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und die wohltuenden Behandlungen, der Verzicht auf Alkohol, das tägliche Yoga, das Faulenzen im grandiosen Park unter uraltem Baumbestand, die Radtouren an der nah gelegenen Mosel, dies alles tat unendlich gut. Ich fühlte mich zufrieden, obwohl es auch in der Kur Momente gab, in denen ich tieftraurig war. Diese traten immer dann auf, wenn ich mich draußen im Park aufhielt. In meinem Liegestuhl sitzend, schaute ich in die Baumkronen, hörte das Laub rascheln, sah die Eichhörnchen von Ast zu Ast klettern, spürte den Wind in meinen Haaren und versuchte mich der Zeit hinzugeben, die langsam und träge verging. Schmerzlich wurde mir dann bewusst, wie wenig ich gedanklich im Heute war. Ständig waren meine Überlegungen mit dem Morgen, mit der Zukunft beschäftigt. Nicht nur, weil dies mein Job so erforderte, es lag ganz einfach an mir, an meiner Persönlichkeit. Ich brauche Ordnung und Struktur um mich herum, möchte alles planen und vorausschauend bedenken, Chaos ist mir zuwider. Deshalb bin ich immer erst dann zufrieden, wenn alles erledigt ist und mein Dasein klar und übersichtlich vor mir liegt. Mit dieser Haltung ist es sehr schwierig, im Hier und Jetzt zu sein. Ich realisierte, dass ich mir dadurch auch vieles nahm. Wenn ich gedanklich ständig woanders war, konnte ich mich auch auf die Gegenwart nicht voll einlassen. War ich deshalb von den Zielen meines Lebens so weit weg?

      In diesem Urlaub dachte ich zum ersten Mal über Kündigung nach und darüber, wie ich mich beruflich verändern könnte. Meine alte Leidenschaft für das Schreiben von Texten und Briefen kam mir in den Sinn. Hatte ich vielleicht sogar das Talent ein Buch zu schreiben? War es nicht leichtsinnig meinen sicheren Job aufzugeben, um etwas mir völlig Neues und Unbekanntes zu wagen?

      Nach meiner Rückkehr war meine Erholung schnell dahin, meine Überlegungen waren flink beiseitegeschoben, der alte Rhythmus schlich sich wieder ein. Das Gefühl, niemandem wirklich gerecht zu werden, kehrte zurück. Schwierigkeiten, die auftraten, machte ich häufig an mir und meinem Verhalten fest. »Ich bin schuld, ich habe mich nicht richtig verhalten« waren Sätze, die ich oft und gerne innerlich benutzte. Wieder bemerkte ich nicht oder wollte es nicht bemerken, dass ich mich nur von außen bestimmen ließ. Jegliche Zweifel, die mahnend in mir hochkamen, unterdrückte ich. Zwischendurch schützte ich mich, indem ich verbal austeilte, oft war ich ungenießbar. Meine Unzufriedenheit ließ ich an anderen aus. Keine leichte Zeit, weder für mich, noch für die Menschen um mich herum. Durch Meditation und Auseinandersetzung mit meinem Glauben versuchte ich etwas Ruhe und Ausgeglichenheit zu finden. Der Jakobsweg spukte immer noch in meinem Kopf herum, verbunden mit der Sehnsucht einfach alles stehen und liegen zu lassen.

      Im Sommer urlaubten wir dann nochmals auf Mallorca, diesmal zu dritt. Einen Tag, bevor wir abflogen, ließ ich von meinem Bruder, der mir als Geschäftsführer vorstand, den Urlaubsschein abzeichnen und nutzte dabei die Gelegenheit, ihm zwei weitere Scheine mit der Bitte um Bewilligung zu geben. Bei dem einen war mir klar, dass er diesen abzeichnen würde, auch wenn die Zeit, in der ich frei haben wollte, nicht selbstverständlich war. Zwischen Weihnachten und Neujahr wollte ich ein spirituelles Seminar besuchen und gerade dieser Zeitraum ist eine ganz heiße Phase in der Kollektionserstellung, aber nach fünf Jahren Präsenz konnte ich das guten Gewissens vertreten. Nachdem er seine Unterschrift unter den ersten Schein gesetzt hatte, schaute er mich bei dem zweiten mit mehr als fragendem Blick an: »Das ist nicht dein Ernst, oder? Sechs Wochen am Stück im nächsten Jahr, im Mai und Juni? Wofür?« Daraufhin erzählte ich ihm von meinem Wunsch den Jakobsweg zu gehen, ebenso erzählte ich ihm von meinen Zweifeln und meinen inneren Konflikten. Es war ein gutes Gespräch, wir tauschten uns über unsere größten Wünsche aus, aber auch über unsere Gedanken und Vorstellungen vom Leben. Ich fühlte mich von meinem Bruder verstanden, empfand eine besondere Nähe zu meinem »großen« Bruder. Dennoch, das war mir vorher bereits klar gewesen, die Unterschrift bekam ich nicht. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in unserem Unternehmen: Das, was wir unseren Mitarbeitern nicht zugestehen, ist auch für uns tabu. Wieso hatte ich es dann überhaupt versucht? Wollte ich ein Signal setzen? Sollte ich mich entscheiden? Hieß es am Ende sogar Karriere oder Jakobsweg?

      Der Urlaub zu dritt war schön und schrecklich zugleich. Obwohl ich mich mit Marie, Walters Tochter, sehr gut verstand, kam ich mir oft als drittes Rad am Wagen vor. Es gab eine Symbiose zwischen Vater und Tochter, die so stark war, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Es gab auch keinen Zweifel daran, wer die oberste Priorität bei Walter hatte. Auf der einen Seite absolut in Ordnung, auf der anderen Seite schmerzhaft. Wäre ich mir seiner Gefühle sicherer gewesen, hätte ich mich selbst nicht ständig in Frage gestellt, vielleicht wäre der Urlaub dann so richtig entspannt gewesen. So war er neuer Nährboden für meine Zweifel. Der Druck war wieder da. Mein Beschluss, mehr in der Gegenwart zu leben, war eben nicht so einfach in die Tat umzusetzen.

      Kurz nach Ende des Urlaubs begann erneut die Periode der Messen und der Konzeptfindung für die neue Saison. Es reihte sich Reise an Reise, Termin an Termin. Der September und der Oktober sind immer eine der reiseintensivsten Monate in der Modebranche, jedenfalls im Bereich der Produktionsentwicklung. Gerade in dieser Zeit ist es so, als wenn man wie im Hamsterrad läuft, immer nach vorne – schnell, schneller, am schnellsten.

      Anfang Oktober war ich dann über das Wochenende bei Walter in Bonn. Wir waren diesmal allein. Wir hatten wunderbares herbstliches Wetter, wir flanierten am Samstag durch die Geschäfte der Stadt, verbrachten einen harmonischen Abend miteinander, frühstückten am anderen Morgen lange und ausgiebig und begaben uns dann an den Rhein, um einen langen Spaziergang in der Sonne zu unternehmen. Es war herbstlich warm, der Rhein floss träge dahin. Wir genossen die letzten intensiven Sonnenstrahlen des Herbstes, wie die Menschen um uns herum. Wir aßen Eis, lagen sogar im Gras, es war einfach schön. Vielleicht war es diese entspannte Atmosphäre, dass die Unterhaltung wieder einmal auf das Thema unserer Beziehung zusteuerte. Das Gespräch wurde zunehmend hitziger und emotionsgeladener, unsere unterschiedlichen Erwartungen an unsere Partnerschaft standen im Mittelpunkt der Diskussion. Dann fielen der folgenschwere Satz und die Entgegnung, von wem zuerst, weiß ich heute nicht mehr: »Dann lassen wir es.« »Ja, gut, dann lassen wir es.« Und wir ließen es dann auch, wir trennten uns. Wir weinten beide. Ich, weil ich wieder alleine war und dachte, dass meine Liebe wieder nicht ausgereicht hat: »Ich bin wieder gescheitert.« Er, weil er begriff, wie ernst es mir diesmal war.

      In einer späteren Mail schrieb ich ihm, dass es besser sei, sich zu trennen, wenn der eine den anderen ständig davon überzeugen müsse, dass er es wert sei, von ihm geliebt zu werden. Das ist auf Dauer anstrengend und man verliert darüber seine eigenen Wünsche und Vorstellungen aus dem Blick.

      Auf dem Weg nach Hause hatte ich an diesem Sonntagabend im Auto sehr viel Zeit meinen Tränen freien Lauf zu lassen und nachzudenken. Es war sehr viel Schmerz in mir, trotzdem konnte ich fahren, es war, als ob das Fahren auf der dunklen Autobahn meinen Kummer aus mir herausspülte und Platz machte, damit meine Gedanken frei fließen konnten. Ich ließ mein ganzes Erwachsenenleben Revue passieren, erinnerte mich an Schönes, an Trauriges, an meine ersten Berufspläne nach dem Abitur, meine beruflichen Stationen, meine erste große Liebe, meine erste Ehe, meine Partnerschaft danach. Ich fragte mich: Was macht dir so richtig Freude in deinem Leben? Wo sind deine Talente, was hast du aus ihnen gemacht? Was wünschst du dir am meisten? Bist du wirklich glücklich oder fehlt dir etwas? Warum waren meine Beziehungen gescheitert, warum hatte meine Ehe nicht gehalten? War ich bei der Liebe immer dem gleichen Muster gefolgt, hatte mir einfach den falschen Mann ausgesucht? Wurde ich deshalb nicht geliebt, weil ich die Liebe, die mir im Laufe der Jahre für mich selbst abhandengekommen war, bei anderen suchte und damit jeden Mann überforderte? Ich ging mit mir selber schonungslos ins Gericht, gab mir auf alle Fragen ehrliche Antworten, es hörte ja keiner zu. Aber es gab auch Fragen, auf die ich keine Antworten hatte, da blieb es in mir einfach stumm. Auf dieser Fahrt begriff ich, dass nur ich selbst die noch fehlenden Antworten finden konnte, ich allein war dafür verantwortlich, niemand sonst. Auch wurde mir klar, dass ich dafür Zeit brauchte. Was hatte Bernhard von Clairvaux noch geschrieben: »Es ist viel klüger, Du entziehst Dich von Zeit zu Zeit Deinen Beschäftigungen, als dass sie Dich ziehen und Dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem Du nicht landen willst.« Ich wollte mir nicht länger den Kopf darüber zerbrechen, ob ich so viel arbeitete, weil ich keine eigene Familie hatte oder ob ich keine Familie hatte, weil ich so viel arbeitete. Ich hatte es satt, als Karrierefrau abgestempelt zu werden. Ich wollte einfach nicht länger zwischen zwölf und vierzehn Stunden am Tag mit meinem Beruf verbringen, um am Ende meiner Berufslaufbahn alleine und

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