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      Jimmy zog den einzelnen Schlüssel aus seiner Tasche und schloss auf. „Bitte schön.“ Er trat beiseite, um Keith und Lisa Marie den Vortritt zu lassen. Im Chor verliehen sie ihrem Staunen Ausdruck.

      Jimmy blieb in der Tür stehen. Die Gefühle saßen ihm dick und rau in der Kehle. Es fühlte sich an, als sei es gestern gewesen, dass er sie hierhergebracht hatte. Es hatte geschneit, die ganze Welt war weiß und leise gewesen. Die Welt hatte sich nur für sie gedreht.

      Lisa Marie sah zu Jimmy hin und hielt ihr Telefon hoch. „Stört es Sie, wenn ich ein paar Fotos mache?“

      Er schüttelte den Kopf. Wenn er das hier verkaufen wollte, sollte er besser loslassen und sie ihren Job machen lassen.

      „Die Handwerkskunst …“ Lisa Marie zielte auf die gewölbte, offene Balkendecke, die Steinwände und den Schieferboden und schoss ein Foto nach dem anderen. „Haben Sie die Steine selbst gehauen?“

      Jimmy nickte in Richtung des Teils der Steinmauer, den er aus dem kleinen Vorraum sehen konnte. „Jeden einzelnen.“ Und jeden einzelnen hatte er auch an seinen Platz gesetzt. Mit Freuden.

      „Das ist der Wahnsinn.“ Keith stand unter dem Buntglasfenster, das eine Szene mit Christus bei einer Hochzeit zeigte. „Wo haben Sie das her?“

      „Aus einer alten Kirche im Zentrum von Nashville. Die wurde während der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen.“

      Keith pfiff leise und versuchte beinahe zu sehr, Jimmy zu beeindrucken. Jimmy setzte sich in die letzte Bank auf der rechten Seite, rubbelte den Schmerz aus seinem bösen Knie und atmete tief ein.

      Das Licht des späten Morgens fiel durch die Kuppel auf den Boden der Kapelle, wo winzige Sonnenstrahlen sich zu breiten Lichtstreifen zusammentaten.

      „Coach, was hatten Sie denn mit diesem Gebäude vor?“

      Mein Mädchen heiraten. Der Gedanke hatte kaum seinen Verstand gestreift, als er es hörte. Das widerhallende Pochen eines Herzens. Bumbum-bum. So stark, so gründlich, dass Jimmy sich an der Bank festhalten musste und um Atem rang.

      „Ist alles in Ordnung bei Ihnen, Coach?“

      Jimmy nickte, rutschte aus der Bank, stand auf und ging zur Tür. Das Pochen … dieses widerhallende Pochen …

      Er musste hier raus. Fliehen. Wie war das möglich? Dieser Klang? Nach so vielen Jahren.

      „Jimmy … Mr. Westbrook?“ Lisa Maries Ruf folgte ihm durch die Kapelle.

      Das erste Mal, dass er das Pochen gehört hatte, war sechzig Jahre her gewesen. Es geschah an dem Tag, als Peg mit ihrem Jungen vorbeikam. Er hatte sich gefühlt, als wäre er in einer Episode von Geisterstunde gefangen. Oder als würde er einen verspäteten Anfall von Schützengrabenschock erleiden. Da war er erst zwei Jahre wieder aus Korea zurück.

      Aber der Klang war … echt. Viel zu echt. Zu nah. Er hallte in seiner Brust wider. In seinen Ohren. Und auf eine Weise, die Jimmy nicht erklären konnte, fühlte er sich lebensspendend an.

      Der Klang, woher er auch kommen mochte, gab ihm Hoffnung. Aber diese Hoffnung brachte nichts zustande, außer eben, dass er sich fragte, ob er den Verstand verloren hatte.

      Und er war ja in Korea gewesen. Hatte sich den Waffen des Feindes gegenübergesehen. Aber nichts machte ihm solche Angst wie der Klang eines pochenden menschlichen Herzen.

      Soweit er sich erinnern konnte, hatte er den Klang seit jenem Tag mit Peg nie wieder gehört. Jetzt, nach sechzig Jahren, war er wieder da?

      Draußen schluckte er Luft. Er war einfach zu alt für solche Mätzchen.

      Auf dem Hof schlossen Keith und Lisa Marie zu ihm auf. „Coach?“

      „Ihr könnt sie haben, wenn ihr sie kaufen wollt.“ Es war Zeit. Mit dreiundachtzig musste er sich von hartnäckigen, dummen Jungsträumen lösen, musste diesen Klang loswerden. Er wäre das beste Beispiel für einen verrückten alten Mann, wenn er nicht losließe.

      „Ja, wir wollen sie kaufen.“

      Ein bleischweres Gefühl durchströmte seine Brust. „Wie – wie sehen denn eure Pläne aus?“

      Lisa Marie sah zurück. „Ich habe keine Elektrizität gesehen …“

      „Gibt keine. Man muss Kerzen und Laternen nehmen.“

      „Ach du meine Güte“, seufzte sie und lächelte erst Keith und dann Jimmy an. „Das ist der romantischste Ort, den ich je gesehen habe. Keith, wir können das hier verkaufen.“

      „Coach, wir können das Objekt bis nächste Woche im Portfolio aufgelistet haben.“ Keith beugte sich zu ihm, rückte eine Spur zu nahe an ihn heran. Jimmy brachte ihn vorsichtig auf Abstand.

      „Jetzt mal ganz langsam, lasst mich darüber nachdenken.“ Vielleicht war ein Verkauf doch nicht so vielversprechend, wie er sich das vorgestellt hatte.

      „Reden Sie mit mir. Was wäre denn nötig, damit Sie verkaufen würden?“ Keith verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und wartete.

      Jimmy schob die Hände in die Hosentaschen, ging um die beiden dynamischen Makler herum und sah sein altes Mädchen, seine Kapelle, an. Sie war mal ein heiliger Ort gewesen, ein Ort der Versprechen und des Glaubens.

      Und doch stand sie nun hier. Still. Abgewiesen. Eine Hochzeitskapelle, in der nie eine Hochzeit stattgefunden hatte. Keine echte jedenfalls. Da war diese eine Nacht mit Colette, bevor er einschiffte …

      Jimmy grunzte und bezwang die Erinnerung. War das bei genauerer Betrachtung nicht alles ziemlich erbärmlich?

      Die Stunden, die er damit verbracht hatte, auf die Steine einzuschlagen. Die rotgoldenen Morgendämmerungen der Sommertage, an denen er mit einer Thermosflasche Kaffee und einer Tüte Donuts diesen Boden betreten hatte, das Herz voller Träume.

      Zwischen den Bäumen, in den Schatten versteckt, lauerten die Erinnerungen an die Stimmen, an den tiefen Bass und das Lachen seines Vaters, an das quirlige Geplapper von Clem – einem der besten Freunde, die ein Mann jemals hätte haben können.

      Erbarmen, jetzt traten ihm auch noch Tränen in die Augen, weil er den alten Knaben vermisste. Clem Clemson …

      Aber es war alles umsonst gewesen. Alles eitel und ein Haschen nach dem Wind …

      Er drehte sich um und sah sich Keith gegenüber. „Ja, okay, lasst sie uns an den Markt bringen.“ Da. Er hatte es gesagt. Laut gesagt. Was ihn anging, war das ein mündlicher Vertrag.

      Lisa Marie reckte die Faust in die Luft, und Keiths breites Grinsen sprach Bände.

      „Aber keine voreiligen Versprechen“, sagte Jimmy, der mit großen Schritten zur Tür ging, um sie abzuschließen, und nur den tröstlichen Schlag seines eigenen Herzens hörte. Nicht den, der hier herumspukte. Was war das nur? „Ich behalte mir das Recht vor, jeden Käufer abzulehnen. Und der Preis muss stimmen.“

      „Natürlich, natürlich. Das können wir machen, Jimmy. Wir werden diesen Ort hier behandeln, als hätten wir die Kapelle selbst gebaut.“

      Das war also erledigt. Keith redete über Papiere und Auflistungen, während Jimmy zum Auto ging und sich hinters Steuer setzte.

      „Ich melde mich“, sagte Keith.

      „Schön, schön, ihr wisst ja offenbar, wo ihr mich findet.“ Jimmy fuhr rückwärts den Weg hinunter, auf die Hauptstraße hinaus, und sein alter Rückenschmerz flammte wieder auf.

      Er versuchte mit aller Kraft, an nichts zu denken, als er zu Hause ankam, aber das Lachen und Spielen der Nachbarskinder fielen ihm ins Auge und weckten sein Herz.

      Er sah ihnen zu, wiegte den Schlüssel in der Hand, während er langsam zur Küchentür ging.

      Zu spät … Die Wahrheit prägte

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