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Gott gesprochen wird. Und dass das Gott-Welt-bzw. Gott-Mensch-Verhältnis auf ganz andere, weit komplexere und intimere Weise zu bestimmen wäre, als das unsere üblichen Glaubensformeln leisten. Was das konkret bedeutet, lässt sich aus buchstäblich zahllosen Passagen Rahnerscher Texte eruieren – und am meisten wohl dort, wo das Reden über Gott in ein Reden mit Gott, also das Genre des Gebetes wechselt. Bereits in der allerersten Buchpublikation Rahners, dem Bändchen Worte ins Schweigen (vgl. Rahner 2013, 3-38), entstanden 1937 und erschienen 1938, das einer seiner größten Publikationserfolge werden sollte, wird das greifbar. Durchgehend stößt man dort auf Wendungen, die das engste Ineinander von Gott und Mensch intonieren, um im nächsten Augenblick in einer Art Bruderschaft mit Nikolaus von Kues alle konkrete Prädizierung von Gott durchzustreichen: Da jubelt der Autor, dass in der Gnade „[…] dein [sc. Gottes] Leben mein Leben geworden wäre“ (Rahner 2013, 4), um wenige Zeilen später zu schreiben: „Gibt es Namen, die ich Dir nicht geben müsste? Aber was habe ich gesagt, wenn ich dir alle gegeben? Wenn ich, stehend am Rande deiner Unendlichkeit, hineingerufen hätte in die weglosen Fernen deines Seins alle diese Worte zumal, die ich aufgelesen habe in der ärmlichen Enge meiner Endlichkeit? Nie hätte ich Dich ausgesagt“ (Rahner 2013, 4).

      Kein Name könne Gott als Gott angemessen nennen und wir könnten wahrlich von Gott nicht reden, „wäre all das nicht umschlossen von deinen fernen Unendlichkeiten“ (Rahner 2013, 5), in denen allein ich als Mensch zu leben vermag (vgl. Rahner 2013, 5). Und dann heißt es von diesem Gott: „Du bist alles in allem, und in jedem, das du bist, bist du alles. […] Und so wird alles, was in der Enge meiner Endlichkeit sich beengt, bedrängt und bekämpft, in dir zu der einen Unendlichkeit, die Einheit und Unendlichkeit zumal ist. Jede deiner Eigenschaften ist immer schon aus sich selbst dein ganzes unermessliches Sein, trägt schon in ihrem eigenen Schoß alle Wirklichkeit“ (Rahner 2013, 8).

      Und wenige Zeilen später: „So ist deine Unendlichkeit die Erlösung unserer Endlichkeit. Und doch, mein Gott, ich muß Dir gestehen: je länger ich an sie denke, umso mehr ängstigt mich gerade dieses dein Wesen. Es bedroht mich in meiner Sicherheit, in ihm verliere ich alle Orientierung: Es will mir in Furcht und Zittern wieder scheinen, als ob deine Unendlichkeit, in der Alles dasselbe wird, doch nur für dich allein wäre. […] Du mußt, damit das Erschrecken über deine Unendlichkeit von mir weichen kann, dein unendliches Wort endlich werden lassen, es eingehen lassen in meine Enge, dass es darinnen sich einfügt, ohne das enge Haus der Endlichkeit, in dem allein ich wohnen kann, zu zerstören […]. In deinem ‚abgekürzten Wort‘, das nicht alles sagt, aber etwas, das ich verstehen kann, würde ich wieder aufatmen“ (Rahner 2013, 9).

      Und dieses „abgekürzte Wort“ meint natürlich das Ereignis der Inkarnation. Nur der fleischgewordene Logos macht die all-eine Unendlichkeit Gottes für den Menschen erträglich und verständlich. Unter diesem Horizont kann dann sogar der bewusst angenommene eigene Tod für einen Menschen das Tor zum Glück, also zumindest inchoativ zu präsentischer Versöhntheit mit sich werden: „Dann wird das große Schweigen beginnen, in das du allein hineintönst, du Wort von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dann werden alle Menschenworte verstummt sein, Sein und Wissen, Erkennen und Erfahren werden dasselbe geworden sein […]. Kein Menschenwort, kein Bild und kein Begriff wird mehr zwischen mir und dir stehen“ (Rahner 2013, 16f.).

      In den nicht weniger berühmten Predigten Rahners Von der Not und dem Segen des Gebetes (vgl. Rahner 2013, 39-116), die er 1946 im zerbombten München gehalten hat und die dann ab 1949 in vielen Auflagen gedruckt wurden, findet das seine Fortsetzung. Ich beschränke mich auf wenige prägnante Passagen. Gleich auf der ersten Seite heißt es: „Wenn der Mensch bei Gott ist in Ehrfurcht und Liebe, dann betet er. Dann vollbringt er zwar nicht alles in einem, weil ihm den Endlichen, dies nie in diesem Leben möglich ist. Aber er ist wenigstens bei dem, der alles in einem ist, und er tut darum etwas vom Wichtigsten und Notwendigsten“ (Rahner 2013, 40).

      Dann begegnen Passagen, die beinahe an Spinoza gemahnen, wenn es in dem Abschnitt mit dem Titel Der Helfer-Geist heißt: „Wenn wir beten, dann ist das, was wir sagen und was wir in unserem sogenannten Ich davon merken, nur wie das letzte Echo aus unermesslichen Fernen kommend, des Rufens, in dem Gott sich selber ruft, des Jauchzens, in dem Gott selbst selig ist über die Herrlichkeit seiner Unendlichkeit, der Selbstbehauptung, mit der der Unbedingte von Ewigkeit zu Ewigkeit in sich selbst gründet. […] Er hört das unsagbare Seufzen seines eigenen Geistes, der bei Gott eintritt für seine Heiligen. Er hört als unser Seufzen, als jene Töne, die uns den chaotischen Dissonanzen unseres Herzens und Lebens eine hundertstimmige Symphonie zum Preis des Allerhöchsten machen“ (Rahner 2013, 56f.).

      Und einem Menschen in der Gottesnot und Glaubenssorge eines scheinbar leeren Herzens kann Rahner in der ebenfalls weitverbreiteten Schrift Kleines Kirchenjahr (vgl. Rahner 2013, 117-189) von 1954 tröstend sagen: „Welcher Gott ist Dir eigentlich in dieser Leere des Herzens fern? Nicht der wahre und lebendige Gott, denn dieser ist ja gerade der Unbegreifliche, der Namenlose, damit er wirklich der Gott deines maßlosen Herzens sein kann. Fern ist Dir nur geworden ein Gott, den es nicht gibt: ein begreiflicher Gott […], ein sehr ehrwürdiger – Götze. […] Laß in diesem Geschehen des Herzens ruhig die Verzweiflung Dir scheinbar alles nehmen […]. Denn, wenn Du standhälst […], dann wirst Du plötzlich inne werden, daß dein Grabeskerker nur sperrt gegen die nichtige Endlichkeit, daß seine tödliche Leere nur die Weite einer Innigkeit Gottes ist, daß das Schweigen erfüllt ist von einem Wort ohne Worte, von dem, der über allen Namen und alles in allem ist. Das Schweigen ist sein Schweigen: Es sagt Dir, daß er da ist“ (Rahner 2013, 148f.).

      WOHER KOMMT DAS RESONANT VERLAUTENDE GOTTESWORT?

      Wenn nun das den Menschen ansprechende und beanspruchende Gotteswort ein „Wort ohne Worte“ ist, das sprechende Schweigen eines Gottes, von dem Rahner an zahllosen Stellen seines Werkes sagt, dass da ein „weiseloser“ Gott rede, den kein Name je zu erreichen vermöchte – wie kann es dann aber zu jener primären Resonanz dieses „Wortes“ im Menschenherz kommen, die dann in einer Resonanz zweiter Stufe kategorial in doxologischer oder diskursiver Sprache sich verlautbart?

      Genau dieser Frage geht Richard Schaeffler nach, der sich als einer der ganz wenigen nach Karl Rahner als Philosoph auf die Problematik „Gotteswort in Menschenwort“ eingelassen hat, am umfänglichsten im ersten Band seiner Philosophischen Einübung in die Theologie (vgl. Schaeffler 2004, hier speziell 213-232). Zur Lösung des Problems etabliert er einen doppelten Theorie-Rahmen: Zum einen bettet er die Frage in jenes sprachphilosophische Schema ein, das in der Stoa unter dem Doppelnamen „logos endiathetos“ und „logos prosphorikos“ firmierte und dann seit Augustinus unter dem Doppelbegriff „verbum mentis“ bzw. „verbum internum“ versus „verbum oris“ bzw. „verbum externum“ eine komplexe philosophisch-theologische Wirkungsgeschichte entfaltete, die bis in das Hauptwerk Wahrheit und Methode (vgl. Gadamer Kap. III, 2b) des Agnostikers Hans-Georg Gadamer reicht. Für Schaeffler ist dabei entscheidend, dass es sich auch beim „verbum mentis“ bereits um das Resultat eines responsorischen Aktes handelt, so dass sich dieses nicht einem Selbstgespräch des Bewusstseins verdankt.

      Diese Denkfigur stellt Schaeffler dann ihrerseits zurück in den nochmals größeren Rahmen eines erkenntnismetaphysischen Ansatzes, demgemäß all unser Erfahren aus einem Dialog mit der Wirklichkeit hervorgeht (vgl. dazu besonders als Opus magnum Schaeffler 1995). Dahinter steht Schaefflers Anliegen, den transzendentalen Ansatz Kants – durchaus im Gefälle von dessen eigener, aber unerfüllt gebliebener Intention (vgl. dazu Kant, 550) – zu vergeschichtlichen und damit die Kantischen Kategorien zu dynamisieren. Der Stärke wie der Grenze dieses Unterfangens ist an anderer Stelle nachzugehen (vgl. dazu etwa Schmidt/Wiedenhofer 2010), vor allem der Frage, ob es nicht zwangsläufig auf die schiefe Ebene kulturalistischer Konsequenzen gerät. Hier geht es stattdessen nur darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass auf diese Weise in der Tat das Verhältnis des in sich bereits responsorischen „verbum mentis“ zum – auf dieses wiederum responsorisch bezogenen – „verbum oris“, das seinerseits eine Antwort der es vernehmenden Hörerschaft erheischt, konsistent zur Darstellung gebracht wird.

      Der wirklich heiße Kern des ganzen Prozesses aber bleibt dabei ausgespart, wenn Schaeffler

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