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auf diese Verschaltungen. Das Gehirn hat „direkten Einfluss darauf, welche Gene einer Zelle aktiviert und welche Funktionen von der Zelle infolgedessen ausgeführt werden“.14

      Für das seelische Innenleben des Menschen wurde der Zusammenhang zwischen epigenetischen Einflüssen und dem Abschalten von Genen so beschrieben, dass „der seelische Stress der Depression mehrere Gene des Immunsystems ab[stellt], die für die Produktion von Immunbotenstoffen zuständig sind“.15 Das Immunsystem kann also durch das seelische Innenleben des Menschen unterdrückt werden. Auf diese Weise brechen Krankheiten – auch Krebserkrankungen – leichter aus. Bezogen auf zwischenmenschliche Beziehungen und die Auswirkungen auf Krebserkrankungen fasst Joachim Bauer die genetischepigenetischen Verschaltungen so zusammen:

      „Dass zwischenmenschliche Beziehungen Einfluss auf die Aktivität von Genen und auf biologische Abläufe haben, hat sich auch für das Immunsystem als zutreffend erwiesen. Stress und Depression verändern [mittels Zellaktivität] die Genaktivität nicht nur bei zahlreichen Immunbotenstoffen (Zytokinen), sondern auch in Zellen des Immunsystems (T-Zellen und Natural-Killer-Zellen), sodass deren Abwehrkraft gegenüber Erregern und gegenüber Tumorzellen entscheidend vermindert ist.“16

      Auch das menschliche Verhalten wird neu erklärt und es wird gezeigt, wie Erbanlagen (Genetik) und Umwelt (Epigenetik) sich gegenseitig beeinflussen.17 Es werden zunehmend verschiedene epigenetische „Schalter“ im Gehirn gefunden, die für die Entwicklung des Gehirns und für Krankheiten eine besondere Rolle spielen.18 Auch die Epigenetik von neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer wird genauer erforscht.19 Schließlich wird das Sozialverhalten der Menschen in ihren epigenetischen Auswirkungen auf das Genom untersucht.20 Es scheinen also nahezu alle inneren und äußeren Faktoren Einfluss auf die genetischen Verschaltungen zu haben und damit auch für Krebserkrankungen relevant zu sein.

      3. Philosophische Zugänge zum Phänomen „Leben“

      Das Leib-Seele-Problem nach Aristoteles und Thomas von Aquin

      Nach der Verschmelzung von Samen und Eizelle entwickelt sich der Embryo von selbst weiter. Diese innere Lebensdynamik bezeichnet Aristoteles mit dem Begriff der „Selbstbewegung“. Es geht um die Beschreibung einer Lebensdynamik von innen nach außen. Ein Keim entwickelt sich von innen her zu einem erwachsenen Organismus. Der Embryo wird zum Fetus, zum geborenen Kind, Jugendlichen und Erwachsenen.

      Es ist ein zentrales Phänomen des Lebendigen, dass es sich dauernd verändert und doch eine sich durchhaltende „Identität“ besitzt. Dieses Phänomen hat Aristoteles veranlasst, von zwei Prinzipien im Lebendigen zu sprechen: von einem sich durchhaltenden und einem sich verändernden. Das eine nennt er „Seele“, das andere „Materie“. Die Seele beschreibt er als inneres Lebensprinzip, Formprinzip und Ganzheitsprinzip.21 Insofern haben nicht nur der Mensch, sondern auch Pflanze und Tier eine Seele. Genau genommen „haben“ sie keine Seele, sondern sie „sind beseelt“, sie entfalten eine innere Lebensdynamik. Beim Menschen konnte Aristoteles die Seele nicht mit dem Phänomen des menschlichen Geistes zusammendenken. Daher fügt er den Geist von außen hinzu. Dadurch verbleibt bei ihm ein Dualismus zwischen Seele und Geist.

      Erst Thomas von Aquin bringt im Mittelalter die Leib-Seele-Einheit des Menschen denkerisch zustande.22 Vor dem Hintergrund seines jüdisch-christlichen Weltbildes, das den Menschen grundsätzlich als eine Einheit betrachtet, bringt er griechisches Leib-Seele-Denken mit jüdischchristlichem Einheitsdenken zusammen.23 Er übernimmt Aristoteles’ Auffassung von der Seele als innere Form des Leibes, konzipiert die Seele allerdings so, dass sie beides in einer Einheit ist. Die Seele wird so entworfen, „daß sie beides zusammen in Identität ist: ihrem Wesen nach ganz Form des Leibes und ganz subsistenter unzerstörbarer Geist“.24 „Subsistent“ heißt hier, dass der Geist dem Inneren des Menschen zugrunde liegt und alle anderen Elemente (auch das Seelische im psychologischen Sinn) zu einer Ganzheit integriert. Daher spricht Thomas auch von der „Geistseele“ („anima intellectiva“) als der inneren Mitte des Menschen. Die Tierseele als die sensible und fühlende Seele nennt er „anima sensitiva“ und die Pflanzenseele „anima vegetativa“ (ernährende Seele). Die Medizin kennt noch das Vegetativum oder das autonome Nervensystem, das vom Menschen kaum direkt willentlich beeinflusst werden kann.

      In der Philosophie des Thomas von Aquin sind im Menschen alle diese drei Seelenanteile zu einer vereint. Die eine Seele in ihren dreidimensionalen Aspekten formt von innen her den Körper zum Leib. Thomas bringt diesen Sachverhalt in folgender Kurzformel auf den Punkt: „anima forma corporis“, „die (Geist-)Seele formt den Körper zum Leib“. Diese Gegebenheit kann man auch für den Alltag konkret machen: Das Geistsein hängt unmittelbar mit dem Gefühlsleben zusammen und dieses wiederum mit dem Vegetativum.

      Konkret ausgedrückt: Das Denken des Menschen ist immer von Gefühlen begleitet und schlägt sogar manchmal bis ins Vegetative durch. Wenn eine Entscheidung zu treffen ist und jemand darüber nachdenkt (Vernunft, „anima intellectiva“), ob er dieses oder jenes tun soll, sind seine Gedanken mit bestimmten Gefühlen verbunden (sensible Anteile, „anima sensitiva“). Bei bestimmten Entscheidungen fühlt der Mensch sich wohl und freut sich, bei anderen ist er unruhig, unglücklich, deprimiert. Die Angst vor einer bevorstehenden Prüfung beispielsweise kann sogar über die Ebene des Gefühls hinaus auf das Vegetativum durchschlagen und zu Übelkeit und Diarrhö führen. Hier zeigt sich die Einheit von Geist (Denken), Seele (Gefühl, Erleben) und körperlichen Auswirkungen (Übelkeit). Die Richtung dieser Kaskade ist dabei vorgegeben: Es beginnt mit dem Gedanken an die Prüfung, ist begleitet von Gefühlen und führt zu körperlichen Reaktionen der Übelkeit. So gibt es ein Gefälle vom Gedanken über das Gefühl zum leiblichen Erscheinungsbild – nie umgekehrt. Der Prozess beginnt eben nicht bei der Übelkeit und führt von dort aus zum Gedanken an die Prüfung, sondern umgekehrt vom Gedanken zum körperlichen Symptom – allgemeiner gesagt: vom Geist zur Materie. So ist die Einheit von Geist, Seele und Körper (Leib) philosophisch ableitbar und auch im Alltag erfahrbar.25

      Diese Leib-Seele-Einheit kann auch auf andere Weise philosophisch gezeigt werden, nämlich anhand eines wesentlichen Vollzugs menschlichen Lebens, am Phänomen der Erkenntnis. Erkennen ist ein Wesensmerkmal des Menschen. Der Mensch strebt von Natur aus nach Wissen (und Erkenntnis), so lautet ein Satz der Metaphysik von Aristoteles.26 Daher zeigt Thomas von Aquin die Einheit von Seele und Leib auch anhand des menschlichen Erkenntnisprozesses auf. Der Mensch erkennt nicht nur mit seinem Geist, sondern vor allem mit seinen leiblichen Sinnen: mit Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten und der Geist formt diese Sinneserkenntnis zu einem Urteil: Das ist ein Buch, das ist ein Auto. Denn genau genommen sieht der Mensch kein „Auto“, sondern etwas Großes, Rundes, Eckiges, Metallenes, Rotes und verknüpft mithilfe des Geistes diese Informationen zum Begriff „Auto“.

      Im Erkenntnisprozess wirken die materiellen Sinne und der immaterielle Geist als Einheit zusammen. Ziel des Erkennens ist es, die Dinge draußen zu erfassen und durch diese Außenerkenntnis langsam zu sich selbst zurückzukehren. Die Seele formt also in dieser Philosophie den Körper zum Leib. Nur in der Einheit von (Geist-) Seele und Leib kann der Mensch (sich) erkennen.27 Damit ist jeder Leib-Seele-Dualismus ausgeschlossen.28

      Zusammengefasst: Der Mensch ist nach Thomas von Aquin eine Leib-Seele-Einheit. Die Seele als das innere Ganzheitsprinzip ist beim Menschen sein Geistsein. Das Wesen dieses Geistseins ist, mithilfe des Leibes zu erkennen (die Welt und sich selbst), den Leib von innen her zu durchformen und sich in diesem Leib auszudrücken. Jedes Erkennen (Geist) ist von einem Fühlen und Erleben (Seele) begleitet und hat Auswirkungen auf den Körper. Es ist das Fühlen eines denkenden Menschen. Dieses Fühlen geht über die emotionale Beziehung zum Mitmenschen hinaus und reicht hinein in ein „Fühlen“, das sich auf einen letzten Seinsgrund bezieht.29 Es ist ein Fühlen, das mit der Letztausrichtung des Menschen auf Absolutes zu tun hat.

      Das Leib-Seele-Problem nach Descartes – Medizin als Naturwissenschaft

      Im Verlauf der Philosophiegeschichte zerbricht

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