Скачать книгу

ist richtig, was ist falsch? z. B.: Heterosexualität oder Homosexualität; Unterordnung der Frau oder gleichberechtigte Geschlechter? Was ist gut, was ist schlecht? z. B.: Ehe oder offene Beziehung; körperliche Zucht oder aufklärendes Gespräch?

      →Was ist schön, was ist hässlich? z. B.: behaarte Beine oder unbehaarte Beine; Klassik oder Punk?

      →Was ist glaubwürdig, was ist illusorisch? z. B. Katholizismus oder Atheismus; Denken oder Fühlen?

      Dies sind alles Fragen, die nur subjektiv beantwortet werden können – glauben wir. Das Dogma der Subjektivität sagt, dass kein Mensch die Wirklichkeit sieht, wie sie ist, sondern sie sich nur so vorstellt, wie er will. Darum darf auch kein Mensch behaupten, dass er die Wirklichkeit sieht, denn jeder sieht nur seine eigene Wirklichkeit. Deshalb darf man den nicht verurteilen, der andere Werte und eine andere Wirklichkeit kennt. Gemeinschaft oder Liebe besteht bei einem solchen Dogma nicht mehr wirklich, denn einen gemeinsamen Nenner gibt es nicht mehr. Was der eine unter »Wir lieben uns« versteht (z. B. er versteht mich und ist einfühlsam), ist etwas ganz anderes, als was eine andere Person unter »Wir lieben uns« versteht (z. B. mit ihr kann ich meine Lebensträume verwirklichen) (siehe Abb. 2).

      Der Objektivismus mit seiner absolutierten 3. Person-Perspektive hat zur Folge, dass es keine individuelle Freiheit und damit keine Liebe oder Verantwortung gibt.

      Das, was wir richtig oder falsch machen, verantworten wir nicht selbst, sondern wird durch allgemeingültige Prozesse gesteuert und verantwortet, die vom Menschen nicht beeinflusst werden können. Ich sterbe an Krebs, nicht weil ich das will, sondern weil meine Gene so programmiert sind (Biologismus: Selektion). Ich vergewaltige Kinder, nicht weil ich das will, sondern weil ich von meinen Eltern sexuell misshandelt wurde (Psychologismus: Trauma). Der Zweite Weltkrieg brach nicht aus, weil man das wollte, sondern wegen einer zu hohen Arbeitslosigkeit (Soziologismus/​Historismus: Wirtschaftskrise) (siehe Abb. 3).

      Subjektivismus und Objektivismus haben folglich ein gemeinsames Problem: Wirkliche Gemeinschaft zwischen Menschen ist nicht mehr möglich. Beim Subjektivismus ist jeglicher gemeinsame Nenner zwischen zwei Menschen abwesend und damit weder echte Kommunikation noch gegenseitiges Verstehen oder Verantwortung gegenüber dem anderen möglich. Beim Objektivismus ist ein gemeinsamer Nenner vorhanden (bestimmte allgemeingültige Prozesse), aber dieser gemeinsame Nenner tritt als Verursacher aller menschlicher Handlungen auf und hat zur Folge, dass keine individuelle Freiheit oder Verantwortung bestehen, was Grundvoraussetzungen für echte Gemeinschaft sind.

      1.3 Jeder denkt es, jeder glaubt es

      Die zwei eingangs beschriebenen Beispiele (siehe 1.1) stehen stellvertretend für unser Lebensgefühl – das Lebensgefühl des modernen Menschen. Sowohl der Subjektivismus als auch der Objektivismus haben verursacht, dass die zwei Studenten und Alexandra keine wirklich großen Träume mehr haben, sondern von Lethargie begleitet werden. Für die einen verhindert die allgemeine Relativität menschlichen Denkens, Fühlens und Glaubens, dass man sich für »das« Ideal völlig einsetzt. Für die anderen wirkt sich die Tatsache, dass die erlebte Freiheit nur Illusion ist und der Mensch in Wahrheit fremdbestimmt wird, sinnentleerend aus. Hier macht sich der Mensch nicht selbst, sondern er wird gemacht (3. Person-Perspektive). Nun kann man den modernen Menschen aber nicht in Subjektivisten und Objektivisten aufteilen. Weil der Mensch nicht sinnentleert leben kann, wird er nie entschlossen reiner Subjektivist oder Objektivist sein können. Es ist gerade typisch für den modernen Menschen, dass er gleichzeitig im Subjektivismus und im Objektivismus lebt. Durch die Kombination dieser beiden Dogmen möchte er deren Nachteile überwinden. Die Nachteile des Subjektivismus (z. B. keine allgemeingültigen Regeln) kehrt der Objektivismus in Vorteile um (z. B. allgemeingültige Naturgesetze). Die Nachteile des Objektivismus (z. B. Fremdbestimmung) werden im Subjektivismus oft vorteilhaft verändert (z. B. individuelle Freiheit) (siehe Abb. 4).

      Jeder moderne Mensch denkt, handelt und fühlt täglich auf der Basis dieser beiden Dogmen:

      1. Wenn wir krank sind, gehen wir zum Mediziner, der die allgemeingültigen Gesetze, aufgrund deren wir krank oder gesund werden, kennt. Wenn wir nach Lösungen suchen, um den Terrorismus zu bekämpfen, gehen wir zum Historiker oder Soziologen, die uns erklären, welche sozialen Mechanismen und historischen Kontexte einen Menschen zum Terroristen machen. Der Wissenschaftler ist der Priester des modernen Menschen, denn er allein scheint Zugang zum Schicksal zu haben. Er allein kann die Zukunft vorhersagen, weil er in »Kontakt« mit den allgemeingültigen Gesetzen ist, denen sich alles Leben unterwerfen muss. Er kann uns heilen, die Gesellschaft retten und uns den Weg in eine bessere Zukunft weisen.

       Dass wir dabei schon längst dem Objektivismus verfallen sind, dem Glauben, dass alles nach Gesetzmäßigkeiten determiniert ist, und damit die menschliche Freiheit untergraben, ist uns oft nicht bewusst. Und da, wo wir uns dessen bewusst sind, schließen wir – wie Alexandra – das Forschungslabor und grenzen den Objektivismus ab. Wenn wir uns verlieben, in die Kirche gehen oder bevor wir uns bei einer politischen Partei engagieren, reden wir nicht mehr von Evolution oder Sozialisation als Erklärungsgrund für unser Handeln. An dieser Stelle trennen wir die Welten.

      2. Wenn gute Bekannte sich in Holland bei der Begrüßung dreimal auf die Wangen küssen, dann beurteilen wir deren Begrüßungsritual nicht als zu intim. Wir gehen davon aus, dass es ihre Art der Begrüßung ist und diese in keiner Weise besser oder schlechter ist als z. B. die deutsche Umarmung. Wenn die jüdischen Kinder in der Wohnsiedlung fröhlich vom Purimfest erzählen, sagt mir die katholisch erzogene Nachbarin: »Ja, jeder hat eben so seine eigene Art, Spiritualität zu erleben«. Über Homosexualität wird schon lange nicht mehr aggressiv debattiert. Mein Arbeitskollege findet es zwar nach wie vor schwer nachvollziehbar, aber er sagt letztendlich: »Es gibt eben verschiedene Möglichkeiten, seine Sexualität auszuleben.« Den Papst und seine Auffassungen findet er menschenverachtend: »Der ist noch im Mittelalter stecken geblieben«, meint er.

       Wir sind uns alle einig über die Unterschiedlichkeit. Während die einen Elvis vergöttern, trauern die anderen um Kurt Cobain – Musikgeschmack ist eben subjektiv. Wenn jemand noch an das Ideal oder die Wahrheit glaubt, dann nennen wir ihn Fundamentalist. Fundamentalisten glauben, dass ihr Erleben der Wirklichkeit das einzig Wahre ist, und alle anderen sich in ihrer Wahrnehmung täuschen. Auch wenn es immer mehr Fundamentalisten gibt, so sind sie doch die Minderheit in unserer Gesellschaft. Wir aber – als moderne Menschen – erkennen im Gegensatz zu den altmodischen Fundamentalisten, dass es viele unterschiedliche in sich stimmige Möglichkeiten gibt, die Welt zu erfahren. Dass wir dabei oft schon längst subjektivistisch geworden sind, ist uns oft nicht bewusst. Aber wenn wir unseren eigenen Komfort bedroht sehen, lassen wir das Dogma Subjektivismus schnell fallen und berufen uns auf medizinische Gutachten (Objektivismus), um die 37-Stunden Woche zu bewahren. Da reden wir dann nicht vom 20-Zoll-LCD-Bildschirm, den wir uns geleistet haben, der aber eigentlich nicht nötig ist.

      Niemand würde verneinen, dass es allgemeingültige Gesetze gibt, die zu einem großen Teil unser Leben bestimmen, aber keiner will sagen, dass wir fremdbestimmte Maschinen sind, und Freiheit eine Illusion ist. Niemand würde verneinen, dass es individuelle Freiheit gibt, aber keiner will behaupten, dass der andere tun und lassen kann, was er will. Und bevor wir zur Maschine oder zum Tyrannen werden, entscheiden wir uns für ein unklares Leben zwischen zwei Dogmen, denen wir glauben, aber dann doch nicht vertrauen wollen. Wir sind Opfer einer Erpressung zweier Dogmen: Wir leben in der Zwickmühle. Darin liegt die Ursache für die Sinnleere, die der moderne Mensch erlebt.

      1.4 Problembehandlung

      Manche

Скачать книгу