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mir dies auch indirekt in einem unserer Gespräche: »Ich kann so schnell nicht von Liebe reden, ich empfinde das Hier und Jetzt als wunderschön, aber über die Zukunft bereits zu sprechen, das ist mir nicht möglich. Ich habe mich auch am Anfang nicht Hals über Kopf in dich verliebt.« Dies nagte sehr an mir, vor allem weil ich sein Verhalten mir gegenüber als komplettes Gegenteil empfand, wertschätzend und liebevoll. Gerade deshalb hielt ich an uns fest. Ich vermisste zwar einiges, aber ich bekam auch sehr, sehr viel und mir machte es so viel Freude mich und meine Gefühle zu verschenken.

      Mit meinem Berufsleben haderte ich immer mehr. Es gab Felder in meinem vielfältigen Job, die mir unendlich Spaß machten. Der Umgang mit Mode, sich gedanklich damit auseinanderzusetzen, Frauen durch Kleidung schöner zu machen, ihre persönlichen Stärken zu unterstreichen und ihre körperlichen Problemzonen zu kaschieren, brachte mir sehr viel Freude. Ein weiterer positiver Faktor war der Kontakt mit den Mitarbeitern und die Nähe zu ihnen, Teamentwicklung und -arbeit bewertete ich als entscheidend. Distanziertes Verhalten fand ich meinen Mitarbeitern gegenüber als unangebracht und der Sache nicht förderlich. Transparenz in allem strebte ich an, denn nur gut informiertes Personal konnte entsprechende Leistungen bringen, das war mein Credo. Jederzeit war ich für jeden erreichbar. Meine Belastbarkeit war immens, zwar war ich dabei nicht immer ausgeglichen und nicht die Ruhe in Person, bisweilen war ich auch gereizt und reagierte sehr emotional, aber ansprechbar war ich auf jeden Fall und kümmerte mich sofort, wenn man auf mich zukam.

      Häufig war ich beruflich auf Reisen, zusammengerechnet mindestens acht bis zehn Wochen im Jahr. Die Messen und die Lieferantenbesuche in den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen waren spannend, nährten meinen Wissensdurst und stillten meine Neugierde. Allerdings waren es auf der anderen Seite immer nur Momentaufnahmen. Natürlich bekam ich einen Eindruck von Shanghai, Hongkong oder Seoul, schnupperte in diese fremde, asiatische Welt hinein und machte auch Unterschiede in den jeweiligen Mentalitäten fest, aber es blieb immer beim kurzfristigen Eintauchen. Zu mehr war nie Zeit. Abflug, Ankunft, Koffer im Hotel abladen, direkt zum Lieferanten oder zur Messe, weiter zum nächsten Termin, dazwischen ein schneller Imbiss, abends Essen gehen, später todmüde ins Bett fallen, am nächsten Tag wieder der gleiche Ablauf. Nur ein einziges Mal habe ich in Asien einen Tempel besuchen können, allenfalls hier und da einen Besuch auf einem der zahlreichen Märkte, wo unzählige Markenplagiate angeboten werden, ließ der eng bemessene Zeitplan zu. Mindestens zwei Mal im Jahr war ich in Paris, nie habe ich in all den Jahren den Louvre oder den Eiffelturm besucht, dafür kannte ich jedes Modegeschäft zwischen der Champs-Élysées, der Rue Saint Honoré und dem Boulevard Saint Germain. Die Uffizien in Florenz habe ich besichtigen können, weil unser Flugzeug wegen Nebel erst am Nachmittag starten konnte. Wie oft hatte ich mir vorgenommen, einen oder zwei Tage Urlaub anzuhängen, um von diesen Städten mehr zu sehen als die Geschäfte, Restaurants und Hotels. Aber die Kollektionsfertigstellung ließ keinen Platz dafür, mehr von dem Flair zu genießen und die Momentaufnahmen zu tieferen Eindrücken reifen zu lassen. Trotzdem, die Reisen möchte ich nicht missen. Jedes Eintauchen in fremde Welten erweitert den Horizont und die eigenen Sichtweisen, auch wenn es sich nur um kurze Einblicke handelt.

      Die Modebranche ist eine wunderschöne, bunte Welt, in der es aber auch schnelllebig und hektisch hergeht. Man ist immer mit mehreren Kollektionen, die auch noch verschiedene Jahreszeiten abdecken, gleichzeitig beschäftigt. Das Karussell dreht sich permanent, Verschnaufpausen gibt es nicht. Man ist laufend in Entwicklungsprozessen. Jeder Einzelne muss in diesem Zirkus Höchstleistungen bringen, Schwächen sind nicht erlaubt. Die Kollektionen müssen fertig werden, damit der Vertrieb vermarkten und die Betriebe produzieren können. Ein Rad muss in das andere greifen. Irgendwann war ich all dem gegenüber müde, nichts ging mehr locker von der Hand. Ich fühlte mich, obwohl erst Ende dreißig, häufig uralt. Mein Beweggrund jeden Tag zur Arbeit zu gehen, war nicht mehr Freude an meinem Beruf, sondern es war in erster Linie Pflichtgefühl unserem Familienunternehmen gegenüber. Ich fühlte Abhängigkeit, eine Abhängigkeit, die ungesund war, die mir wehtat. Meine emotionale Unabhängigkeit war mir abhanden gekommen, ich erlebte mich als unfrei und befangen. Freude, die sich aus meinem Selbst entwickelte, nahm ich nur noch wenig wahr. Das fand ich, war eine schlechte Grundlage für die tägliche Arbeit. Es war nicht fair mir selbst gegenüber und schon gar nicht gegenüber unserem Unternehmen. Meiner Meinung nach hatten alle Mitarbeiter Anrecht auf eine voll motivierte, ohne Selbstzweifel geplagte Führungskraft.

      Immer wieder kam mir der Jakobsweg in den Sinn. Würde eine Auszeit mich wieder nach vorne bringen, mich wieder klarer sehen lassen? Wie das Zeitproblem lösen?

      Die Zeit mit Walter war auch von Höhen und Tiefen geprägt.

      Was war das für eine Bindung, die keine Perspektiven kannte?

      Je näher mein 40. Geburtstag rückte, desto intensiver dachte ich über mein Leben nach. Immer wieder die gleichen Gedanken. Natürlich war ich dankbar für vieles: Ich war gesund; ganz attraktiv; finanziell unabhängig, konnte mir vieles leisten, ohne großartig dafür zu sparen; konnte Rücklagen für später bilden; hatte eine schöne Wohnung, liebevolle Eltern und Geschwister, süße Neffen und Nichten, wunderbare Patenkinder, tolle und zuverlässige Freunde. Dankbar zu sein, ist eine wunderbare Eigenschaft und ein großartiges Gefühl. Aber darauf wollte und konnte ich nicht mein ganzes Leben aufbauen. Mehr und mehr wuchs die Unsicherheit darüber, ob mich das alles auf Dauer wirklich glücklich machen konnte. Dieses Glück war ein äußeres Glück, nicht in mir verwurzelt. Welche Kraft konnte ich aus mir selbst schöpfen? Was würde passieren, wenn sich um mich herum alles radikal ändern würde? Irgendetwas fehlte. Irgendetwas lief schief. Gleichzeitig verbot ich mir aber solche Überlegungen: »Reiß dich zusammen!«, predigte ich mir, »andere haben wirkliche Probleme, dir geht es doch gut! Sei nicht so undankbar!« Da war sie wieder, meine Selbstdisziplin, mich in bestimmten Momenten zusammenzureißen, um den an mich gestellten Erwartungen gerecht zu werden. Letztendlich war es so auch bequemer. Trotz meiner immer wiederkehrenden Gedanken und Fragen verhielt ich mich wahrscheinlich wie die meisten Menschen in der Situation. Warum verändern, was bestens funktioniert? Das Gewohnte erscheint uns perfekt, da kennen wir uns aus.

      Im Frühjahr 2005 geschah dann einiges. In der Firma ging es mehr als turbulent zu, neben der normalen Hektik tauchten zusätzliche Probleme auf. Entlassungen aufgrund von Produktionsverlagerungen wurden ausgesprochen. Es fanden deshalb Umstrukturierungen und organisatorische Neuausrichtungen statt. Emotional empfand ich diese Zeit als sehr belastend. Ein Päckchen kam zum anderen, so erschien es mir. Walter und ich trennten uns und kamen kurze Zeit später doch wieder zusammen. Ausgerechnet zu einer wichtigen Stoffmesse wurde ich so krank, dass ich zu Hause bleiben musste. Ich hatte mir einfach zu viel zugemutet und mein Körper rächte sich mit einer schweren Grippe. Christa, eine meiner besten und langjährigen Freundinnen, schickte mir daraufhin einen Brief. Dieser enthielt ein Schreiben des Mönchs Bernhard von Clairvaux an seinen Freund Papst Eugen aus dem 12. Jahrhundert »Gönne Dich Dir selbst.« Ich las Zeilen, die mich tief berührten: »Wenn Du Dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für die Besinnung vorsiehst, soll ich Dich da loben? (…) Wenn also alle Menschen ein Recht auf Dich haben, dann sei auch Du selbst Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. (…) Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? (…) Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst. Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal.« Diese Worte ließen mein schlechtes Gewissen, nicht auf der Messe zu sein, schlagartig zur Ruhe kommen. Im Laufe des Jahres nahm ich diesen Text immer wieder zur Hand, er befand sich jederzeit griffbereit in meinem Timer. Ich versuchte die Worte zu beherzigen und sorgte dafür, dass ich mir immer wieder kleine Inseln der Ruhe, Entspannung und Besinnlichkeit schaffte.

      Die Beziehung zu Walter war wieder entspannter, auch weil ich beschlossen hatte, mehr Zeit im Hier und Jetzt zu verbringen, mehr den Augenblick zu genießen und nicht ständig den Blick nach vorne zu werfen. Dies gelang mir ganz gut und dadurch wich der Druck. Wir beschlossen, zum ersten Mal allein, nur zu zweit, ein paar Tage Urlaub zu machen. Unser Reiseziel war eine einsam gelegene Finca im Nordosten von Mallorca. Wir verbrachten traumhafte Tage und kehrten beschwingt einen Tag vor meinem 40. Geburtstag im Mai wieder zurück. Meinen runden Geburtstag feierte ich dann mit meiner Familie, allen meinen Freunden und auch vielen Kollegen aus der Firma mit einer stimmungsvollen Party im Hafen von Münster. Selbst schenkte ich mir eine zehntägige

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