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ihn an mir? Was hätte ich tun können? War ich zu fordernd gewesen, mit meinem Wunsch nach Klarheit? Dann wieder verfluchte ich ihn, weil er mir nicht früher etwas gesagt hatte. Ich fühlte mich um diese fünf gemeinsamen Jahre betrogen, ich fühlte mich mit meinen achtunddreißig Jahren unendlich alt! Nach außen zeigte ich meinen Schmerz kaum, aber in meinen eigenen vier Wänden verbrachte ich viele Stunden mit dem Gefühl grenzenloser Einsamkeit. Gerade die alltäglichen Dinge überforderten mich. Das sonntägliche Frühstücken mit Brötchen und Zeitung noch im Schlafanzug, das ich bisher als so gemütlich empfunden hatte, löste in mir Heulkrämpfe aus. Abends weinte ich mich in den Schlaf und hatte wirre Träume. Ich stellte mir so viele Fragen: Welchen Sinn hat mein Leben? Was will ich wirklich? Bin ich zufrieden? Wo sind meine Träume geblieben? Bin ich eine von den Frauen, die an ihrem Beruf kleben bleiben und irgendwann alt und verbittert sein würden? Davon gibt es gerade in der Modebranche genug. Frauen, die perfekt gestylt sind und immer den neuesten Trend tragen. Die Frauen, die die »Vogue«, die »Elle« und die »Textilwirtschaft« wie die Bibel lesen und außer ihrem Mikrokosmos Mode nichts mehr sehen. Die Frauen, deren gesamter Tagesablauf sich nur noch um den Job und ihr Äußeres dreht. Die Frauen, die nach außen tough und cool wirken und sich im Grunde ihres Herzens nach Menschlichkeit und Wärme sehnen, deren harte und kantige Gesichtszüge genau diese inneren Kämpfe widerspiegeln. Mir sah man anscheinend Letzteres auch schon an.

      Aber es heißt ja: Zeit heilt alle Wunden. Dies traf auch für mich zu. Meine Eltern, meine vier Geschwister und deren Familien, auch meine Freunde halfen mir über diese schwere Zeit hinweg. Sie luden mich ein, versuchten mich abzulenken, zeigten mir ihre Zuneigung und Liebe auf vielfältige Weise. Der Beruf tat sein Übriges. Meine Arbeit wurde in noch höherem Maße zu meinem Lebensmittelpunkt. Meine Tage begannen morgens sehr früh und endeten spät. Meine Fahrtzeit von Münster nach Ochtrup zu meinem Arbeitsplatz bei bianca, knappe 40 Minuten, nicht eingerechnet. Meine Tage waren reich an Begegnungen, sowohl privat wie geschäftlich. War ich dann einmal allein, versuchte ich die Zeit in vollen Zügen zu genießen. Ich las viel und verschlang ein Buch nach dem anderen.

      Aber es fehlte etwas in meinem Leben und so machte sich immer häufiger Unzufriedenheit in mir breit. Ich hatte oft Phasen, in denen ich mich schwer motivieren konnte und nach außen negative Signale sendete. Was fehlte mir? War es die Sehnsucht nach einem Mann, nach einem Kind? Endlich jemanden zu finden, der sich ohne Wenn und Aber für mich entschied, für mich mit allen meinen Stärken, Schwächen, Träumen und Sehnsüchten. Jemand, der vom Zusammenleben ähnliche Vorstellungen wie ich hatte, der keine Angst vor Nähe und Verantwortung empfand, der eine Beziehung als Bereicherung und nicht als Einengung für das gemeinsame Leben wertete. Nach Hause zu kommen, die Anwesenheit eines Menschen zu spüren, willkommen geheißen zu werden, gemeinsam zu Abend zu essen, ohne sich erst wieder einen Sozialkontakt organisieren zu müssen. Die Tür aufmachen zu können, ohne dass mich eine dunkle Wohnung empfing und ich erst Licht und Radio anschalten musste, um mich nicht so allein zu fühlen. Meine Erlebnisse vom Tag ganz einfach erzählen zu können und dem anderen zuzuhören. Sich vielleicht die gemeinsame Lieblingsserie im Fernsehen anzuschauen, dabei gemütlich auf dem Sofa Rotwein zu trinken und sich aneinander zu kuscheln. Sex zu haben und nicht allein ins Bett gehen zu müssen. Sich das alles vorzustellen und es nicht zu haben, das war einfach quälend. Diese Gedanken einfach beiseite zu schieben, war ein Akt der Unmöglichkeit. Ich kann zwar gut allein sein, möchte aber nicht einsam sein.

      Mich selbst zu lieben war zu dem Zeitpunkt so verdammt schwer. Wie auch, fragte ich mich selbst, wenn man niemanden findet, der vorbehaltlos ja zu einem sagt. Mein Selbstvertrauen war oft im Keller, schneller als gewöhnlich ließ ich mich verunsichern. Dies verspürte ich ebenso in meinem Beruf, oft fehlten mir Ruhe und Gelassenheit. Das Sich-selbst-in-Frage-Stellen war ein häufiger Begleiter in dieser Zeit. Wie weit hatte mein Beruf, mein über die Maßen voller Einsatz für unser Unternehmen, mit meiner privaten Situation zu tun? In mir gärte es.

      Ich kaufte zwei weitere Reisetagebücher und las sie sofort. Die Suche nach dem Sinn in meinem eigenen Leben beschäftigte mich zunehmend, ich reflektierte mich selbst und mein Dasein. An diesen Gedankenprozessen ließ ich nur ganz wenige teilhaben. Mein Alltag lief wie gewohnt, die Arbeit beanspruchte mich sehr. Ungeachtet dieser Tatsachen war mein Aktivitätsindex, sowohl privat wie beruflich, weiterhin sehr hoch. Ich war oft unterwegs, besuchte meine alten Freundinnen in Süddeutschland, schaute mir die Kunstausstellung »MOMA« in Berlin an, probierte ständig Neues aus, wie zum Beispiel einen Tauchkurs, flog mal eben für eine Woche mit einer guten Bekannten auf die Malediven. Ich verspürte eine fieberhafte Lebenslust. Andererseits löste dies alles zwischendurch auch Phasen der Melancholie und Traurigkeit aus. Es waren einfach Lückenfüller, natürlich nicht die Begegnungen mit meinen Freunden, aber alles andere diente der Ablenkung und Zerstreuung. Vielleicht fand ich gerade deshalb wieder häufig den Weg zur Kirche, entweder ging ich in den Dom in die kleine rechte Turmkapelle, um eine Kerze anzuzünden, oder ich besuchte die Kirche des Kapuzinerklosters bei mir in der Nähe. Ich bin und war immer sehr mit meinem katholischen Glauben verbunden, aber in dieser Zeit empfand ich den kirchlichen Raum der Stille noch stärker als zuvor als Trost und Rückzug. Nicht selten überkamen mich die Tränen, wenn ich allein in einer Bank saß. Es waren Tränen der Erleichterung, ich fühlte mich in diesen Momenten so überhaupt nicht mehr allein. Gott war bei mir, das spürte ich.

      Der Weg rief mich. Oft musste ich an das Gelesene denken, sah die in den Büchern gezeigten Bilder plastisch vor mir: Die roten Klatschmohnfelder, die Weinberge, durch die sich der Weg hindurchschlängelte, die Pilgerrucksäcke mit den Jakobsmuscheln, aber für mich kam es wegen der äußeren Umstände einfach nicht in Frage. Der Satz »wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg«, er traf damals nicht auf mich zu. Mein Wille war hier nicht entscheidend, obwohl ich ein sehr willensstarker Mensch bin. Hürden, die sich in meinen Weg stellen, werden ausgeräumt. Woran fehlte es mir nun? War es mangelnder Mut gegenüber dem völlig Unbekannten, der mich zögern ließ? War mir mein Verstand im Weg? Wie so oft jagte ein Gedanke den anderen.

      Ordneten sich mein Herz und mein Bauchgefühl meinem Pflichtbewusstsein unter? Heute weiß ich, dass es genau das war, was mich abhielt. Ich hatte das Gefühl, wenn ich mir diesen Traum erfülle, verhalte ich mich egoistisch, lasse die anderen im Stich. Die anderen, das waren in erster Linie mein ältester Bruder, der als Geschäftsführer die Firma leitet und meine unmittelbaren Mitarbeiter. Auch meinen Vater, der in der Firma nicht mehr aktiv war, wollte ich nicht enttäuschen. Der Verantwortung, die mir übertragen worden war, wollte ich in jedem Fall gerecht werden. Deshalb las ich einfach weitere Bücher über den Jakobsweg, das war schließlich fast dasselbe. Oder nicht?

      Im August des nachfolgenden Jahres passierte etwas, was meine damalige Gefühlswelt in andere Bahnen lenkte und mir ganz neue Energien schenkte. Ich verliebte mich wieder. Während eines kurzen Urlaubes lernte ich einen wunderbaren Mann mit seiner Tochter kennen. Ich schwebte über den Wolken, da ich endlich das Gefühl hatte, angekommen zu sein. In einer E-Mail an ihn zitierte ich daher auch eine entsprechende Textzeile: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« Unsere Beziehung empfand ich als Begegnung, die sich auf vielfältige Weise ausdrückte, durch unterschiedliche Spielarten und viele Facetten. Ich empfand unser Zusammensein als etwas ganz Besonderes, da ich sehr viel Zärtlichkeit, Fürsorge und auch Vertrauen verspürte. Wir diskutierten über alles und jedes, besprachen unseren Alltag miteinander, erzählten uns von unseren Sorgen und Ängsten. Wir waren uns sehr nahe, sowohl geistig wie körperlich. Mit seiner Tochter verstand ich mich ebenfalls sehr gut und wurde von ihr sehr schnell akzeptiert. Die ersten Wochen waren sehr harmonisch, problematisch war nur, dass wir eine Fernbeziehung führten. Unsere Heimatstädte waren nicht wirklich weit voneinander entfernt, aber wiederum auch nicht so nah, dass man mal kurz zueinander fahren konnte. Genau hier begann unser Problem, das heißt aus meiner Sicht war es ein Problem. Ich verspürte den immer stärker werdenden Wunsch mehr Zeit miteinander zu verbringen und wollte unsere Wochenenden langfristiger planen. Durch unsere sehr zeitintensiven Berufe war es nicht selbstverständlich jedes Wochenende gemeinsam zu verbringen. Walter berät und coacht als Diplomsoziologe Unternehmen und Einzelpersonen, er war ständig unterwegs. Auch seine Tochter mussten und wollten wir mit einbeziehen. Dadurch entstanden Stresssituationen, wer sollte fahren, wer konnte fahren, alleine darüber nachzudenken und zu sprechen war für ihn schon mit Anspannung verbunden. Ich interpretierte dies als Zurückweisung und mangelnde Zuneigung, mein altes Gedankenmuster,

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