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unsichere Gelände des Verstehens: Wird das Werk eine Leserschaft finden? Was wird sie daraus machen? Zuvor noch: Welcher Verlag wird sich davon überzeugen lassen, damit ins Geschäft zu kommen? Bernhard Fresacher

      Von der Poesie kann die Theologie eine „Sprachsensibilität“ und eine „Resonanz-fähigkeit“ lernen, auf die sie für ihre Sache angewiesen ist. Dieser Einsicht sind Erich Garhammers Arbeiten zu Texten zeitgenössischer deutschsprachiger Schriftstellerinnen und Schriftsteller gewidmet, mit denen er persönlich im Gespräch ist. Sie legen ein Lernen nahe, nicht ohne im selben Atemzug vor Vereinnahmung zu warnen: Von der Poesie profitiert, wer ihre Autonomie respektiert.

      In diesem Sinn war auch das Literaturprojekt zum Konzilsjubiläum „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ 2015 in München von ihm kuratiert: Literaten können helfen, Resonanzräume zu erschließen, in denen die Gefühle und Erlebnisse von Menschen Widerhall finden. Das Zweite Vatikanische Konzil schreibt diesem Vorgang Offenbarungsqualität zu. Es geht um die Resonanz des Wortes Gottes in der Welt.

      FRAGILITÄT DES WORTES

      Den Dreh- und Angelpunkt bildet die eigentümliche Fragilität des Wortes. Wer spricht oder schreibt, hat nicht in der Hand, was daraus wird. Mit dieser Ohnmacht geht eine Macht einher, mit der Wehrlosigkeit eine performative Kraft. Vielleicht liegt genau darin die Faszination der literarischen Sprachkunst. Das zerbrechlichste Wort kann sich zur gewaltigsten Macht auswachsen: in der Resonanz, die es gewinnt. Warum wird das eine Wort beachtet und das andere nicht? Warum wird es so verstanden und nicht anders? Worin liegt das Geheimnis seiner Wirksamkeit? Diese Fragen berühren die Theologie in ihrem Kern. Denn der christliche Glaube verlässt sich von Anfang an auf das Medium des Wortes. Es ist sein Gründungsmedium; in ihm findet er seine Form, in der Vielfalt der Traditionen, der Kirchen, der kirchlichen Gemeinschaften und der individuellen Biografien. Dieses Prinzip teilt das Christentum mit seinen monotheistischen Geschwistern. Sie beruhen auf den Kulturtechniken des Lesens und des Schreibens; sie setzen Alphabetisierung voraus. Alles, auch das gesprochene Wort, wird auf das Geschriebene bezogen. Der Vorgang der Verkündigung des Evangeliums bewegt sich unentwegt auf dem schwankenden Boden des Verstehens, auf dem das Wort seine Wirkung entfaltet.

       Bernhard Fresacher

      Dr. theol. habil., Pädagogischer Referent im Katholischen Büro Mainz, Kommissariat der Bischöfe Rheinland-Pfalz, Titularprofessor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.

      Die Schrift täuscht darüber hinweg, wie fragil diese Bewegung tatsächlich ist. Schwarz auf weiß erweckt sie einen festen und sicheren Eindruck. De facto jedoch errichtet sie Hürden verschiedenster Art: Sie setzt die Fertigkeit des Lesens und das Interesse daran voraus. Sie basiert auf einer Sprache, die sich ständig verändert und sich von anderen Sprachen unterscheidet, und zwar in der Besonderheit des Verhältnisses von Muttersprache zu Fremdsprachen.

      Dabei ist die Sprache mehr als eine Technik. Sie erzeugt einen Horizont des Welt- und des Selbstverstehens, in dem wir uns tagtäglich orientieren. Schon durch ihr Vokabular und ihre Grammatik legt sie eine Sicht in nicht hinter-fragter Selbstverständlichkeit nahe. In derselben Weise bietet sie zugleich die Möglichkeit, genau darauf zu achten, die Sicht sichtbar zu machen und das, was dahintersteckt. Dasselbe Medium, das für Selbstverständlichkeit sorgt, ermöglicht Hinterfragbarkeit, Reflexion, Relativität. Das Wort provoziert gerade auch in seiner schriftlichen Form eine Dynamik und eine Pluralität, die sich auf den ersten Blick hinter seiner buchstäblichen Eindeutigkeit verbergen.

      Darin steckt theologische Brisanz. Denn ausgerechnet jenes Medium sucht sich das Wort Gottes, um zur Welt zu kommen. In dieser Sprache spricht Gott mit seinen Geschöpfen. Davon sind die monotheistischen Schriftreligionen überzeugt – auch wenn darunter bekanntlich verschiedene Auffassungen vertreten werden, was die Stellung dieses Mediums in der göttlichen Kommunikation betrifft. An der ausgesprochen fragilen Lage ändert sich dadurch nichts, sie verschärft sich vielmehr.

      Aus der Geschichte wissen wir, welche Strategien zur Kontrolle und Steuerung der dadurch hervorgerufenen Dynamik und Pluralität eingesetzt wurden – und mit welchen Effekten. Die Reformation des 16. Jahrhunderts hat sich nicht zufällig am Lesen der Schrift entzündet. Es gab Zeiten, in denen Christen die Bibel verstecken mussten, um nicht der Häresie bezichtigt zu werden. Die Paradoxie besteht darin, dass man der Angst, dass das Wort beim Verstehen auf Abwege führen könnte, wiederum mit dem Wort begegnet: dem Wort der rechten Auslegung des Wortes. In dieser mehrfachen Ohnmachtslage entfaltet es seine Macht – zum Guten wie zum Bösen: Es kann Menschen bekehren, es kann Leben zerstören, immer in der Überzeugung, es recht verstanden zu haben.

      ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL

      Auf dem Hintergrund der geschilderten Kommunikationslage hat das Zweite Vatikanische Konzil eine Akzentverschiebung vollzogen, die dem modernen Verständnis Rechnung trägt, nämlich der Einsicht, dass es nicht genüge, auf die Mitteilung zu achten, sondern dass es vielmehr auf das Verstehen ankomme. Das Konzil greift dafür auf die Metaphorik der Resonanz zurück.

      Gegenüber einer Fokussierung auf das richtige Verfahren zur authentischen Vermittlung überlieferter Glaubenswahrheiten in der Unterscheidung von Magisterium und Obödienz lenkt es die Aufmerksamkeit auf die Universalität der Resonanz des Evangeliums in der Welt von heute und konzipiert diese explizit auf gleichrangige Varietät anstatt auf Uniformität hin: Varietät und Universalität schließen sich nicht aus, sondern vielmehr ein (vgl. LG 22).

      Darauf liegt der ekklesiologische Akzent, der dem Tun der Kirche, der „actio Ecclesiae“ (SC 7 und 10) eine Funktion in diesem göttlichen Geschehen zuschreibt: „damit die ganze Welt im Hören auf die Botschaft des Heiles glaubt, im Glauben hofft und in der Hoffnung liebt“ (DV 1, mit Referenz auf Augustinus). Darauf zielt die Schlüsselaussage: Die Kirche sei „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).

      Den Türöffner für das, was diesbezüglich in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ ausgeführt ist, bildet die Liturgiekonstitution „Sacro-sanctum concilium“, insbesondere mit ihrem Konzept einer „aptatio variis in locis“ (vgl. insbesondere SC 37-40), einer Anpassung an die verschiedenen örtlichen Erfordernisse und Gebräuche (vgl. SC 128), der eine in örtlicher Verschiedenheit verfasste Kirche entspricht, „variae variis in locis ... institutae Ecclesiae“ (vgl. insbesondere LG 23-28). Seine Entfaltung findet dieses Konzept später in den beiden letzten Konstitutionen des Konzils, der Offenbarungskonstitution „Dei verbum“ und der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“. Die Resonanzmetaphorik taucht ausschließlich in diesen beiden Dokumenten auf, und zwar jeweils an prominenter Stelle: im Proömium der Pastoralkonstitution und im Artikel 8 der Offenbarungskonstitution. Theologische Brisanz gewinnt die Verwendung dieser Metaphorik dadurch, dass man diese beiden Textpassagen zusammenliest.

      „Gaudium et spes“ beginnt mit dem vielzitierten Satz, der der Pastoralkonstitution ihren Namen gibt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrangten aller Art, sind auch (sunt … etiam) Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Junger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände (resonet)“ (GS 1). Dasselbe Verb „resonare“ taucht in der Offenbarungskonstitution – mit Referenz auf Kol 3,16 – wieder auf: „So ist Gott, der einst gesprochen hat, ohne Unterlass im Gesprach mit der Braut seines geliebten Sohnes, und der Heilige Geist, durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt (resonat), führt die Gläubigen in alle Wahrheit ein und lässt das Wort Christi in Überfülle unter ihnen wohnen“ (DV 8). An anderen Stellen wird das Bild des Spiegels oder des reflektierenden Lichts verwendet: „veluti speculum« (DV 7) und „lumen repercussum“ (GS 40). Es knupft an die patristische Mond-Metaphorik an. Die BrautMetaphorik wird ahnlich gebraucht.

      Liest man beide Textstellen zusammen, dann erkennt man, wie das Konzil die „actio Ecclesiae“ in der Moderne verortet, nämlich – im Sinn einer pneumatologischen Christologie – gleichsam als Resonanzkörper

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