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hatten und fahren durften. Eine tolle Sache, empfand Konrad. Er konnte sich kaum von der Kreuzung trennen. Aber auch andere, interessante Dinge warteten auf ihn.

      Auf dem Nachhauseweg befand sich eine Kohlenhandlung mit angeschlossenem bäuerlichen Betrieb, oder umgekehrt. Einzig und allein die beiden Pferde des Betriebes hatten es Konrad angetan. Diese beiden Zugtiere mussten für die Kohlenhandlung, sowie für den bäuerlichen Betrieb die wichtigste Arbeit leisten.

      Meist sah Konrad die Pferde nur, wenn sie angespannt waren, entweder um Kohlen auszufahren oder um bäuerliche Arbeiten zu verrichten. Auf dem Bock saß der Chef persönlich, der Kohlenhändler und Bauer Albert Gericke, ein drahtiger alter Mann, der beim Atmen immer die Backen aufblies, wie ein Fisch die Kiemen, fand Konrad, wenn er den Mann beobachtete. Manchmal saß ein Junge in Konrads Alter neben Herrn Gericke auf dem Kutschbock. Wie beneidete Konrad ihn. Er war davon überzeugt, dass der Junge ein Verwandter von Gericke sein müsse, was aber nicht stimmte. Irgendwann kam Konrad mit ihm in Kontakt. Er hieß Helmut und wohnte mit seiner Mutter und mehreren Geschwistern in dem Wohn- und Geschäftshaus der Firma Gericke.

      Konrad war am Tor der Firma Gericke angelangt. Es stand offen, die Pferde waren draußen. Nicht weit vom Hof entfernt verlief die Eisenbahnstrecke Halle-Sorau. Der Obere Bahnhof des Ortes hieß ursprünglich Sorauer Bahnhof, obwohl er eigentlich nur ein Haltepunkt war, allerdings mit einem schönen Bahnhofsgebäude im romanischen Stil. Interessant für Konrad war vor allem der Rangierbahnhof der oberen Bahnstrecke. Hier schnaufte Tag und Nacht die Rangierlok der Baureihe 94, wie Konrad schon lange wusste. Wenn er in seinem Wohnhaus auf dem Klo, welches sich auf der Treppe des Mehrfamilienhauses befand, saß, konnte er die Bahnstrecke, sowie das Ausziehgleis des Bahnhofs sehen und die Eisenbahn hören, Tag und Nacht. Vor allen nachts, wenn sich ein Güterzug mit bis zu sechzig Waggons durch den Bahnhof quälte, lag Konrad lange noch wach in seinem Bett. Hinzu kam dann der Rangierbetrieb mit dem andauernden Pfeifsignalen zum Abstoßen und Anhalten.

      Damals liebte Konrad den Bauernhof wesentlich mehr als die Eisenbahn, vor allem, weil es da die Chance gab, etwas zu essen zu bekommen. Plötzlich tauchte ein Fuhrwerk auf, beladen mit Kohlen. Die Kohlen bekam die Firma Gericke per Eisenbahn geliefert. Auf einem entsprechenden Anschlussgleis wurde zu einer xbeliebigen Tages- oder Nachtzeit ein kurzfristig avisierter Waggon mit Briketts bereitgestellt. Dieser musste innerhalb einer bestimmten Frist vom Empfänger, also der Firma Gericke, entladen werden. Von so einer Entladung kam wahrscheinlich das Fuhrwerk an dem besagten Tag. Helmut saß neben Herrn Gericke auf dem Bock. Wie hat ihn Konrad beneidet. Vor der Hofeinfahrt hielt Herr Gericke das Gefährt an, stieg ab und begab sich ins Haus. Derweil blieb Helmut auf dem Bock sitzen und hielt voller Stolz die Zügel in der Hand. Kurz danach erschien Herr Gericke mit einigen Papieren in der Hand wieder und schwang sich auf den Bock, übernahm die Zügel von Helmut und beide fuhren davon, um offensichtlich eine Fuhre Kohle an einen Kunden auszuliefern. Sehnsüchtig sah Konrad dem Gespann hinterher.

      Um die nächste Ecke befand sich die Sackgasse, in welcher Konrad wohnte. In dieser Sackgasse standen genau acht Mehrfamilienhäuser. Am Abschluss dieser Straße befanden sich einige Eisenbahnergärten und gleich daneben verliefen die Rangiergleise des Oberen Bahnhofs.

      Konrad bog in seine Straße ein und erreichte kurz danach sein Heim. Dieses befand sich im Mehrfamilienhaus seiner Großmutter Amanda. In diesem Haus wohnte die gesamte Familie seiner Mutter – ein Wahnsinn. Konrad kannte es nicht anders.

      Die Oma Amanda hatte sechs Kinder. Fünf davon, einschließlich Ehepartner und Kinder, wohnten in diesem Haus. Eins davon war die Mutter von Konrad sowie zwei weiteren Geschwistern, und diese wohnten im ersten Stock des Vorderhauses. Es gab noch ein Hinterhaus, in welchem im zweiten Stock Tante Hilde, die zweitälteste Tochter von Oma Amanda, mit ihrem Ehemann Erich, Sohn Wilfried und Tochter Rita wohnten. Konrad bewunderte seinen Onkel Erich, denn der war Boxer. An den Wochenenden boxte er meist um ein Brot als Siegprämie. Damit war seine Familie erst einmal versorgt. Tante Hilde, seine Ehefrau, war immer dabei, wenn Erich boxte. Für das kleine Nest war das immer ein besonderes Ereignis. Onkel Erich wurde immer berühmter. Später gründete er sogar einen Boxklub in der Stadt, mit zunehmendem Erfolg. Konrad bewunderte ihn.

      Desgleichen dessen Sohn Wilfried, welcher fast zehn Jahre älter als Konrad war. Als Boxer zu feige, aber gegenüber Schwächeren der Größte. Wilfried bekam von seinem Vater alles: einen echten Lederfußball, Skier, Fahrrad, Karl-May-Bücher usw. usw. Wenn Willi mit seinem mit Schuhcrem gewichsten, steinharten Fußball auf der Straße auftauchte, haben wir Stifte uns schleunigst verkrümelt.

      Einmal hat er Konrad dazu bewegt, sich ins Tor, das war das Eingangstor des Hauses, zu stellen. Willi läuft Anlauf und schießt, Konrad vergeht vor Angst, der Ball kommt geflogen, aber nicht aufs Tor, sondern ans Fenster von Oma Amanda. Konrad fühlt sich gerettet. Willi haut ab. Amanda taucht mit einem Knüppel bewaffnet auf und jagt ihm nach. Natürlich kriegt sie ihn nicht, was bei allen anderen Kindern unbändige Heiterkeit auslöst. Amanda kehrte fluchend zurück. Konrad musste das kaputte Fenster zum Glaser zur Reparatur bringen.

      Amanda hatte viele Enkel im Haus. Da waren die beiden erstgenannten. Konrad hatte noch einen großen Bruder und eine ältere Schwester. Des Weiteren gab es noch die zwei Söhne von Tante Edeltraut, Heinz und Dieter (Dille). Dille war ein Jahr jünger als Konrad und meist dessen Spielkamerad. Heinz war der ältere Bruder von Dille. Konrads Bruder Günter und Heinz waren auch fast gleichaltrig und hielten zusammen gegen Willi. Willi war überall unbeliebt – ein brutaler Kerl, von allen gefürchtet und gehasst.

      Eigentlich hassten sich alle untereinander in dem Familienhaus der Oma Amanda, der Erbengemeinschaft Wirt. Nur die Mutter von Konrad war der ruhende Pol, bei ihr heulten sich alle aus, außer Amanda, die schimpfte nur, einmal auf diesen, einmal auf jenen.

      Da waren auch noch zwei Onkel von Konrad im Haus. Der eine Onkel, Harry, war ein Erfolgsmensch und Glückspilz. Kam im Krieg beizeiten in amerikanische Kriegsgefangenschaft nach USA-Texas und kam von dort, dick und fett gemästet, nach Kriegsende nach Hause. Dem jüngeren Onkel, Rudi, ging es im Krieg irgendwo in Griechenland auch gut und er kam nach Kriegsende auch wohlbehalten wieder nach Hause.

      Bloß Konrads Vater hatte es böse erwischt. Der kam als Krüppel aus dem Krieg zurück, beide Füße hatte er verloren, erfroren. Damit war der Leidensweg in der Familie Konrads vorprogrammiert. Schwerkriegsbeschädigt, das heißt keine Rente in der DDR, sondern leichte Hilfsarbeit für wenig Geld anzustreben. Wobei es in dieser Zeit ohnehin zu wenig Arbeit gab, vor allem für Kriegsversehrte.

      Dann hatte Konrads Vater doch Arbeit in der örtlichen Schokoladenfabrik gefunden. Wenn er in der Schule oder auch von seinen Freunden gefragt wurde, was sein Vater sei, sagte er immer Schokoladenmacher. Irgendwie stimmte es ja auch.

      Die Mutter war Hausfrau und ergänzte die schmale Haushaltskasse mit Nähen. Die Überlebensgrundlage der Familie bildete der Schrebergarten. Dieser befand sich innerhalb einer großen Gartenanlage „Am Wasserturm“, zirka fünf Minuten Fußweg von zu Hause entfernt. Für die Mutter war das Fahrrad das wichtigste Verkehrs- und Transportmittel. Es war ein Vorkriegsmodell und hatte schon viele Jahre auf dem Sattel. Dahinter war ein riesengroßer Gepäckträger angebracht. Bis zu einem bestimmten Alter wurde Konrad auf diesem in den Garten gefahren. Heimwärts musste er meist laufen, da der Gepäckträger dann Erntegut und anderes tragen musste. Für Konrad war es immer ein herrliches Erlebnis, wenn er auf dem Gepäckträger, welcher mit einer alten Decke etwas abgepolstert wurde, saß und die Welt an ihm vorüberflog. Zu schnell war die Fahrt immer vorbei. Die Gartenanlage befand sich praktisch auf der anderen Seite der bereits beschriebenen Eisenbahnstrecke. Die Querung der Strecke erfolgte für Fußgänger mittels einer kleinen Unterführung, der sogenannten Mausefalle. Radfahrer mussten vorher absteigen und laufen. Für Konrad war das das Zeichen, dass der Garten gleich erreicht war. Es war der erste Garten im ersten Gang der Anlage. Deshalb war er auch etwas größer als die anderen Gärten, nämlich siebenhundert Quadratmeter. Die anderen maßen nur sechshundert. Für einen Schrebergarten galten die Gärten als groß und der von Konrads Eltern als sehr groß, was Konrads Mutter aber nicht genügte, denn abwechselnd bearbeitete sie noch ein kleines Feld an der Berliner Bahnstrecke und eins am Werkstättenteich. Manchmal bearbeitet sie auch

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