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auf. Mit dem „Heiligen Geist“ meinte man, dass die Neulinge erst einmal Dresche bekommen müssten, bevor sie echte Heimlehrlinge sein würden. Dazwischen gab es aber noch ein anderes Ereignis, was uns die Härte des Heimlebens klarmachen sollte. Da war ein Lehrling, wohl in der Stube 4, der hatte etwas gestohlen. Was er gestohlen hatte, weiß ich nicht mehr. Er, und wir alle vom ersten Lehrjahr, mussten in die Turmstube kommen, die nicht belegt war. Der Delinquent wurde an den Mittelpfahl gefesselt und verhört. Das machte einer vom 3. Lehrjahr. Der war Scharführer der Hitlerjugend und einer von den Danzigern. Von denen waren einige recht rabiate Kerle, der Scharführer war einer davon und gerade Führer vom Dienst. Die Danziger hatten schon angefangen zu lernen, bevor Polen überfallen wurde.

      Nachdem die Verwerflichkeit des Kameradendiebstahls eindringlich hervorgehoben und davor gewarnt wurde, ging es an die Bestrafung. Der Schuldige wurde mit entblößtem Hintern zum Bücken gebracht und jeder von uns musste derb mit einem Schulterriemen auf diesen Hintern schlagen. Wir mussten nur einen Schlag abgeben, aber wer nicht derb genug geschlagen hätte, wäre gleich daneben gestellt worden.

      Nicht lange nach dieser Bestrafung wurden die Andeutungen zum „Heiligen Geist“ intensiver. Wir in der Stube eins machten unter uns aus, dass wir uns wehren werden. Vorsorglich hatten wir alles so gut es ging verrammelt. Als es soweit war, nützte uns das nichts. Auf der Türseite wurde der erste Fensterladen aufgerissen und eine Scheibe zerstört. Im nu waren die Kerle im Raum. Und da ging es los. Sie hatten Taschenlampen und blendeten uns. Zum Schluss zu bemerkte ich, dass nur noch bei Hüsing und mir gedroschen wird und nur wir zwei uns wehrten. Davon bekam ich die meisten Schläge ab, weil man bei mir frei zuschlagen konnte, während Hüsing mein Bett über sich hatte. Man schlug mit Handtüchern, auf deren einen Seite ein Knoten gemacht und in Wasser angefeuchtet war. Ich hatte eigentlich nur Angst davor, dass man mir die Brille zerschlägt, die ich auf dem Spind neben dem Bett abgelegt hatte. Die Schmerzen waren erst einmal Nebensache, durfte doch ein Hitlerjunge nicht jammern. Die Schmerzen, die ich fast am ganzen Körper spürte, ließen mich lange nicht zur Ruhe kommen wie der Ärger darüber, dass sich die anderen überhaupt nicht zur Verteidigung gerührt hatten.

      Früh, nach dem Wecken, war die ganze Bescherung zu sehen. Hüsing hatte nur an den Oberschenkeln blaue Flecken, weil er sich in den hintersten Winkel seines Bettes verzogen hatte, wo er durch den Spind und das Bett über ihm gut geschützt war, aber dem einen oder anderen, der zu nahe kam, einen Faustschlag verpasste. Ich dagegen konnte mich nur mit dem Keilkissen schützen, was mit Haferstroh gefüllt war. Da ich aber so gut ich konnte zurückschlug, war ich ja für andere Schläger frei und man traf mich gut, sodass mein Rücken grün und blau wurde. Mein linkes Ohr hatte auch einen Schlag abbekommen und verfärbte sich.

      Haider, der am Morgen die Stuben inspizierte, ließ mich nicht zur Arbeit gehen und wies mich in die Krankenstube. Das war ihm doch etwas fatal, vor allem weil Hüsing ihm Vorhaltungen machte. Besonders ob der geknoteten und nassen Handtücher, wodurch es für uns keine Waffengleichheit gegeben habe. Eine Woche lang konnte ich nicht zur Arbeit gehen. Als ich dann am Dienstag in der Betriebsberufsschule saß, fragte mich Meister Dietz, was ich mit meinen Ohr gemacht hätte. Ich antwortete ihm, dass ich vom Bett gestürzt sei, was er sich wohl nicht so richtig vorstellen konnte. Mein linkes Ohr war von oben herab noch dunkelblau.

      Der Berufsausbildung stand Direktor Lange vor. Er wurde von allen gefürchtet. Er regte sich mächtig auf, wenn er von einem Lehrling nicht ordentlich gegrüßt wurde. „Ordentlich“ gegrüßt bedeutete vor allem, dass bei dem Faschistengruß der rechte erhobene Arm gestreckt war und die ebenfalls gestreckte Hand mit der Handfläche nach unten sich in Augenhöhe befand. Hatte der Herr Direktor daran etwas auszusetzen, gab es Theater. Entweder, er kommandierte gleich: „Hinlegen! – Sprung auf, marsch, marsch!“ und wiederholte das ein paar mal oder er erfragte den Namen, forderte, dass man sich wegen des Grüßens beim Meister meldete und ließ den betreffenden sich dann auf den Boden legen.

      Nachdem man Frankreich niedergerungen hatte, Holland und Belgien auch, konnte es passieren, dass er einen jungen Belgier anschnauzte, denn von denen hatte man vor allem Fachkräfte als Fremdarbeiter hereingeholt, die dann entsprechende Abzeichen tragen mussten. So gab es im Betrieb mehrere Nationalitäten.

      Im Lehrlingsheim hatten wir regelmäßig Appelle, bei denen verschiedene Sachen, wie Schuhe, Wäsche und andere Bekleidung sowie die Spinde, kontrolliert wurden. Eines Tages hieß es, dass Direktor Lange uns besuchen und auch Appelle durchführen werde. So kam er in unsere Stube. Robert Kleingünter war noch da. Lange betrachtete die Betten und wollte dann Hüsings Spind sehen. An Hüsings Spindordnung fand er nichts, was er bemängeln konnte. So griff er nach der Zahnbürste, die aus dem Zahnputzglas oben herausragte. In einer Hand hatte er den Stiel der Zahnbürste erfasst und mit dem Daumen der anderen Hand fuhr er über die Borsten. „Die Bürste ist doch ganz trocken. Wann haben sie sich das letzte Mal die Zähne geputzt?“ fragte er. „Gestern Abend“, antwortete Hüsing. – „Das stimmt nicht.“ – „Doch“, erwiderte Hüsing. So ging der Streit ein paar mal hin und her. Schließlich beharrte Lange darauf, dass das Zähneputzen am Morgen das wichtigste sei. Das verneinte aber Hüsing und so ging der Streit hin und her. Lange blickte Haider an und wollte von ihm die Bestätigung seiner Ansicht erfahren. Doch Haider sagte: „Da irren sie sich, Herr Direktor. Was der Lehrling sagt, stimmt.“ Da ging Lange auf die Palme. Nun wurde der Streit zwischen Haider und Lange fortgesetzt, während sie unsere Stube verließen.

      Ich glaube, dass dieses Vorkommnis dem Haider die Stellung gekostet hat. Er wurde später, etwa im Februar 1941, abgelöst. Aber Lange schleppte weiter seinen Fettwanst über den Betriebshof. Haider berichtete uns danach, dass Lange nicht zu überzeugen war und auch nicht eingesehen hätte, dass er eine unhygienische Handlung mit seinem Daumen vollführt hätte. Der rechthaberische Lange trieb weiter sein Unwesen.

      Am 2. September 1940 ging es in das Schulungslager nach Dreißigacker bei Meiningen. Da waren alle Lehrjahre des Lehrlingsheimes dabei. Wir waren in einem großen Gebäude untergebracht, was wohl als Schloss galt. Dort war der Herr Janz unser oberster Chef. Die Lehrausbilder waren natürlich auch da.

      Gleich am ersten Abend beim Essen gab es von Herrn Janz für alle einen Anpfiff. Es war kurze Zeit nach Beginn des Essens, da erhob sich Janz, vor dem ich große Achtung hatte, und sagte laut: „Herhören! Da gibt es doch tatsächlich unter euch welche, die machen beim Umdrehen der Speisen im Mund den Mund auf und erzeugen ein unappetitliches Geräusch. Ab sofort möchte ich das nicht mehr hören. – Weitermachen!“ Im Lehrlingsheim hatte man uns schon einige Tischsitten beigebracht, doch hier waren nun alle vertreten, die im ersten Lehrjahr waren. Ich kann mich noch an das laute Schmatzen erinnern, bevor Janz das Thema angesprochen hatte. Ab sofort war das Schmatzen dann vorbei.

      Im Lager hatten wir Schulunterricht und meist anschließend militärische Grundausbildung. Das Wetter bescherte uns oft Nebel oder Nieselregen. Es war insgesamt unfreundlich. Herr Janz blieb nicht die gesamte Zeit bei uns, waren doch im Betrieb noch die zwei- und dreijährigen Lehrlinge. Ebenso etwa 20 bis 30 der Vierjährigen. Später wurde ihre Anzahl immer geringer, weil sie dann ins Alter zum Kriegmachen herangereift waren. Sogar dreijährige Lehrlinge mussten ihre Prüfung nach zweieinhalb Jahren ablegen, weil sie jahrgangsmäßig schon an die Einberufung zum Wehrdienst herankamen.

      Hier im Schulungslager erhielten wir nun endlich die angekündigten Werkstatthefte und wurden über die Eintragungen darin belehrt. Nun kamen neben den gewöhnlichen Hausaufgaben für die Berufsschule noch die wöchentlichen Eintragungen in dieses Heft dazu, was man deshalb auch Berichtsheft nannte. Von dem Merkheft, in das wir täglich unsere Tätigkeiten eintragen und vom Lehrausbilder bestätigen lassen mussten, wurden die wöchentlichen Tätigkeiten auf ein Wochenblatt im Werkstattheft übernommen und im hinteren Teil dieses Buches eine Zeichnung dazu angefertigt, die mit den Tätigkeiten der betreffenden Woche im Zusammenhang stehen sollte. Im Kopf des Wochenblattes waren einige Zeilen angelegt, wo dann noch die Wochenlosung eingetragen wurde, die man jeden Montag beim Wochenanfangsappell bekannt gab.

      Das Schulungslager sollte eigentlich drei oder vier Wochen lang stattfinden, es waren zu unserem Glück

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