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alleine ist wertlos.

      Wissen Sie, dass Jesus ein einziges Mal in seinem Leben richtig wütend war? Stocksauer! Ja: Mit einer Peitsche hat er die Geldwechsler aus dem Tempel getrieben. Warum? Nein, nicht weil die mit Geld gehandelt haben, gegen Geld hatte er gar nichts. Diese Leute haben den Menschen eingeredet, sie müssten erst eine bestimmte Währung besitzen, bevor sie sich Gott nähern können. Da ist Jesus ausgerastet: »Ihr redet hier im Tempel so viel über Geld, dass ihr Gott vergesst. Das ist das Problem.«

      Ich kenne übrigens eine Frau, die bei der Bundesbank arbeitet. Die sieht das genauso!

      JANUAR

      23

       Ausgehen

      Der ehemalige hessische Kirchenpräsident Martin Niemöller hat eine clevere Frage aufgeworfen: »Was würde Jesus tun?« Ein theologisch frecher und zugleich alltagstauglicher Lebensansatz. »Was würde Jesus wohl in dieser oder jener Situation machen? Wie würde er reagieren?« Keiner weiß, wie, aber nach einer wilden Odyssee ist dieser Satz vor einigen Jahren aus Amerika zurück nach Deutschland gekommen, trendy amerikanisiert: »W. W.J.D.?« – »What would Jesus do?« Zurzeit fast eine Kultbewegung in christlichen Kreisen.

      Mal eine Testfrage: Wohin würde Jesus wohl am liebsten ausgehen? Was glauben Sie? Theater, Restaurant, Musikklub, Party oder eher nächtlicher Gottesdienst? Sekt oder Selters? Nach allem, was wir über ihn wissen, ist eines zumindest klar: Wahrscheinlich würde Jesus sich lieber unterhalten, als sich unterhalten zu lassen. Jesus, das Kommunikationswunder. Also treffen wir ihn eher in einer der vielen verrauchten Kneipen – in ein angeregtes Gespräch vertieft – als im Kino. Da, wo Menschen Lust haben, über das Leben zu reden.

      Und welches Ziel hätte Jesus? Amüsieren konnte er sich ja. Seine Feinde nannten ihn spöttisch einen »Fresser und Weinsäufer«, weil er häufiger, als es sich für einen »Geistlichen« geziemt, in der Kneipe angetroffen wurde. Nur diese seltsame Kultur, »Ausgehen« im Sinne einer Glühbirne zu begreifen, also sich möglichst die Lichter auszuknipsen oder zumindest auf matt zu schalten, hätte Jesus befremdet. Er wollte, dass die Menschen bei allem, was sie tun, einen Schritt vom Dunkeln ins Helle machen – nicht umgekehrt. Sich zudröhnen war nicht sein Ding. Egal, ob man die Alkoholfahne schwenkt oder sich von vier Stunden Oper umbrausen lässt.

      Jesus hätte dafür gestanden, dass beim Ausgehen etwas angeht, irgendein Licht, das verborgene Seiten in Ihnen zum Leuchten bringt und Sie ein bisschen weiser, froher und entspannter nach Hause kommen lässt. Licht an!

      JANUAR

      24

       Unwörter

      Es ist wieder so weit: Demnächst wird das »Unwort des Jahres« bekannt gegeben. Sie wissen schon, seit vielen Jahren wählt eine Jury jedes Jahr den größten sprachlichen Missgriff, ein Wort oder eine Formulierung, die grob unangemessen oder menschenverachtend ist. Da gab es schon so schöne Gewinner wie »Entlassungsproduktivität«, »Human-Kapital«, »Kollateralschaden« und »Sozialverträgliches Frühableben«. Lustig, oder?

      Regelmäßig gehen da übrigens viele Hundert Vorschläge ein. »Abwrackprämie« für die Entlassung von über 50-Jährigen oder »Eindeutschung« für die Integration von Zuwanderern. »Gammelfleisch« wird auch ganz oft genannt und ist zwar ziemlich eklig, hat aber keine Chancen, weil der Begriff ja stimmt.

      »Mein Unwort des Jahres ist ›Mäuschen‹.« Sagt meine Frau. »Aber wieso denn, Mäuschen?«, habe ich sie gefragt. Da hat sie mich erst mehrfach wutentbrannt an ihren Namen erinnert und dann aus einem der psychologischen Bücher zitiert, die sie gerade liest: »›Unsere Sprache prägt unser Denken.‹ Und wenn du mich in deiner Sprache klein machst, dann machst du mich auch in deinem Denken irgendwann klein – und grau und piepsig. Du … du Frosch!«

      Ist doch seltsam: Der allererste Auftrag, den die Menschen in der Bibel von Gott bekamen, lautete: »Gib den Dingen Namen!« Und da ging es nicht um lustige Wortspiele, sondern darum, den Dingen durch eine klare Sprache Charakter zu verleihen. Unsere Sprache prägt unser Denken.

      Also gut. Unwörter aufgepasst! Aber – mal unter uns: Das stellt sich doch ein bisschen sehr an, mein Mäuschen.

      JANUAR

      25

       Kuscheln

      Na, sind Sie auch so ein Kuschler? Jemand, der andauernd kuscheln will und nichts mehr genießt als Nähe, Hautkontakt und ausführliche Streicheleinheiten? Ich bin einer. Ein echter Powerkuschler. Und wenn es im Radio Kuschelmusik gibt, schmiege ich mich eng an meine Frau und höre ganz gemütlich zu. Mmh.

      Ich begreife gar nicht, dass es so viele Kuschelmuffel gibt. Irgendwie ist Kuscheln für mich der Inbegriff von Vertrautheit. Schließlich lehnt man sich ja nicht bei jedem an. Wenn ich kuschele, dann verlasse ich meinen Schutzraum und gebe meine ganze Verletzlichkeit in die Hände meiner Liebsten. Ich kuschele einfach gerne mit meiner Frau. Ich kuschele auch gerne mit meinen Kindern, natürlich auf andere Weise. Kuscheln und Schmusen gehören in eine Familie hinein.

      Als Jesus einmal erzählte, wie man mit Gott umgehen soll, sagte er: »Nennt ihn Papa!« Ja, Papa. Das war schon damals eine ganz liebevolle, persönliche und kuschelige Bezeichnung. Ist doch eine nette Vorstellung: Glauben ist so etwas wie Kuscheln mit Gott. Da geht es auch darum, seinen Schutzraum zu verlassen und sich jemandem anzuvertrauen. Sich mit seinen Schwächen in die Hände Gottes zu begeben und sich von ihm die Seele streicheln zu lassen.

      Insofern kann man nur allen, die immer noch ein irgendwie fernes, übermächtiges oder gar bedrohliches Gottesbild mit sich herumschleppen, sagen: Jesus hat Mut gemacht, mit Gott zu kuscheln. Das finden Sie ungewöhnlich? Ich nicht. Ich bin ja ein Powerkuschler. Den Helden spielen, das kann ich woanders.

      JANUAR

      26

       Alice

      Eigentlich wollte der junge Mann nur einen Ausflug mit dem Ruderboot machen. Zusammen mit drei Schwestern. »Doch ach! Die drei vereinten sich, den müden Freund zu quälen. Sie trieben ihn, sie drängten ihn, ein Märchen zu erzählen.« So jedenfalls beschreibt der Mann diesen denkwürdigen Tag später selbst. Denn das Märchen, das er sich spontan ausdachte, wurde ein Welterfolg.

      Der Mann heißt Lewis Carroll – und seine Geschichte »Alice im Wunderland«. Kennen Sie bestimmt. Die Titelheldin folgt während eines langweiligen Picknicks einem weißen Kaninchen in dessen Bau und landet dort in einer traumartigen Welt voller Paradoxien und Absurditäten. Zum Beispiel trifft sie auf eine Grinsekatze, von der irgendwann nur noch das Grinsen übrig bleibt, auf einen verrückten Hutmacher, eine nie endende Teegesellschaft und ein menschliches Kartenspiel.

      Und diese verrückten Abenteuer von Alice begeisterten bald so viele, dass sie innerhalb kurzer Zeit auch der Star von Opern, Theaterstücken, Liedern und weiteren Büchern wurde. Ja, es ist sogar eine psychische Erkrankung nach ihr benannt. Beim »Alice-im-Wunderland-Syndrom« nehmen die Erkrankten ihre Umwelt verändert wahr. Größer, kleiner, bunter oder einfach ganz anders.

      Lewis Carroll, der übrigens morgen Geburtstag hat, liebte es, die Welt mal mit anderen Augen zu betrachten. Warum auch nicht? Ich meine: Tun wir das nicht ohnehin andauernd? Die Welt unterschiedlich wahrnehmen? Der Klassenkämpfer sieht überall Ungerechtigkeit, der Hundeliebhaber überall Hunde, der Kapitalist überall Chancen zum Geldverdienen – und der Glaubende, der sieht die Gegenwart eines liebevollen Gottes. Entscheidend für mich ist: Was davon macht stark?

      JANUAR

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