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auf eine zunehmend schwerere Probe stellen würde.

      Auch Braunau war im Umbruch. Es gab auch hier das Gefühl des Fortschritts, aber gleichzeitig auch schwerwiegende Rückschläge. 1871 boomte die Wirtschaft nicht nur in Wien, sondern auch am Inn: in Wien der überhitzte Ringstraßenbau, in Braunau die Auswirkungen des Eisenbahnbaus und des Anschlusses an das moderne Kommunikationsnetz. Dass der riesige Grenzbahnhof auf der bayerischen Seite in Simbach errichtet worden war, schmerzte. Doch rasch erschienen Krisenzeichen. In Wien erschütterte der große Börsenkrach von 1873 die Wachstumseuphorie. In Braunau veränderten schwere Brände das Stadtbild. Schon 1871 waren 16 Häuser am Lerchenfeld abgebrannt. 1874 folgte ein wirklich verheerendes Feuer, dem insgesamt 122 Objekte im Innenstadtbereich zum Opfer fielen; ein Drittel aller Häuser waren zerstört, darunter auch das Rathaus mit dem Stadtarchiv. Mehr als 20 Feuerwehren aus Oberösterreich, Salzburg und Bayern waren im Einsatz und kämpften zehn Tage lang gegen die Flammen. Der Jammer war grenzenlos; glücklicherweise war kein Menschenleben zu beklagen. Doch die Brandkatastrophe konnte das rasche Stadtwachstum von 2.676 auf 3.625 Einwohnern zwischen 1870 und 1890 nicht hemmen. Wohnungen waren knapp, häufige Wohnungswechsel die Regel.

      Adolf lebte hier nur einige Monate: das Hitler-Geburtshaus in Braunau am Inn, Vorstadt 219, damals der »Gasthof zum Braunen Hirschen« (links).

      Der Dienstort des Vaters: die kaiserliche Zollstation erster Klasser am Bahnhof Simbach. Auf- und Grundriss des Hauptgebäudes (Mitte).

      Loyal zu Kaiser und Monarchie und doch gleichzeitig deutschnational und pangermanisch denkend: die Linzer Zoll- und Verzehrungssteuerbeamten, um 1914 (unten).

      Für Alois war in Braunau der beschwerliche und gefährliche Außendienst vorbei. Die erhaltenen Fotos bestätigen eine stattliche äußere Erscheinung, mit einem im 19. Jahrhundert durchaus noch geschätzten Wohlstandsbäuchlein, mit blinkenden Knöpfen, goldfarbener Bauchbinde, Säbel und Zweispitz. Seine Bartmode folgte der des Kaisers. Seine Karriere war ja wirklich beachtlich: Nur mit einfachster Pflichtschulbildung hatte er den Sprung vom reinen Wachdienst zum Beamtenstatus geschafft, zuerst als Amtsassistent, dann Kontrolleur, schließlich Zollamtsoffizial, zuletzt Oberoffizial. Alois war in der Mittelschicht angekommen. 1876 schrieb er voll Stolz an eine Verwandte in Niederösterreich: »Seit Du mich vor 16 Jahren zum letzten Mal gesehen hast, als ich ein Finanzwach-Oberaufseher war, bin ich sehr weit aufgestiegen und habe bereits zwölf Jahre als Beamter im Zollwesen gedient.« An das Ende dieses um Eindruck heischenden Briefs setzte er seine Adresse: »Beamter in der kaiserlichen Zollstation erster Klasse am Bahnhof Simbach, Bayern, Adresse Braunau, Linzerstraße.«76

      Zöllner sind staatstreu. Sie standen an der Außenfront des Staates, bewachten die Grenzen, kontrollierten die Verzehrungssteuerlinien und verschafften dem Staat den Großteil seiner Einnahmen, was nicht heißt, dass sie nicht manchmal auch in die eigene Tasche wirtschafteten. So war auch Alois gleichzeitig unbedingt loyal zum Kaiser und zum Habsburgerstaat und konnte doch gleichzeitig deutschnational und pangermanisch denken. Sein Brot kam vom österreichischen Staat. Ein Anschluss an Deutschland hätte ihm quasi die Existenz entzogen. »Pangermane, dabei merkwürdigerweise doch kaisertreu«, nannte ihn später einmal der Leondinger Bürgermeister Josef Mayrhofer.77

      Alois Hitler war ein österreichischer Beamter. Aber was war das Österreichische an ihm? Auf jeden Fall unterschied er sich in der Lebensführung, im Familienleben, sicherlich auch in den Essgewohnheiten und in der Freizeitgestaltung vom Wiener Beamtentyp. Viele Freunde scheint er unter den eingesessenen Braunauer Bürgern nicht gehabt zu haben. Alle, die man kennt, kamen aus seinem engeren Berufsumfeld. Zöllner waren nirgendwo wirklich beliebt. Aber in Braunau, wo viele immer noch bayerisch dachten und wo immer noch viele Verwandtschafts- und Wirtschaftsbeziehungen über den Inn hinweg bestanden, waren sie besonders wenig geliebt. Sie überwachten den Verkehr mit den Gegenständen des Alltags, die man über die Brücke zwischen Simbach und Braunau bringen konnte und durch den Zoll kontrollieren lassen musste oder an ihm vorbeischmuggeln wollte: Zucker, Salz, Tabak, aber auch Fleisch, Mehl, optische Geräte, Chemikalien und andere hoch besteuerte Alltagsdinge. Auseinandersetzungen zwischen Schmugglern und Staatsorganen waren an der Tagesordnung.

      Alois war kein Innviertler, sondern kam aus dem Waldviertel. Das förderte manche Vorurteile. Zudem mag er aufbrausend und rechthaberisch gewesen sein – seine Briefe lassen das vermuten, aber auch Kollegen bestätigten das. Das Zeugnis eines Arbeitskollegen, des Zollobersekretärs Hebenstreit aus dem Jahr 1940, der 1881/82 in Simbach mit Hitler zusammengearbeitet hatte, ist nicht gerade freundlich: »Alois Hitler war uns allen unsympathisch. Er war sehr streng, genau, ja sogar Pedant im Dienst und ein sehr unzugänglicher Mensch. Außer Dienst verkehrten wir nicht mit ihm.«78 Sein auch für heutige Begriffe bewegtes Sexualleben hingegen dürfte im damaligen Innviertel nicht besonders aufgefallen sein oder gar Anstoß erregt haben. Was Alois, der als zugeknöpft und mürrisch beschrieben wurde, sich aber auch betont höflich, ja geradezu leutselig, gefällig und freundlich geben konnte, auf jeden Fall hatte, waren ein großer Bildungshunger und eine erstaunliche Gewandtheit in Wort und Schrift. Er fiel bereits in Braunau unter seinen Kollegen als extrem belesen auf, was auf die Mittel seiner Schwiegereltern und auf seine Wiener Verwandten zurückgeführt wurde.79 Auch Verwandte und Bekannte in der Weltstadt zu haben war prestigereich, auch wenn diese dort bloß Hauswarte oder Dienstleute waren.

      Privat weiß man aus dieser Zeit nicht viel. Man berichtete von Militärmusik und Kegelbahn, Schlittenpartien und Gasselrennen – die typische Form der Innviertler Pferderennen. Der Freundeskreis scheint sich auf die Mitarbeiter beim Zoll und auf sonstige Beamte beschränkt zu haben. Zumindest im Dienst merkte man von nationalen Vorurteilen nichts. Ganz besonders freundete sich Alois mit dem Zollbeamten Karl Wessely an, einem Tschechen, der es beim Linzer Infanterieregiment Nr. 14 zum Musikfeldwebel gebracht hatte und dann in den Zolldienst gewechselt war. Einige Male taucht Alois bei besonderen Anlässen in Zeitungsmeldungen auf: Am 21. September 1874 war er einer der Trauzeugen bei der Hochzeit eines seiner Kollegen, des k.k. Finanzwache-Oberaufsehers Karl Fischer. Die Braut war Antonia Mayr, die als Dienstmädchen im Hitler-Glassl-Haushalt beschäftigt gewesen war.80 1882 finden wir Hitler zusammen mit Beamten und Honoratioren auf einer Spendenliste zugunsten der durch Überschwemmungen verunglückten Bewohner in Tirol und Kärnten mit der durchaus namhaften Summe von einem Gulden, neben dem Braunauer Bezirkshauptmann, der 5 fl gab, dem Bezirkstierarzt mit 1 fl und einer Reihe von Mitarbeitern der Braunauer Finanzbehörden, deren Beiträge sich im Kreuzer-Bereich bewegten.81 1889 spendete er für die Schulausspeisung, ein anderes Mal für die Opfer von Brandkatastrophen, dann wieder für Witwen und Waisen. Adolf wusste, was er seinem Stande schuldig war.

      Ob Alois überhaupt Hobbys hatte? Wann genau die Imkerei zu seiner bevorzugten Freizeitbeschäftigung wurde, ist nicht fixierbar. Aber es war jedenfalls schon in der Braunauer Zeit. Er inserierte in der Neuen Warte am Inn und in der Linzer Tages-Post Bienenstöcke und Honig zum Verkauf. Alois begann sich auch für die Hundezüchtung zu interessieren. 1881 bot er einen Neufundländer-Hundemischling zum Verkauf an: »Zweijährig, groß und sehr schön (edel marderfärbig), vorzüglich dressiert und fehlerfrei, verkäuflich um 70 Mark bei Herrn Alois Hitler in Braunau am Inn.«82 Das verrät Erfahrung. Er war wohl schon länger Hundehalter. Und ist insofern nicht belanglos, als von Alois später wiederholt berichtet wurde, dass er gewohnt war, seine Kinder wie Hunde heranzupfeifen und mit schrillen Pfiffen und kurzen Befehlen zu dirigieren. Leondinger Schüler erzählten später: »Der alte Herr Alois forderte unbedingten Gehorsam. Oft führte er zwei Finger in den Mund, stieß einen scharfen Pfiff aus, und Adolf, wo immer er gewesen sein möge, lief sofort zu seinem Vater.«83

      Über die politischen Ansichten und Betätigungen Alois Hitlers aus seiner Braunauer Zeit weiß man nichts. Braunau war damals eine der wenigen Stadtgemeinden, in

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