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»Hoffentlich wird durch die Bemühungen und zahlreichste Wahlbeteiligung aller rücksichtsvollen Bürger bei der kommenden Neuwahl der Stadt Braunau der traurige Ruhm erspart bleiben, in ganz Oberösterreich die einzige Stadt zu sein, welche eine reaktionär-klerikale Gemeindevertretung besitzt.«84 Die Hoffnungen der freisinnigen Zeitung wurden zwar enttäuscht. »Wenn man bedenkt«, schrieb die Tages-Post 1884, »dass die letzten Gemeinderatswahlen im eminent konservativen Sinne ausgefallen waren, so konnte man sich anlässlich der Landtagswahl mancher Zweifel nicht erwehren, obwohl man andererseits nicht übersehen durfte, dass sich seit beiläufig einem Jahre ein frischer Werdeprozess, ein nie geahnter günstiger Umschwung für die Fortschrittspartei ergeben hatte.«85 Aber ob Alois bereits damals liberal-antiklerikal zu denken begonnen hatte oder sogar in diesem Sinne politisch mitwirkte, ist nicht bekannt.

       Schicksalsschläge und Ehestrategien

      Ob die sorgenvollen Worte, die Alois, nunmehr Hitler, 1876 über den Gesundheitszustand seiner Frau Anna verfasste, von Herzen kamen, weiß man nicht. Jedenfalls schrieb er am 17. September 1876 an eine Verwandte über seine Frau: »Unglücklicher Weise leidet sie seit langer Zeit an einer Brustschwäche und braucht sehr viel Umsorgung. Gäbe es nicht das gute Klima hier in Braunau, würde es ihr nie gut gehen. Es ist nur meine Stellung, Gott sei Dank, die mir erlaubt, ihr Leben von Leiden frei zu machen.«86 Ob die Ehe damals schon schlecht ging oder sich erst in weiterer Folge zerrüttete, muss offen bleiben. Schon 1874, als das Dienstmädchen Antonia geheiratet hatte und man kurzfristig ein neues brauchte, war erstmals die junge Klara Pölzl aus Spital bei Weitra, eine Enkelin seines Ziehvaters Johann Nepomuk Hüttler, ins Blickfeld gekommen, die zur Unterstützung geholt worden war. Das tat der Ehe nicht gut. Anna wurde immer kränklicher und wohl auch immer missmutiger. Ab 1878 ging sie häufig auf Kur. Ob es eine einseitige oder eine beiderseitige Entfremdung war und wann sie genau einsetzte und wie sie sich konkret gestaltete, weiß man nicht. Am 7. November 1880 wurde die Ehe jedenfalls geschieden, richtiger gesagt, eine Trennung »von Tisch und Bett« ausgesprochen, wie es in der damaligen Rechtssprache hieß, weil eine Scheidung für Katholiken im österreichischen Teil der Habsburgermonarchie anders als im ungarischen gar nicht möglich war.

      Wann sich Alois zusätzlich zu seiner Frau auch eine Geliebte zugelegt hatte, ob schon vor oder erst nach der Scheidung, ist nicht zu klären. Am 13. Jänner 1882 jedenfalls ging aus der Liaison mit der aus dem nicht weit von Braunau entfernten Weng stammenden Bauerntochter Franziska Matzelsberger, die im Braunauer Gasthof Streif als Magd oder Kellnerin arbeitete und wo auch das Ehepaar Hitler wohnhaft gewesen war, ein Kind hervor: Alois Matzelsberger. Die Entbindung erfolgte nicht in Braunau, sondern in Wien in der Wohnung des Ehepaars Johann und Johanna Prinz in der Löwengasse 28 im dritten Wiener Gemeindebezirk. Am 22. Jänner fand in der Wiener Pfarre St. Othmar (unter den Weißgerbern) die Taufe statt.87 Taufpaten waren Johanna und Johann Prinz. Man mag damit vielleicht Innviertler Tratschereien ausgewichen sein. Aber es gab gute Gründe für diese Wahl: Johann Prinz war jener aus dem Waldviertel stammende Verwandte, der Alois schon 1852 bei seinen ersten Wiener Schritten zur Seite gestanden sein dürfte; ein Sohn des Bauern Martin Prinz, den er schon von Spital her kannte, und ein Verwandter des Döllersheimer Lehrers Franz Prinz, welcher der Trauzeuge bei der Eheschließung von Johann Georg Hiedler mit Alois Hitlers Mutter gewesen war. Die Entbindung in Wien bot sich aber auch deswegen an, weil die Gattin Johanna Prinz eine ausgebildete Hebamme war.88

      Erst nach dem am 6. April 1883 erfolgten Tod seiner von ihm getrennten Frau Anna Glassl-Hitler, Todesursache »Abzehrung«, konnte Alois die »wilde« Beziehung klären. Bereits ein paar Wochen später, am 22. Mai 1883, heiratete er die damals 22-jährige Franziska Matzelsberger, Tochter des Sebastian Matzelsberger, Bauer in Weng, und der Maria, geb. Weyrer. Nun war der Altersabstand in der anderen Richtung groß. Während Anna 14 Jahre älter als ihr Bräutigam gewesen war, war Franziska, genannt »Fanny«, 18 Jahre jünger. Trauzeugen waren Amtskollegen, der k.k. Zollamtsoffizial Ludwig Högl und der k.k. Zollamtsassistent Karl Wessely. Trauender Priester war Johann Neisser, der Pfarrer in Ranshofen. Das Heiratsgut der Braut war mit 1.000 fl um 100 fl höher als das damalige Jahreseinkommen des Bräutigams. Am 13. Juli 1883 wurde der gemeinsame Sohn Alois legitimiert und auf den Namen des Vaters, damals schon Hitler, umgeschrieben.

      Zum Zeitpunkt der Hochzeit war Fanny bereits wieder hochschwanger. Am 28. Juli 1883 kam die Tochter Angela zur Welt. Entbunden wurde sie wiederum von der Hebamme Johanna Prinz in Wien und dort am 11. August auch getauft. Doch das junge Eheglück währte nicht lang. Weil Fanny bald nach der Hochzeit an Tuberkulose erkrankte, wollte sie in der guten Luft des Lachforsts Heilung suchen, wo sie bei einem Bauern, dem Lachtommerl, wohnte und dort am 10. August 1884 im Alter von 23 Jahren verstarb. Dass Alois den Sarg schon vor dem Tod bestellt habe, wird man wohl in die Reihe böser Unterstellungen einordnen dürfen. Aber zwei kleine Kinder waren zu versorgen, und Alois hatte offensichtlich längst eine neue Beziehung. Er musste schon wegen der Kleinkinder wieder heiraten und wusste auch schon wen: Die neue Auserwählte war Klara Pölzl, die Enkelin seines Ziehvaters Johann Nepomuk, die einen Dienstposten brauchte und bereits 1875/76 zur Entlastung von Anna Glassl in Hitlers Haushalt tätig gewesen war, dann aber den Hitlerschen Haushalt vorübergehend verlassen hatte. Als aber Hitlers Familie rasch größer und Franziska immer kränklicher geworden war, war Klara wieder zur Entlastung und bald auch als Zweitfrau zur Stelle. Klara war alles: Nichte, Mätresse, Dienstmädchen, Kindermädchen und Pflegehilfe.

      Ein gehöriges Stück Unmoralität schwingt da schon mit: »Die Moralität im Innviertel ist äußerst schlecht«, hatte schon 1819 der Linzer Bischof Sigismund Ernst von Hohenwart an Kaiser Franz I. berichtet: »Fast in allen Taufbüchern der visitierten Pfarren fand ich eine Menge der unehelichen Kinder.« Er führte dafür auch eine Reihe von Gründen an: die Kriege, die Tanzunterhaltungen und »leider, das muss ich mit traurigem Herzen sagen, die nicht gar erbaulichen Beispiele mancher Seelsorger«.89 Als besondere Untreue ist daher auch Hitlers Ménage-à-trois – oder gar à-quatre mit Anna, Franziska und Klara – im Innviertel offenbar nie wahrgenommen und gewertet worden. Als Alois noch mit Anna verheiratet war, soll die aus dem Waldviertel geholte Klara schon Anlass zu Ehezwist geliefert haben, musste aber dann doch gegenüber Franziska zurückstehen. Und auch als Franziska krank wurde und die Beziehungen mit Klara wieder auflebten oder weitergingen, scheint das niemanden gestört zu haben, weil Klara regelmäßig von Braunau nach Ranshofen hinauskam, um Franziska abwechselnd mit deren Mutter zu pflegen. Ziemlich zeitgleich mit dem Tod Franziskas war Klara schon schwanger geworden. Doch für eine Heirat gab es ein nicht vorhergesehenes Hindernis, nämlich die im Jahr 1876 erfolgte Legitimierung und Namensänderung des Alois Schicklgruber auf Alois Hitler. Denn damit war Klara Pölzl als Enkelin des Johann Nepomuk Hüttler juridisch zu einer nahen Verwandten des nunmehrigen Bräutigams Alois Hitler geworden.

      Es liegt ein erotisch aufgeladener Schleier über Alois Hitlers Ehestrategien und Sexualleben. Erstens die sehr ungleichen Körper, die aufeinander trafen: junger Mann und alte Frau und hernach alter Mann und junge Frauen. Zweitens die vorehelichen und außerehelichen Beziehungen, die eine merkwürdig große Rolle spielen. Und drittens die Inzestsituation, die bei seiner dritten Frau Klara gegeben war, und das nicht nur bei ihrer eigenen Heirat, sondern auch schon bei der Eheschließung ihrer Eltern.

      Die Heiratsstrategien des Alois Hitler waren durchaus ungewöhnlich. Während dort, wo es Gewerbeberechtigungen oder Bauernhäuser zu vererben gab, die Heirat junger Handwerksgesellen oder ausgesteuerter Bauernsöhne mit älteren Witwen, die ein solches Haus oder Gewerbe besaßen, als Aufstiegsstrategie häufig war, ebenso wie die Heirat verwitweter Bauern oder Gewerbetreibender mit sehr viel jüngeren Frauen, war dies bei Lohnabhängigen – sowohl bei Industriearbeitern als auch bei Beamten – eher ungewöhnlich. Voreheliche Beziehungen und eheliche Seitensprünge waren zwar häufig, obwohl sie als sündhaft gebrandmarkt wurden. Aber es gab sie vornehmlich als eine Art Probeehe, die mehr oder weniger rasch in eine Ehe mündete, oder als das Resultat fehlender Heiratschancen im Falle hausrechtlicher Abhängigkeit oder ungenügender Einkommen. Beides traf bei Beamten nicht zu. Uneheliche Kinder waren daher im Beamtenmilieu eher auffällig und stießen dort auch viel häufiger auf Kritik.

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