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sich dem betäubten Förster näherte, zerlegte er das zusammenschraubbare Blasrohr und schob es in seinen Rucksack. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck betrachtete er sein Opfer, dann zog er Müller den Betäubungspfeil aus dem Arm und ließ ihn dem Blasrohr folgen. Der Angreifer tastete den Jäger nach Waffen ab. Seine Hände waren dabei mit dünnen Lederhandschuhen geschützt, denn Spuren wollte er keine hinterlassen. Das Messer am Gürtel ließ er an Ort und Stelle. Er wusste, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Das Mittel war, natürlich in entsprechend höherer Dosierung, in der Lage, Elefanten zu betäuben. Dieser Förster würde für geraume Zeit ausgeschaltet sein. Er durchsuchte seine Taschen nach Autoschlüsseln und wurde fündig. Dann griff er sich das Gewehr. Routiniert öffnete er das Patronenlager der Waffe und überzeugte sich davon, dass sie geladen war; dann warf er sie sich mit dem Gewehrriemen über den Rücken und marschierte davon.

      Als der Pfad nach zehn Minuten wieder in einen etwas breiteren Waldweg mündete, schnalzte der Reiter leise mit der Zunge und presste die Absätze gefühlvoll gegen Leilas Flanken. Die sensible Stute reagierte freudig auf die Ermunterung und sprang in Galopp. Das Tempo ließ er sie selbst bestimmen.

      Durch das dumpfe Trommeln der Pferdehufe auf dem Waldboden hörte der Reiter das Motorengeräusch ziemlich spät. Plötzlich, wie aus dem Nichts, schoss nur einen Steinwurf entfernt ein Geländewagen hinter einer dichten Fichtenkultur hervor, lenkte mit durchdrehenden Reifen auf den Waldweg und raste frontal auf Pferd und Reiter zu. Instinktiv ließ sich der Mann auf dem Pferderücken nach hinten in den Sattel fallen und riss heftig am Zügel. Die harte Parade übertrug sich schmerzhaft auf das Pferdemaul. Mit einem lauten, panischen Wiehern sackte die Stute auf die Hinterläufe herunter und rutschte ein Stück schlitternd über den Waldboden. Der Fahrer war mittlerweile nur noch wenige Meter entfernt. Plötzlich ertönte die Hupe des Geländewagens, und das Fahrzeug wurde abgebremst.

      Das war zu viel für Leila. Sie stieg vorne steil in die Höhe und schlug mit den Vorderhufen in die Luft. Ihre Ohren waren furchtsam angelegt, ihre Augen traten erregt aus den Höhlen. Da ertönte der Knall eines Schusses. Nun verlor der Reiter endgültig die Kontrolle. Wie eine Katze warf sich die Stute fast auf der Stelle auf der Hinterhand herum und stürmte panisch auf dem Waldweg davon. Der Reiter wurde seitlich aus dem Sattel geschleudert, blieb aber fatalerweise mit einem Stiefel im Steigbügel hängen. Wie eine Puppe wurde er von dem Pferd seitlich mitgezerrt, wodurch Leila noch kopfloser wurde. Mit schrecklicher Wucht knallte der Reiter gegen Baumstämme und Holzstümpfe, die den Weg säumten, und wurde durch Dornengestrüpp gerissen. Schon nach wenigen Metern schlug er mit dem Kopf gegen eine an der Seite liegende gefällte Eiche und wurde ohnmächtig. Er verlor den letzten Halt und wurde wie eine menschliche Marionette unter die Hufe der Stute geschleudert. Das massive Hufeisen der linken Hinterhand traf seinen Körper und zerschmetterte dabei seinen Hüftknochen. Durch den hierdurch ausgelösten Ruck wurde der Stiefel aus dem Steigbügel gerissen, und der Mann blieb nach wenigen Metern regungslos auf dem Waldweg liegen. Leila galoppierte, von ihrer Last befreit, noch schneller davon. Ihr Fluchtinstinkt würde sie nicht eher anhalten lassen, bis sie den Reiterhof erreicht hatte.

      Der Mann im Tarnanzug war mit dem Erfolg des in die Erde abgegebenen Schusses zufrieden. Er hatte die Reaktion des Pferdes richtig eingeschätzt. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er die Flucht des Tieres und die menschliche Last, die es hinter sich herzerrte. Langsam legte er den Gang ein und folgte dem davonstürmenden Tier. Früher oder später würde es seinen Ballast abschütteln. Er sollte recht behalten. Gute hundert Meter weiter sah er die verkrümmte menschliche Gestalt auf dem Waldweg liegen. Langsam stieg er aus und trat an den wie leblos erscheinenden Mann heran. Dessen Gesicht war von Dornen blutig gezeichnet. Aus einer großen Platzwunde an der Stirn strömte reichlich Blut. Bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, dass sich der Brustkorb des Verletzten leicht hob und senkte. Er lebte also noch. Der Mann zog eine Pistole mit Schalldämpfer aus dem Holster am Gürtel, entsicherte sie und gab ohne Zögern zwei Schüsse ab. Nachdem er alles Notwendige erledigt hatte, entfernte er sich. Den Geländewagen und die Jagdwaffe ließ er an Ort und Stelle stehen. Verwertbare Spuren hatte er keine hinterlassen.

      Mit herabhängenden Zügeln und lose pendelnden Steigbügeln galoppierte Leila zwanzig Minuten später auf den Reiterhof in der Mergentheimer Straße. Mit Schaum vor den Nüstern und bebenden, schweißnassen Flanken blieb die Stute schließlich vor dem Eingang zu den Stallungen stehen. Sofort liefen mehrere Mitglieder des Reitstalles und zwei Pferdepfleger zusammen. Einer der Männer fing die Stute ein. Selbstverständlich hatte sich ihr Besitzer abgemeldet, als er den Ausritt antrat. Leila musste ihrem Reiter irgendwie ausgebüxt sein. Da aber auch ein Unfall die Ursache sein konnte, musste man nachsehen. Da die Strecke bekannt war, eilten zwei Reiter in den Stall und sattelten die zwei schnellsten Pferde. Sie würden den Reitweg absuchen. Wahrscheinlich war der Reiter zu Fuß auf dem Heimweg. Zwei weitere Mitglieder des Reitvereins, einer davon Arzt, setzten sich ins Auto des Mediziners und fuhren die Strecke auf der Straße ins Steinbachtal ab. Für alle Fälle! Man wollte sich über Handys verständigen. Die Zeit drängte, denn langsam stellte sich die Dämmerung ein.

      Nachdem die berittenen Helfer den Reitweg jenseits der Mergentheimer Straße erreicht hatten, spornten sie ihre Pferde sofort zum Galopp an. Es war ein Wettlauf mit der Zeit. Das Auto begleitete sie parallel auf der Straße.

      Nach weniger als einer halben Stunde hatten sie den Gestürzten erreicht. Nur unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung behielten sie beim Anblick der schrecklichen Verletzungen die Nerven. Sofort informierten sie ihre Kollegen im Wagen, die daraufhin, so weit es vom Weg her möglich war, mit dem Auto in den Wald fuhren. Den Rest des Weges legten sie rennend zu Fuß zurück.

      Der Arzt sah in die zwei dunklen Blutseen, die dort standen, wo sich die Augen seines Reitkameraden befunden hatten. Es war klar, hier kam jede Hilfe zu spät. Dies war eindeutig ein Fall für die Polizei. Mühsam zwang er sich zur Professionalität und wählte die 110, die Notrufnummer der Polizeieinsatzzentrale.

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      Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen. Die grausige Szenerie im Wald wurde von mehreren Scheinwerfern beleuchtet, die die Männer der Mordkommission und der mittlerweile eingetroffenen Spurensicherung rund um den Tatort aufgestellt hatten. Ein langes Stromkabel führte zu einem etwas entfernter stehenden Kleinbus, in dem der Motor eines leistungsfähigen Aggregats zu hören war.

      Die vier Personen aus dem Reiterclub, die den Toten gefunden hatten, hielten sich ein Stück abseits auf. Der Horror stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihre beiden Pferde waren an Bäumen angebunden. Ein Kriminalbeamter nahm gerade ihre Personalien auf.

      Der Rechtsmediziner hatte bereits seine Untersuchung abgeschlossen. Seiner Meinung nach lag der ungefähre Todeszeitpunkt weniger als zwei Stunden zurück. Er stellte fest, dass die beiden Schüsse durch die Augen in den Kopf den Mann auf jeden Fall getötet hatten. »Ohne dem Ergebnis der Obduktion vorgreifen zu wollen, liegt hier ohne Zweifel ein Tötungsdelikt vor«, erklärte er und zog seine Gummihandschuhe aus. »Herr Brunner, wenn Sie mit der Leiche fertig sind, kann sie in die Rechtsmedizin abtransportiert werden.« Er grüßte und verließ den Tatort.

      Kriminalhauptkommissar Brunner beugte sich über den Toten und untersuchte die Taschen seiner Reithose und seiner Jeansjacke. Außer einigen Münzen und einem Schlüsselbund fand er jedoch nichts, was die Identität des Mannes erklärt hätte.

      Dr. Merker, der Arzt und Reitkollege, der den Toten als Erster untersucht hatte, kam ein paar Schritte näher.

      Brunner sah ihn an. »Der Tote ist ein Reitkamerad von Ihnen? Können Sie mir sagen, wer das ist?«

      Merker nickte. »Das ist Manfred Großberger. Soweit ich weiß, ist er Richter hier am Gericht in Würzburg. Ich kenne ihn aber nicht näher. Nur so, wie man halt einen Reiterkollegen kennt, den man beim Sport trifft. Er war ein angenehmer, recht geselliger Zeitgenosse. Dieser Unfall ist einfach schrecklich! So wie es aussieht, hat ihn seine Stute ein ganzes Stück weit hinter sich her gezerrt. Wahrscheinlich ist er im Steigbügel hängen geblieben. Dabei müssen sich

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