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ist inzwischen durch neue Erkenntnisse von Genetik, Epigenetik und Hirnphysiologie etwas geschlossen worden. Man weiß heute, dass geistige Prozesse sehr wohl auf die Materie einwirken und auf die Verschaltungsprozesse zwischen Genetik und Epigenetik Einfluss nehmen. Sie können eine Brücke schlagen zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Insofern stellt das vorliegende Werk eine Weiterentwicklung gegenüber dem ersten dar.

      Interessant ist, dass heute auch aus den Kommunikationswissenschaften gute Anregungen für den notwendigen transdisziplinären Dialog kommen. Insofern bin ich PD Dr. Erich Hamberger sehr dankbar für hilfreiche Ergänzungen und Weiterführungen.

      Matthias Beck

KREBS

      1. Hinführung

      Zu all den Fragen: Was ist Krebs? Warum gerade ich? Warum gerade jetzt? Was hat das zu bedeuten? scheint in vielen Büchern schon alles gesagt worden zu sein. Aber die Wissenschaft schreitet fort und neue Erkenntnisse tauchen auf. Es wird immer klarer, dass eine genetische Schädigung (die bei allen Krebserkrankungen wohl eine Rolle spielt) nicht allein verantwortlich für den Ausbruch einer Erkrankung ist. Denn Gene müssen aktiviert beziehungsweise inaktiviert werden. Ein geschädigtes Gen führt nur dann zu einer Erkrankung, wenn es auch aktiviert ist. Diese Zusatzfaktoren nennt man epigenetische Einflüsse.

      Die epigenetischen Faktoren haben auch mit dem individuellen Lebensstil zu tun: mit Ernährung, Sport, Bewegung, Umwelteinflüssen, zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch mit dem Innenleben des Menschen. Um letztere Aspekte soll es in diesem Buch gehen. Es greift Erkenntnisse aus Biologie, Genetik, Epigenetik, Hirnphysiologie, Psychoneuroimmunologie und Psychoneurogenetik auf und kombiniert sie mit Grundfragen des menschlichen Lebens. Es steht vor allem die geistig-spirituelle Dimension des Menschen im Mittelpunkt der Betrachtungen.

      Auch Krebszellen sind lebendige Zellen, aber sie leben an der Ordnung des Gesamtorganismus vorbei: Sie führen ein Eigenleben. Es stellt sich die Frage, warum sie aus dieser Gesamtordnung des Organismus ausscheren. Diese Frage kann man zunächst auf einer rein naturwissenschaftlichen Ebene beantworten. Es gibt viele Erkenntnisse, wie eine solche Kaskade des Ausscherens vor sich geht. Man kann sie auch auf einer psychologischen Ebene betrachten, darum kümmert sich das Fachgebiet der Psychoonkologie. Man kann sie schließlich auf einer geistigspirituellen Ebene anschauen: Hier sind Philosophie und Theologie gefragt. Der naturwissenschaftliche Zugang zu einem Krankheitsphänomen kann verallgemeinerbare Aussagen treffen. Der Siegeszug der Naturwissenschaften beruht auf der Verallgemeinerbarkeit. Die Psychologie und Psychoonkologie hingegen schauen schon mehr auf die einzelne Biografie mit ihren individuellen psychischen Hintergründen. Biografien werden mit anderen verglichen; mithilfe von Statistiken wird versucht, diese wiederum zu verallgemeinern. Dann aber gibt es das ganz Individuelle jeder Biografie, das nicht mehr mit anderen zu vergleichen ist. Jeder Mensch ist einzigartig und führt ein einmaliges Leben. Um diesen Einzelnen soll es hier gehen.

      In der neueren Forschung wird zunehmend klar, dass die Verallgemeinerbarkeit ihre Grenzen hat. Diese Erkenntnisse kommen aus einem Grenzgebiet zwischen Pharmazie und Genetik. Hat man etwa fünfzig Patienten mit einer ähnlichen Erkrankung, gleichem Geschlecht, ähnlichem Alter und Gewicht und gibt jedem dasselbe Medikament in gleicher Dosis, kann jeder anders darauf reagieren. Das hat mit der je eigenen genetischen Ausstattung des Menschen zu tun.3 Der Wissenschaftszweig, der sich mit diesen Zusammenhängen befasst, nennt sich Pharmacogenomics. Das ist die Wissenschaft, die versucht, die genomische Ganzheit eines Individuums zu erfassen und gleichzeitig die Wirkung von Arzneimitteln auf dieses individuelle Genom zu erforschen.

      Die Medizin spricht hier von „personalisierter Medizin“. Korrekter wäre es allerdings, zunächst nur von „individualisierter Medizin“, „zielgerichteter Medizin“ oder „Präzisionsmedizin“ zu sprechen. Denn es wird versucht, auf Basis einer Genanalyse eine auf diesen einen Patienten mit seinem individuellen Genom zugeschnittene und maßgeschneiderte Medizin zu entwickeln. Das hat durchaus Sinn. Diese Zugangsweise, die die genetische Ausstattung des Einzelnen in den Blick nimmt, ist aber gerade keine „personale“ oder „personalisierte Medizin“. Denn sie betrachtet nicht die ganze menschliche Person4 in ihren Bezügen zur Umwelt, zu den Mitmenschen oder zum Innenleben des Einzelnen. Erst wenn die ganze Person in ihrer Vieldimensionalität in den Blick kommt, kann man von „personalisierter Medizin“ sprechen.

      Dieser Person-Charakter ist es, der den Einzelnen als ganz eigenständigen und einmaligen Menschen auszeichnet. Die menschliche Person ist mehr als das individuelle Genom: Es geht beim Person-Sein vor allem um die Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu den anderen, zur Welt sowie seinem Stehen im Gesamthorizont des Seins. Deshalb kommen hier Geisteswissenschaften wie Philosophie und Theologie ins Spiel. Denn sie reflektieren unter anderem Fragen nach dem menschlichen Geist mit seinem Selbstbewusstsein, nach seinem Du als Gegenüber oder ganz allgemein nach dem Sinn des Lebens, nach der Bedeutung von Ereignissen, von Endlichkeit, Leid und Krankheit.

      Die Geisteswissenschaften wenden sich den individuellen Biografien zu mit der Frage, wie der Einzelne seine einmalige Identität findet, seine Wahrheit, seine ganz eigene Berufung. Diese kann nicht in der gleichen Gestalt erneut auftreten oder im Experiment nachgebildet werden, der Verlauf kann auch nicht vorhergesagt werden. Kurzum: Eine moderne Medizin steht aufgrund neuester Erkenntnisse vor der Herausforderung, das Verallgemeinerbare sowie das Einzelne und Unvergleichliche zusammenzudenken. Dazu braucht es eine neue Wissenschaftstheorie, die beides verbindet.

      Philosophie und Theologie versuchen über die naturwissenschaftlichen Erklärungen hinaus die Phänomene dieser Welt zu verstehen. Bisherige Modelle der naturwissenschaftlichen Medizin wollten Krankheiten vor allem erklären. Der Theologe und Philosoph Wilhelm Dilthey hat diesen Unterschied von „Erklären“ und „Verstehen“ ausführlich beschrieben.5 Naturwissenschaften und auch die naturwissenschaftliche Medizin versuchen, Theorien über die Wirklichkeit und über Krankheiten aufzustellen und diese dann durch Experimente zu bestätigen. Sie wollen Einzelaspekte der Wirklichkeit in ihrer Kausalität erklären, um die Erkenntnisse in allgemeine Gesetze zu fassen. So können Krankheiten genauer erforscht und Therapien entwickelt werden. Der Vorteil ist die Verallgemeinerbarkeit, der Nachteil die Gefahr der Vernachlässigung des Einzelnen.

      Psychologie, Psychosomatik, Psychoonkologie und Psychoneuroimmunologie betrachten bereits die Biografie des Erkrankten mit seinen Ängsten, Prägungen, zwischenmenschlichen Beziehungen, Gefühlen, Erleben oder auch bestimmten Charaktereigenschaften. Diese Einzelbiografien werden nach wissenschaftlichen Parametern mit anderen verglichen. In der Psychoonkologie versucht man so herauszufinden, ob bei verschiedenen Individuen bestimmte Lebensgewohnheiten, Charaktereigenschaften, Ängste oder andere innerseelische Vorgänge vermehrt zu Krebserkrankungen führen. Es geht dabei um eine Verallgemeinerung des Individuellen.

      Philosophie und Theologie wenden sich in diesem Kontext ganz dem Einzelnen in seiner Unvergleichbarkeit und Personalität zu. Phänomene wie Individualität, Subjektivität, Personalität und Intentionalität (Zielgerichtetheit), Einmaligkeit, Liebe, Vertrauen, Treue sowie Fragen nach dem Absoluten und nach Gott werden reflektiert. Aus rein naturwissenschaftlicher Sicht sind diese Zugänge – weil sie nicht messbar und nicht im Experiment wiederholbar sind – in diesem Sinne nicht existent. Nimmt man sie jedoch aus dem wissenschaftlichen Diskurs heraus, kann man den Menschen nicht in seiner Ganzheit erfassen. Gerade für eine moderne „personalisierte Medizin“ geht es um die Hereinnahme dieser ganz individuellen Aspekte menschlichen Lebens.

      Denn um die komplexen Phänomene von Krankheiten zu erfassen, bedarf es gerade heute einer komplementären Zugangsweise aus Geistes- und Naturwissenschaften sowie einer transdisziplinären Forschung, die von Anfang an die Fächer miteinander verknüpft. Denn der Mensch ragt durch seine Geistexistenz über die Erkenntnisse der Naturwissenschaft hinaus. Er ist immer schon – wie es der Philosoph Hegel formuliert hat – als Wesen des Geistes über die Endlichkeit hinaus. Er kann das Relative und Endliche nur deshalb als relativ und endlich erkennen, weil er schon im Raum des Absoluten steht. Allein, was oder wer dieses Absolute ist, kann er nicht genau wissen. Daher stellt der Mensch Fragen nach diesem Absoluten, nach dem Sinn seines Lebens, nach dem Sinn der Welt,

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