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       Personenregister

      Für mehrere Generationen war Marie Heim-Vögtlin ein wegweisendes Vorbild. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die an der Landesausstellung von 1939 in der Galerie bedeutender Schweizerinnen und Schweizer mit einem Porträt geehrt wurden. Mit der Neuen Frauenbewegung nach 1968 verblasste ihr Stern. Diese Generation stiess sich daran, dass Marie Heim-Vögtlin keiner politischen Bewegung angehörte, dass sie als verheiratete Frau den Schutz eines prominenten Gatten genoss und dass sie private Wohltätigkeit betrieb, statt eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu fordern.

      Nachdem diese «Neue» Frauenbewegung ihrerseits ins Alter gekommen ist, fördert ein Blick auf Maries Leben Erstaunliches zu Tage. Genau wie die erste Schweizer Ärztin jonglieren auch heutige berufstätige Familienmütter mit zu vielen Bällen aufs Mal. Marie bewältigte ihren anspruchsvollen Alltag trotz regelmässig wiederkehrenden Migräneattacken. Für sich und ihre Nachfolgerinnen hatte sie das Recht auf Bildung erkämpft. Zahlreiche andere Pionierinnen der alten Frauenbewegung setzten sich ihrerseits für die rechtliche und politische Besserstellung der Frau ein. So veränderte sich in der Schweiz gerade in den letzten Jahrzehnten manches zugunsten der Frauen. Marie hätte sich über das Stimmrecht und die rechtliche Gleichstellung von Frau und Mann gefreut, denn die damalige juristische Benachteiligung der Frau zermürbte sie im Alltag.

      Als sich die 23-jährige Marie Vögtlin zum Studium entschloss, hatte sie das Glück, an der Universität Zürich auf verständnisvolle Professoren zu stossen. Solche Männer waren die Ausnahme. Die älteste Schweizer Universität, Basel, liess Frauen erst 1890 zu. Marie stand bereits über zwei Jahrzehnte im Beruf, als der Direktor des Klinischen Instituts für Chirurgie an der Charité Berlin, Ernst von Bergmann, 1896 die Frage nach dem Frauenstudium mit einem Satz abschmetterte: «Ich halte die Frauen zum akademischen Studium und zur Ausübung der durch dieses Studium bedingten Berufszweige für in körperlicher und geistiger Beziehung für völlig ungeeignet.»1 Im Jahr 1900 gab es in der Schweiz erst 26 Ärztinnen, 1928, im Jahr der ersten SAFFA (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit), waren von den rund 3300 in der Schweiz praktizierenden Ärzten 128 Frauen, knapp 3,9 Prozent. In den 1930er-Jahren meldete sich gar eine – allerdings einsame – Stimme in der «Schweizer Ärztezeitung», die Frauen seien vom Medizinstudium auszuschliessen und zum Pflegeberuf hinzuführen, um die Konkurrenz unter Ärzten abzuschwächen.

      Der stille Held dieser Biografie ist Maries Vater Julius David Vögtlin. Ohne die Unterstützung dieses konservativen Theologen hätte sie nie ihren Weg gehen können. Er verdient umso mehr Bewunderung, als er persönlich ein Gegner des Frauenstudiums war und aus reiner Liebe zu seiner Tochter handelte. Mutig setzte er sich über die Vorurteile seiner Umgebung hinweg. Nicht nur vertraute er seiner Tochter, er war bereit, für ihre Ausbildung ein halbes Vermögen zu investieren. Die Familienkonstellation erwies sich für Marie ebenfalls als günstig: Die ältere Schwester Anna war bereit, dem verwitweten Vater den Haushalt zu führen. Da der Bruder als Kleinkind gestorben war, standen finanzielle Mittel für eine Ausbildung der Tochter zur Verfügung.

      Wäre Marie ein berühmter Staatsmann gewesen, hätten öffentliche Amtsstellen rechtzeitig ihre Dokumente gesammelt und archiviert. Bei Privatpersonen ist die Überlieferung mehr oder weniger zufällig. Kurz nach Maries Tod verfasste die Schriftstellerin Johanna Siebel (1873–1939) eine Biografie. Das Buch erlebte sechs Auflagen, und der Verkauf von 12 000 Exemplaren ist ein Hinweis für das Ansehen, das Marie in jener Zeit genoss. Eine Reihe Briefe, die Siebel zitierte, sind heute verschollen. Bei jenen Briefen, die zum Beispiel im Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich erhalten sind, lässt sich Siebels Zuverlässigkeit überprüfen. Alle direkten Zitate sind korrekt, einzig Auslassungen werden nicht angegeben. In der Regel betreffen diese Auslassungen Drittpersonen. In dieser Biografie werden inzwischen verschollene Briefe, die Siebel wörtlich zitiert, als Quelle benutzt.

      Johanna Siebel und die Autorinnen und Autoren der zahlreichen Nachrufe betonen, Marie Heim-Vögtlin sei eine wunderbare Hausfrau und keine emanzipierte Frauenrechtlerin gewesen. Sie verstanden es als Kompliment. Spätere Generationen übernahmen diese Wertung unkritisch und machten Marie die Häuslichkeit zum Vorwurf. Wer die Quellen mit heutiger Brille liest, entdeckt eine junge Frau, die das überlieferte Frauenbild radikal in Frage stellte. Dass Marie daneben eine tüchtige Hausfrau und fleissige Gärtnerin war, sollte niemanden erschrecken. Sie war ebenso eine weit überdurchschnittlich sportliche Bergsteigerin, die einige Professoren von der Gleichwertigkeit der Studentinnen ausgerechnet auf strengen Touren überzeugte, wo sie und ihre amerikanische Freundin mehr Ausdauer als die jungen Männer zeigten.

      Von Anfang an war sich Marie bewusst, dass sie im Interesse der Frauen nicht scheitern durfte. Als sie die nachgeholte Maturitätsprüfung bestanden hatte, jubelte sie: «Ich bin doch so froh; niemals dachte ich, dass es so gehen würde; mehr froh noch wegen der Frauen im allgemeinen als wegen mir selbst.»2 Diese Vorbildfunktion war nicht immer einfach.

      Maries Gatte, Albert Heim, war bedeutender Geologe und Kynologe und wichtiger Professor am Polytechnikum (ab 1911 Eidgenössische Technische Hochschule ETH). Die Familie überliess seinen und den Nachlass des Sohnes Arnold der ETH. In diesen Nachlässen befinden sich Dokumente, die sich direkt auf Marie Heim-Vögtlin beziehen. Andere Papiere sind indirekt mit ihr verknüpft, wie die betont wissenschaftliche Chronik der Hochzeitsreise oder das Tagebuch, das der Vater über seinen kleinen Sohn Arnold verfasste und das einen Einblick in Alberts Gemütsleben erlaubt. Im Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich sind vor allem Dokumente aus der Studienzeit verfügbar.

      Mehr noch als heute lebten die Menschen im 19. Jahrhundert in einem engmaschigen Netz. Auf kleinem Raum wohnte man nahe beieinander, so dass es kaum private Rückzugsmöglichkeiten gab. Innerhalb der Familie besuchte man sich regelmässig oder pflegte fortwährend schriftlichen Kontakt. Marie schrieb beispielsweise ihrer Schwester Anna jede Woche einen Brief. Diese Korrespondenz ist zum grössten Teil verloren, weshalb die Persönlichkeit Anna Vögtlins blass bleiben muss. Von Maries Vater ist kein einziges privates Schriftstück überliefert.

      

      Lauter tüchtige Hausfrauen: Die Schwestern Roth aus Lenzburg, später Elise Ringier-Roth und Emilia Louise Tobler-Roth, Trogen, waren mit Marie befreundet. Im Album für Arnold gibt es immer wieder knappe Hinweise auf Begegnungen. Marie, zweite von links, sitzt im Vordergrund.

      Freundinnen waren wichtige Vertraute. Glücklicherweise schrieb Maries Jugendfreundin Marie Ritter aus Schwanden ihre Lebenserinnerungen auf, die einen ausgezeichneten Einblick in das Leben einer unverheirateten, hochintelligenten Frau ihrer Epoche erlauben. Hätte Marie keine Gelegenheit zum Studium gehabt, wäre ihr Leben vielleicht in ähnlichen Bahnen verlaufen. – Für die historische Überlieferung wirkte sich der frühe Tod von Maries amerikanischer Studienfreundin Susan Dimock ebenfalls günstig aus. Die geschockten Freunde sammelten Erinnerungen und veröffentlichten sie als «Memoir», das Einblicke in Studien- und Arbeitsbedingungen jener Zeit gibt.

      Andere Freundinnen Maries kennen wir höchstens mit Namen. So gab es mehrere Schwestern Roth aus Lenzburg, die gemäss Alberts Kindertagebuch als «Frau Tobler-Roth oder Frau Ringier-Roth» zu Besuch kamen, aber weiter nicht fassbar sind.

      Verschiedene Männer spielten in Maries Leben eine grosse Rolle. Mit ihrem Vater muss sie zutiefst verbunden gewesen sein. Ihr erster Verlobter, Friedrich Erismann, öffnete ihr den Blick auf eine grössere Welt. Als er sie verliess, um Nadejda Suslova, die erste russische Ärztin zu heiraten, fand Marie nach einer schweren Krise die Kraft, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Ihr Ehemann Albert Heim liebte seine Frau und legte ihr keine Steine in den Weg. Seine eigene Berufstätigkeit nahm ihn allerdings voll in Beschlag, sodass

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