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und gewann 1 : 0. Trotzdem hatte der Elfmeter eine tragische Pointe. Er hätte den Regeln gemäß wiederholt werden müssen. Stattdessen gab Yoshida Freistoß für Bahrein, das heißt, er machte einen »technischen Fehler«, welcher gemäß der FIFA-Regeln die Neuansetzung des Spiels zwingend nach sich zog. Diesmal trennte man sich 1 : 1. Da Usbekistan im Rückspiel nicht über ein 0 : 0 hinauskam, schied das bitterarme und auch sonst hinreichend gebeutelte Land aus und fiel Monate lang in Depression. Schiedsrichter verstehen es wirklich, ihre Mitmenschen unglücklich zu machen.

      Die Süddeutsche Zeitung kreierte daraufhin den Schmäh des »Usbeken-Schiris«, nicht ohne süffisant anzumerken, dass sich diese »Unterart des Tomaten-Schiris wie im Fall Robert Hoyzer als etwas ganz anderes entpuppen kann«.

      Sagen wir es frei heraus, das Image des Referees gleicht einem Werk des Höllen-Breughel. Gestikulierend wie ein Fluglotse auf LSD, die Backen aufgeblasen zum finalen (oft millionenschweren) Pfiff, wirft er die Beine, die meist viel zu dünn aus kurzen Hosen ragen, über den Rasen, stets auf Ballhöhe, aber selten im Bilde. Und nun soll er auch noch bestechlich sein. So hängt sein Porträt in der Galerie des öffentlichen Bewusstseins. Und doch und doch, »das Bild hängt schief.« (Loriot)

      Ist es nicht bemerkenswert, dass alle Versuche, die Machtfülle des Unparteiischen durch den zweiten Schiedsrichter oder technische Neuerungen wie den Videobeweis zu objektivieren, zumindest in Europa von großer Skepsis, ja, man darf ruhig sagen, von abgrundtiefem Misstrauen begleitet werden. Mutet es nicht noch erstaunlicher an, dass sich »zur Freiheit verdammte« Individuen (Jean Paul Sartre) stetig murrend, aber letztlich doch ungezwungen der Epiphanie und Hybris einer Kaste unterwerfen, deren Sozialprestige nie so recht über den Status des Hanswursts, Spielverderbers und Blindgängers hinausgekommen ist? Wie kann das sein? Diesen Widerspruch vermochten bislang auch die gewieftesten Dialektiker nicht aufzuheben.

      Ist es die Einsicht in Henri Bergsons Diktum, der reine Gedanke des Spiels und der gesunde Menschenverstand seien einander grundsätzlich wesensfremd? Ist es Shakespeares »Tollheit, die Methode hat«? Gehört der Schiri schlicht zur »Urgeschichte der Moderne« (Walter Benjamin), wo sich die »Gier nach den Sensationen der neuesten technischen Errungenschaften« paart mit einer »Sehnsucht nach der ewigen Wiederkehr alles Gleichen«? Oder verkörpert der Unparteiische das unter den Verwerfungen der Globalisierung fast versunkende Ideal des bürgerlichen Helden, der, einmal vom Schicksal aus der Alltäglichkeit gerissen (und sei’s auch nur für 90 Minuten), fähig ist, über sich hinauszuwachsen, und allen Fährnissen trotzt? Ob es ihm gedankt wird oder nicht.

      Über diesen Typus heißt es in Western-Kino – Geschichte und Mythologie des Western Films: »Er ist ein Mensch, dem oft Übermenschliches aufgegeben ist. Zugleich ist er aber auch ein normaler Mensch, jemand, der nichts besonderes sein will, der lebt wie die anderen, nur gefährlicher und glanzvoller.« (Georg Seeßlen/​Claudius Weil). Dafür spricht nicht nur die Reportage von Susanne Frömel. Sie hat für die Zeit ein Schiedsrichter-Seminar besucht und traf Menschen, die »korrekt und ernst sprechen«, »Menschen, die es gern ordentlich haben, die Regeln mögen. Das ist so der Eindruck.« Dafür spricht auch, dass der Westerner wie der Unparteiische »die Mission hat, Gesetz und Ordnung zu bringen«. Dabei ist er, abgesehen von seinem treuen Ross, ganz allein auf sich gestellt. Der Unparteiische hat nicht mal ein Pferd, nur seine Pfeife.

      Das Rollenmodell heißt: Ein Mann gegen den Rest der Welt. Wie Clint Eastwood (Dirty Harry) oder Gary Cooper (High Noon) erledigt der Referee die Schmutzarbeit, den Job, den sonst keiner machen will. Auf dieser Schiene stilisiert der DFB-Schiedsrichterausschuss seine Kombattanten neuerdings zu Heroen der Volkshygiene. »Die Gesellschaft«, philosopiert der Vorsitzende Volker Roth, »braucht offensichtlich jemanden, den sie für Fehlentwicklungen oder solche, die sie dafür hält, verantwortlich machen kann.« Im Fußball sei das eben der Schiedsrichter, weil ihm »die Spielregeln alle Macht übertragen haben«. Zum Beweis zählt Roth auf, was ein Referee außer Pfeife, Block und Karten so alles über das Spielfeld schleppen muss: »den Polizisten«, »den Staatsanwalt«, »den Richter« und »den Vollzugsbeamten«. Anders ausgedrückt: er ist »Judge Roy Bean«, jener selbsternannte Richter aus Vinegaroon, Texas, der ebenfalls verhaftet, aburteilt, und vollstreckt, obendrein das Gesetz auf höchst eigenwillige Weise interpretiert. Strafe für Whisky-Diebstahl: der Galgen. Strafe dafür, dass der Richter keine Prozente vom Bankraub kassiert: der Galgen. Strafe für die Beleidigung der Schauspielerin Lillie Langtry: Erschießen. Und dann der Galgen.

      In John Hustons Spät-Western-Klassiker von 1972 gab Paul Newman den Judge, und das Publikum hat ihn gemocht. Sein Roy Bean ist machthungrig und raffgierig, bauernschlau und skrupellos, er ist auf krude Weise rechtschaffen und auf Trinkerart melancholisch. Seine blinde Verehrung für die Langtry hat unübersehbar masochistische wie unbefleckt idealistische Züge. Er gäbe einen exzellenten Schiedsrichter ab. Genau wie Henry Fonda alias Wyatt Earp (My Darling Clementine), ein Mann, der in olympischer Ruhe über alles erhaben ist, »nur über seine Eitelkeit nicht« (Joe Hembus).

      Wo solche Heroen walten, sind meist auch die Faktoten nicht weit. Im Western heißen sie Doc Hollyday, Sam Hawkins, Festus Haggen oder Hop Sing, auf dem Fußballplatz einfach »Linienrichter«. Pardon, so darf man ja nicht mehr sagen, seit der DFB ihnen Titel und Würde genommen hat. Jetzt heißen sie »Assistent«. Und als solcher, gestand ein Assistent Zeit-Reporterin Frömel, »ist man immer nur der Depp an der Seitenlinie, der mit der Fahne wedelt und sich von den Mannschaftsbänken beschimpfen lässt«. Ihr Artikel trug den sinnigen Titel »Traumberuf Randfigur«. Damit wäre das filmreife Schiedsrichtergespann komplett. Es kann losgehen.

      Uuund Aktion! Die Männer überprüfen das Funkleitsystem, den Sitz des Schuhwerks, wechseln einen letzten entschlossenen Blick. Dann gibt der Unparteiische das Kommando und raus geht’s in die Arena. Er weiß, da draußen liebt ihn niemand, aber er kann nicht wissen, was ihm blüht. Ärger oder Anerkennung? Stress oder ein ruhiger Nachmittag? Schiedst er jedoch in der Bundesliga oder international, ist ihm eines schon vor dem Anpfiff sicher: Prominenz, ein gesellschaftliches Gut, das heutzutage selbst dem größten Referee-Verächter Respekt abnötigt.

      Zu Verbündeten werden ihm dabei ausgerechnet die ärgsten Plagegeister der Schiedsrichterinnung. Sie wohnen im Ü-Wagen von ARDZDFPREMIEREDSFRTLSAT1 und sezieren jede seiner Entscheidungen im Jargon unwiderlegbarer Eigentlichkeit. Aber niemand geht, rennt, grimassiert dabei so oft durchs Bild wie der Unparteiische. Ob er gut pfeift oder schlecht, ist erst einmal Nebensache. »Wer ›herauszutreten‹ plant, wer ›hervorragen‹ und zur ›Prominenz‹ aufsteigen will, muss dafür sorgen, dass seinen Handlungen ein Maximum an Aufmerksamkeit geschenkt wird«, beschreibt der Kulturphilosoph Thomas Macho den Imperativ der Mediengesellschaft. Es gehe darum, »möglichst häufig und eindrücklich gesehen zu werden, und zwar auch dann, wenn die Steigerung eigener Sichtbarkeit keine erhöhte Übersicht mehr gestattet.«

      Dieses Verhaltensmuster ist allen Trabanten, die um den Fußball kreisen, zur zweiten Natur geworden. Der mediale Imperativ gebar die werbetreibende »Lichtgestalt Collina« (Stern) und Dr. Markus Merk, den »Wissenschaftler der schnellen Entscheidung« (Klappentext Bewegend), er gebar Tor-Salti und -sägen (Miro Klose, Stefan Kunz) und den Eckfahnen-Samba (Roger Millar), er gebar den DFB-Börsen-Sprech (»Leistungsprofil«, »Coaching«, »Aktionsoptimierung«), den Pfiff des Tages (ZDF-Sportstudio) und die semantische Müllkippe der Krombacher Runde (DSF), er gebar die Fanblockade vor dem Stadion, und er beschwört regelmäßig jene Schiri-Szenen herauf, die uns in Tischkanten beißen und in Entsetzensstarre fallen lassen: den dubiosen Elfmeter in der Nachspielzeit, die lächerliche rote Karte, welche das Ballgenie zum Gartenzwerg schrumpfen lässt, das herrische Paradieren vor Freistoßmauern, das Abseits, das eigentlich nur ein Maulwurf ignorieren darf.

      Das Gieren nach Großaufnahmen ist nicht schön, wirkt auch wenig kompetent. Aber ohne sie wäre der Fußball nicht das, was er ist: zeitgemäß. Nämlich Event, medial zugerüstetes Drama, Family-Entertainment, die heißeste Ware unter der Sonne. Es gilt der erste protokapitalistische Leitsatz: Qualität ist gut, Aufmerkamkeit alles. In der Wirtschaft wie in der Politik, im Showgeschäft wie im Sport und überhaupt. So sind die Zeiten, so läuft das Spiel, so ist die Welt gemacht. Und wir sitzen gewöhnlich in der ersten Reihe und konsumieren den narzistischen Sündenpfuhl mit voyeuristischer

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