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und auch nicht, wo die Hochzeit stattfand. Jedenfalls war die Braut vierzehn Jahre älter als Alois. Ob die Heirat eine Liebes- oder Geldheirat war, lässt sich ebenfalls nicht klären. Die große Altersdifferenz ist allerdings auffällig. Man könnte sagen: Alois Hitler hatte schon in seiner Kindheit immer mit sehr alten Frauen zu tun gehabt. Seine Mutter war bei der Geburt fast 41 Jahre alt und auch im Haus des Ziehvaters Johann Nepomuk gab es eine alte »Mutter«, weil auch dessen Frau dreizehn Jahre älter war als ihr Mann.

      Das Jahr der Heirat ist nicht ganz belanglos, ob 1864 oder 1873. Im Jahr 1873 war Alois Hitler bereits 36 Jahre alt und Anna Glassl 50. Natürlich: Der Altersunterschied war auch 1864 nicht kleiner als 1873, war aber noch nicht so in die Augen fallend wie in den 1870er Jahren, als Anna den Quellen zufolge schon eine kränkelnde, alte Frau geworden war. Hatte Alois 1864, als er die 41-jährige Anna Glassl heiratete, noch auf Kinder hoffen können, zumal seine Mutter ihn ebenfalls in diesem Alter entbunden hatte, so war in den 1870er Jahren, als Anna den Fünfziger überschritten hatte, diese Möglichkeit mit Sicherheit vorbei. Indem sein Heiratsdatum allerdings um neun Jahre umdatiert wurde, erscheint der bald darauf konstatierte Ehebruch eklatanter und die Scheidung im Jahr 1880 von einer bereits schwerkranken Frau umso skandalöser.

      Mangels Personalakt bleibt vieles im Dunkeln. Wie lange Alois im Land Salzburg eingesetzt war und wann er nach Oberösterreich versetzt wurde, ist ebenfalls nicht ganz klar: ob das bereits 1864 mit der Übernahme in den Beamtenstand erfolgte, ob in einem der nächsten Jahre oder erst im Jahr 1870, in welchem er in Mariahilf bei Passau erwähnt ist. Feststeht, dass er 1871 von Mariahilf nach Braunau versetzt wurde.

       Mythos Braunau

      »In Braunau, diesem von den Strahlen deutschen Märtyrertums vergoldeten Innstädtchen, bayerisch dem Blute, österreichisch dem Staate nach, wohnten am Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts meine Eltern; der Vater als pflichtgetreuer Staatsbeamter, die Mutter im Haushalt aufgehend und vor allem uns Kindern in ewig gleicher liebevoller Sorge zugetan …«, schreibt Adolf Hitler in den ersten Sätzen von Mein Kampf.72 Er, der nur die ersten drei Jahre seines Lebens in Braunau verbracht hatte, konnte daran kaum eine Erinnerung haben. Und auch für seinen Vater waren die einundzwanzig Braunauer Jahre sicherlich nicht nur reine Freude: Als Auswärtiger, als Zollbeamter und als Vertreter des österreichischen Staates war er in der Grenzstadt nicht unbedingt willkommen. Einfach war es für Fremde im Innviertel selten: Der Innviertler sei stolz, hochfahrend und verschlossen, trinkfreudig und rauflustig sowie revolutionär gegen alle höheren Verordnungen, mögen sie nun aus Linz oder aus Wien kommen, meinte der bekannte Volkskundler Eduard Kriechbaum, der aus dem Mühlviertel stammte und von 1913 bis 1939 Ranshofener und Braunauer Stadtarzt war und die Innviertler Mentalität wie kein anderer kannte.73

      Im Innviertel ging es rau zu. Dass Alois seinem Sohn die im Kreisgericht Ried zur Schau gestellten Raufwerkzeuge der Innviertler Bauernburschen gezeigt habe, wie Adolfs späterer Wiener Freund und Kumpan Reinhold Hanisch später berichtete, ist zwar erfunden. Denn wann wäre Alois mit Adolf zu Besuch in Ried gewesen? Aber dass Alois ihm davon erzählt hat, ist sicher, weil die besagen Utensilien noch heute im Kreisgericht vorhanden sind.74 Dass Alois bei solchen Kraftakten schlichtend eingreifen musste oder sich sogar selbst daran beteiligte, kann man sich gut vorstellen.

      In der Stadt, die erst seit 1816 dauernd zu Österreich gehörte und wo das Österreichbewusstsein immer noch recht schwach ausgebildet war, schlugen Alois wohl manche Vorurteile entgegen. Der Nachrede, die er in Braunau hatte, positiv wie negativ, darf man daher nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Zöllner waren zwar Vertreter des fernen Kaisers in Wien. Aber gerade im Innviertel war die Anhänglichkeit an die Haupt- und Residenzstadt und an das Kaiserhaus nicht besonders groß. Hier waren immer noch die alten bayerischen Bindungen präsent, und München lag nicht nur geografisch viel näher als Wien und nicht weiter entfernt als Linz, sondern man orientierte sich auch kulturell und politisch häufig immer noch lieber an der alten als an der neuen Heimat.

      Dass Alois Hitler 1871 zum neu zu errichtenden Nebenzollamte erster Klasse in Braunau mit der gleichzeitigen Ernennung zum Kontrollor und der Vorrückung in die Gehaltsklasse 10 versetzt worden war, hing mit der stark gestiegenen Bedeutung zusammen, die Braunau gerade in den Jahren 1870/71 gewonnen hatte. 75 Die Stadt, die durch den Übergang des Innviertels von Bayern an Österreich zur Grenzstadt und durch den Niedergang der Innschifffahrt in eine schwere wirtschaftliche Krise geraten war, war 1870/71 mit der Eröffnung der Innkreis-Eisenbahn zwischen Neumarkt-Kallham und München und der neuen Innbrücke in Braunau, welche die kürzeste Verbindung zwischen Wien und München herstellten, als Grenzort deutlich aufgewertet worden. Zwischen 1883 und 1897 nahm sogar der Orient-Express zwischen Paris und Istanbul die Route über Braunau statt über Salzburg. Dazu kam, dass zwischen 1870 und 1880 von der DDSG auch eine Dampfbootlinie von Passau nach Braunau betrieben wurde und Braunau 1870/71 auch eine Telegrafenstation erhalten hatte. Damit war die bislang recht abgelegene Stadt mit einem Mal als Grenzbahnhof und Zollamt sehr wichtig geworden.

      1871 war ein politisch besonderes Jahr. Nun lag auf der anderen Seite des Inns nicht mehr nur Bayern, sondern das neu gegründete, voll Siegeskraft strotzende Deutsche Reich. Österreich als frühere Führungsmacht in Mitteleuropa war in die zweite Reihe getreten. Der preußische König war nun auch ein Kaiser. Der deutsche Nationalstaat, der bisher nur erträumt war, war Realität geworden und versprach wirtschaftliche Dynamik, moderne Wissenschaft, militärische Stärke und einen Platz an der Sonne. Deutschland war der neue Hoffnungsträger und die Habsburgermonarchie nur mehr der kranke Mann an der Donau. Der Ruhm der nationalen Einigung fiel einzig auf das Deutsche Reich. Österreich stand abseits. Die Deutschen der Habsburgermonarchie waren orientierungslos geworden: Zerrissen zwischen habsbur-gisch-großdeutscher und preußisch-kleindeutscher Lösung, zwischen pangermanischen Träumen der nationalen Einigung aller Deutschen und dem immer umstrittener werdenden kulturellen Führungsanspruch des Deutschtums im multinationalen Staat der Habsburgermonarchie.

      Nach der deutschen Reichsgründung 1871 und der damit vollzogenen »kleindeutschen Lösung«, d. h. der Einigung Deutschlands unter Ausschluss Österreichs, blieben viele Österreicher weiterhin »großdeutschen« Ideen verbunden. Die Alldeutschen und Deutschnationalen erstrebten eine enge politische Anbindung an das Deutsche Reich oder sogar die vollständige Auflösung der Habsburgermonarchie und den Anschluss aller von Deutschen besiedelten Teile an den neuen Nationalstaat. Ein führender Vertreter dieser politischen Richtung war Georg Ritter von Schönerer. Im Linzer Programm von 1882 stellten die Deutschnationalen die Parole »nicht liberal, nicht klerikal, sondern national« auf und wandten sich damit nicht nur gegen den multinationalen Habsburgerstaat, sondern auch gegen den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der katholischen Kirche, die seit alters her eine wesentliche Stütze der Habsburger gewesen war, und auch gegen die Juden als vermeintliche Feinde einer nationalen Gesellschaft. Dann gab es jene, die zwar keine Auflösung der Habsburgermonarchie, wohl aber die Bewahrung oder Durchsetzung der deutschen Vorherrschaft im Staat als Ziel hatten, und die voll Verachtung auf alle übrigen Nationalitäten des Kaiserreiches blickten. Jene hingegen, die auf einen Ausgleich der Nationalitäten und auf ein friedliches Zusammenleben hofften, waren wahrscheinlich sogar die Mehrheit, aber sicher nicht die lautesten.

      Das Kaiserreich Österreich war seit den 1850er Jahren im industriellen und selbst im agrarischen Bereich immer weiter hinter die Staaten des Deutschen Zollvereins zurückgefallen. Während Preußen die Zollvereinsmitglieder auf einen Freihandelskurs einschwor, blieb Österreich tendenziell schutzzöllnerisch. Die Verkehrsanbindungen Sachsens und Bayerns an Österreich und Böhmen blieben trotz des fortschreitenden Eisenbahnbaus gering. Es entstand ein deutliches Gefälle zwischen der Habsburgermonarchie und dem Kommunikationsraum, den das übrige Deutschland zu bilden begann. Der Vielvölkerstaat Österreich, der sich mehr und mehr mit den slawischen, magyarischen und italienischen Nationalbewegungen auseinandersetzen musste, hatte es versäumt, die deutschen Mittelstaaten in eine Politik einzubeziehen, die den Deutschen Bund als mitteleuropäische Staatengemeinschaft gesichert hätte. Österreich entschied sich zwar nach der Niederlage von 1866 nicht für eine Revanchepolitik, sondern für eine Allianz mit dem Deutschen Reich. Aber es wurde

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