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auf der Sekundarstufe II und eine Überrepräsentation in berufsbildenden Angeboten mit tiefen Qualifikationsansprüchen aus. Auf der Grundlage verfügbarer Daten ist es aber nicht möglich, generalisierte Aussagen zur Bedeutung bestimmter Störungsbilder, wie etwa Dyslexie oder Dyskalkulie, auf die schulische und berufliche Laufbahn zu machen.

      Der Umgang mit Behinderungen ist in Bildungssystemen auch deshalb so schwierig, weil sich je nach Schädigung und deren Ausprägung andere Fragen stellen – sowohl bezüglich Förderung als auch bei Entscheidungen zur schulischen und beruflichen Laufbahn. Obwohl die Wissensbestände sowohl zu Förder- und Unterstützungsmassnahmen als auch zu Nachteilsausgleich und Gleichstellungsmassnahmen heute gross sind, muss sich auf diesen Grundlagen erst eine gemeinsame Praxis entwickeln, bevor sich die Situation der betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen tatsächlich verbessert.

      Professionell durchgeführte Bedarfsabklärungen und «Massnahmen am Individuum» genügen hier nicht, um diskriminierende Bildungsentscheide zu vermeiden. Die Anforderungen, welche Ausbildungsgänge der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe an Jugendliche und junge Erwachsene stellen, müssen systematisch mit ihren behinderungsbedingten Lernvoraussetzungen verglichen werden können. Erst auf dieser Grundlage kann abgeschätzt werden, wo Unterstützung des Betroffenen und wo Adaptationen bei den Vorgaben oder Angeboten des Ausbildungsgangs angesagt sind. Damit diese Analyse gelingen kann, gilt es als Erstes zu sichern, dass ein gemeinsames, für Bildungssysteme nützliches Verständnis von Behinderungen aufgebaut werden kann, das sowohl für die Betroffenen selbst, für Personen in den Ausbildungsgängen als auch für Spezialistinnen und Spezialisten relevant ist. Dies ist eine wichtige Grundlage für die Etablierung eines konstruktiven Diskurses über Aufgaben, Verantwortung und Entwicklungsbedarf des Bildungssystems. Im nächsten Abschnitt soll deshalb der Frage nach einem adäquaten Verständnis von «Behinderungen» nachgegangen werden.

      1.4 Sind Dyslexie und Dyskalkulie Behinderungen?

      Dennoch ist es wichtig, zwischen der Störung und deren Auswirkungen zu unterscheiden. Während Dyslexie oder Dyskalkulie stabile Syndrome sind, sind die damit assoziierten Behinderungen von den spezifischen Anforderungen und den verfügbaren Hilfsmitteln und möglichen Anpassungen abhängig. Zu einer Behinderung gehört sowohl das «Behindertsein» als auch das «Behindertwerden». Ob es einer betroffenen Person gelingt, trotz dieser Störung eine Ausbildung erfolgreich abzuschliessen, hängt davon ab, wieweit sie selbst fähig ist, die vorliegende Störung zu kompensieren und damit umzugehen. Aber auch die schulische Umwelt ist von grosser Bedeutung; sie kann fördernd oder hemmend wirken. Wenn es um Bildung geht, müssen im Fall einer Behinderung zahlreiche Menschen eng zusammenarbeiten: Lehrperson, Eltern, schulische Heilpädagoginnen, Therapeuten, Ärztinnen und vermehrt auch Personen in der Schul- oder Bildungsverwaltung. Da kann es leicht passieren, dass Begriffe unterschiedlich verstanden, Phänomene verschieden eingeschätzt und falsche Schlüsse gezogen werden. Ein zentrales Problem in der Realisierung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen ist, dass in den Schulen keine gemeinsame und kohärente Sprache etabliert ist, die das Behindertsein und Behindertwerden thematisieren kann.

      Abb. 2: Modell der ICF

      Quelle: WHO 2005

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      Lesen und Schreiben können gemäss ICF sowohl als Aktivitäten als auch als Partizipationsbereiche verstanden werden. Unter der Perspektive der individuellen Fähigkeiten werden Lesen und Schreiben als Aktivitäten verstanden; unter der Perspektive der

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