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wo sich außerhalb der akademischen Institutionen der subkulturelle Fußball zu einer organisierten Spielform entwickelt hat. 1857 wird in der Stahlstadt am Fuße der Pennines der Sheffield F.C. gegründet, der erste nicht-universitäre Klub. Im selben Jahr notiert man die Sheffield Rules –»A ball in touch is dead ...« (Regel 10) –, zwei Jahre später werden sie gedruckt – der großen Nachfrage wegen. Bald tummeln sich in Sheffield über 17 Klubs. Allein, auch diese Regeln erwähnen weder die Umpires noch den Referee.

      Auch in London und Umgebung pflegen mehr als zwei Dutzend Teams vorwiegend aus ehemaligen Schülern der Public Schools irgendeine Variante des Fußballspiels. Fuball a la Rubgy, Fußball nach Cambrigde Art, Fußball wie man ihn in Winchester spielt, etcetera pp. Gegeneinander anzutreten ist ziemlich kompliziert. Eine Möglichkeit sich zu arrangieren heißt: erste Halbzeit diese, zweite Halbzeit jene Regeln. Oder man vereinbart den Regeltausch jeweils für das Hin- und Rückspiel.

      Ein Irrwitz. Der Regelirrgarten blockiert das Miteinander des Gegeneinanders und ... ähem, wäre der Schiedsrichter – Fairplay hin oder her – nicht vielleicht doch eine gute Idee? Ein Standard ist gefragt, eine Uniform. Es wird Zeit, es zu versuchen.

       Fortsetzung im Kapitel »Von der Seitenlinie ins Rampenlicht«

      »Ja, aus den Augen, aus dem Sinn.«

       Johann Wolfgang von Goethe: Faust,

       der Tragödie erster Teil

      »Ich kann den Blick nicht von euch wenden, ich muss euch anschaun immerdar.«

       Ferdinand Freiligrath: Die Auswanderer

      Nur ein unauffälliger Schiedsrichter ist ein guter Schiedsrichter. So lautete jahrzehntelang das Credo der Zunft. Damit ist es lange vorbei. Heute steht der Referee im Flut- und Rampenlicht. Er steht dort gern und auch gut. Nicht nur, weil »manche Vorkommnisse auf dem Rasen es erfordern, ›auffällig‹ zu werden und mit Strenge und Unnachgiebigkeit markante Entscheidungen zu treffen« (Rainer Moritz). Ein gänzlich unauffälliger Schiedsrichter kann für heillose Verwirrung sorgen. Wie Hellmut Krug, der einmal eine Halbzeit lang einfach nicht zu orten war. Kollege Hans Rößlein schrieb ihm einen geharnischten offenen Brief.

      »Sonntagabend, ich schalte den Fernseher ein. Das Bundesligaspiel Hertha BSC – Hansa Rostock wird aus dem Berliner Olympiastadion übertragen. Doch was muss ich sehen? Ich glaube, ich traue meinen Augen nicht, denn das Spiel wird ohne Schiri durchgeführt. Erst nach ein paar Minuten konnte ich feststellen, dass dem nicht so ist: Deutschlands Spitzen-Referee Hellmut Krug leitete diese Partie mit seinen Assistenten, allerdings in der gleichen Farbe – rot! – wie eine der spielenden Mannschaften. Diesen Fehler hat er erst später bemerkt und sich in der Halbzeitpause umgezogen. Siehe da, plötzlich hat man das Schiri-Team bemerkt. Selbst der Reporter hat dies mehrmals erwähnt, dass der Schiedsrichter jetzt zu sehen ist. Ich frage mich: was hat das Team vor dem Spiel gemacht? Der DFB stellt seinen Schiris sämtliche Farben zur Verfügung, um diese auch zu tragen (und dabei zu haben). Hier wurde die Sorgfaltspflicht und die Aufgabe vor dem Spiel – Kontrolle der Spielkleidung – nicht beachtet.

      Ich meine: Gelb-Rot, Herr Krug! Und mindestens zwei Spiele weniger. Und nicht zuletzt: Das ganze Team zum Sehtest!«

      Zur Ehrenrettung von Hellmut Krug muss gesagt werden, dass er auch in Halbzeit eins alles Wesentliche, darunter zwei Tore von René Schneider und Ali Daei und ein Eigentor von Uwe Ehlers (Endstand 5 : 2), tadellos im Blick hatte.

      »Jedermann kennt uns aus den neunzig Minuten eines Spiels, doch wer weiß schon, wer wir sind, was wir tun, was wir denken, wenn wir nicht auf dem Spielfeld stehen?«

       Pierluigi Collina

      »Was der Mensch nicht aus sich selbst erkennt, das erkennt er gar nicht.«

       Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion

      »Markus fliegt mit 14 Jahren aus der Mannschaft, weil der Vater eines Mannschaftskameraden unmittelbar vor dem Spiel für seinen eigenen Sohn erfolgreich Lobbyarbeit beim Trainer betreibt. Tief gekränkt schmeißt er die Brocken hin. Sauber und ordentlich, wie er es daheim lernte. Er legt das Trikot ein letztes Mal zusammen. Im nächsten Sportgeschäft hätten sie es nicht besser können, pedantisch gerade liegt das Ding da, wie ein Mahnmal des Aufstandes. ›Trainer, das war es‹, sagt er wütend und stapft davon. Vater Merk ist mächtig sauer. Er wollte einen Wettkämpfer, nun hat er einen Sohn, der Schiedsrichter wird.«

      So hat es Dr. Markus Merk aufnotieren lassen vom Journalisten Oliver Trust in seiner Autobiografie Bewegend der Mit- und Nachwelt zum Nutzen und Frommen. Und fürwahr, liegt nicht in diesem Anfang, im Trotz und Aufbegehren des gedemütigten Kindes, schon alles begründet, was den späten, den »Weltschiedsrichter« Merk ausmachen wird? Jawohl, es liegt: nämlich »das Entscheiden, das Auftreten, das Vermitteln von Entschlussfähigkeit« genauso wie die Gabe, »das, was ich tue, gut zu präsentieren«. Bald würde der Schrillton seiner Pfeife Stadien und Fan-Gemüter erschüttern, »bald würden sie ihm nachbrüllen und ihn für ihr Unglück verantwortlich machen. So als habe er sie um Haus und Hof gebracht, mit einem einzigen fahrlässigen Pfiff.«

      Doch das wird ihn nicht jucken. Nicht einen wie Merk, der aufwächst »300 Schritte« vom Betze, vom Fritz-Walter-sein-Berg, entfernt, in der »22-qm-Küche«, wo »die gesamte Einrichtung in Rot« leuchtet wie das Trikot des FCK und der Bub »seinen Helden mit der Pfeife« serviert auf des Vaters Geheiß an jedem zweiten Samstag »Sprudel, ein Bier, Pfälzer Wein oder ein Glas Sekt, pfälzische Hausmannskost und ein herzhaftes Bauernbrot«. Denn siehe, der Vater, »ein herzensguter Mensch«, ist auch ein Unparteiischer und zugleich ihr Betreuer, wenn der DFB welche schickt, die schiedsen sollen die Roten Teufel. »In diesen Tagen wächst ein Pflänzchen in Markus«, so erzählt die Mär. Es muss nur noch entdeckt werden. Und so geschieht es. Eines Tages hockt Albert Dusch in der Küche, der genannt werden muss »in einem Atemzug mit Größen wie Gottfried Dienst, Rudolf Kreitlein, Kurt Tschenscher und Kenneth Dragnall« (Gotthard Dykty), und er lässt das unbestechliche Referee-Auge ruhen auf dem Knaben mit Wohlgefallen, denn er spürt dessen »unermüdliches Streben nach Perfektion« (Oliver Trust). Und wie er strebt! Klein Merk liest abends »nicht Karl May, sondern das Regelwerk«, staunt der Vater und staunt bald noch mehr, als der es aufsagen kann »Wort für Wort. Punkt für Punkt. Wie ein Automat, programmiert von den Schöpfern der Regeln«.

      So kommt Markus Merk unter die Schiedsrichter. Dort sind schon Michael Prengel und Hellmut Krug, welche ebenfalls in sich tragen das Erbe der pfeifenden Väter. Andere verschlägt ein kaputtes Knie, ein gerissenes Kreuzband zur Schiedsrichterei. Wieder andere, unsportliche, gibt es, für die ist »der Ball ein Würfel« (Buffy Ettmayer), weshalb sie besser ablassen vom aktiven Fußballspiel. Da gibt es gleich »ein paar von der Sorte« (Wolf Günther Wiesel). Der DFB nimmt sie alle, denn an guten Referees herrscht Mangel immerdar. Aber egal, was diese und jene an-, um- und letztendlich zur Pfeife treibt, wer hinein will ins »Stahlbad Bundesliga« (Eugen Strigel), in die »Elite der Unparteiischen« (Volker Roth), der muss »alles – auch Familie und Beruf – unterordnen der Schiedsrichter-Tätigkeit«, denn merke: »Die Basis aller Schiedsrichter ist die Heimat-Gruppe« (DFB-Schiedsrichterhandbuch).

      Dort muss er nicht leben wie ein Mönch, doch bedenken, »dass sich die Interessen zweier Partner in der Ehe entsprechen sollten«. Eine »Allgemeingültigkeit«, die Dieter Pauly viel zu spät aufging und sich verhängnisvoll paarte mit der Erkenntnis, dass Frau Pauly die »Liebe zum Fußball« weder teilen, noch »auf Dauer tolerieren« konnte. Anderseits, wie sollte er sowas ahnen, Pauly war ja nie zu Hause. Wenn er »nicht als Schiedsrichter unterwegs war«, besuchte er »Stadien oder saß vor dem Fernseher, um Anschauungsunterricht zu nehmen. Wurde gerade nichts dergleichen geboten, so stand garantiert ein Lehrabend für Schiedrichter auf dem Programm.« Die Ehe wurde nach elf (!) Jahren geschieden. Schiedsrichterfrauen

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