeneration heißt; oder wir müssen noch einmal und noch mehr als einmal ins Bad der Revolution steigen. Denn das ist in unseren Jahrhunderten des Übergangs die Bestimmung der Revolution: den Menschen ein Bad des Geistes zu sein. In dem Feuer, der Hingerissenheit, der Brüderlichkeit dieser aggressiven Bewegungen erwacht immer wieder das Bild und das Gefühl der positiven Einung durch verbindende Eigenschaft, durch Liebe, die Kraft ist; und ohne diese vorübergehende Regeneration könnten wir nicht weiter leben und müssten versinken.“119

      Landauer schwärmte vom „Freudegeist“ von 1789 und 1848, von Proudhon und Bakunin. Die Revolution war ihm „um der Auffrischung der Kräfte, um des Geistes willen, Selbstzweck“.120 Dafür setzte er auf eine bündische Selbstorganisation der „Einsichtigen“. Landauer schloss „Judentum und Menschheitsidee“ in seinem sozialistischen Bundesbegriff zusammen. Sehr emphatisch meinte er, „dass der Jude nur zugleich mit der Menschheit erlöst werden kann“121 und Deutschtum und Judentum wie zwei Brüder „einander nichts zuleid und vieles zulieb“ tun.

      1911 publizierte Landauer für seinen „sozialistischen Bund“ die Programmschrift Aufruf zum Sozialismus, die er als „Revolutionsausgabe“ 1919 erneut auflegte. Darin bezeichnete er seinen Sozialismus als einen „Idealismus“ des „Geistes“. „Geist ist Gemeingeist, Geist ist Verbindung und Freiheit, Geist ist Menschenbund.“ Diese „Erleuchtung“ ist nur zu „Einzelnen“, „Wenigen“ gelangt. Landauers Programmschrift richtete sich primär gegen die marxistische Auslegung des Sozialismus und spielte Proudhon gegen Marx aus. Der organisierte Sozialismus ist „ganz und gar kein Sozialismus“; er ist „eine Karikatur, eine Imitation, eine Travestie des Geistes“.122 Der Marxismus will den Industriekapitalismus und den Staat erobern. Der Staat ist aber auch nur ein „Surrogat des Geistes.“123 Der „Wissenschaftswahn“ und „Wissenschaftsaberglauben“ des Marxismus sei völlig vermessen.

      Landauer

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