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diese außer Neuerungssucht auch niedrige Sinnesart und minderwertige Arbeitsleistung.“17

      Die durch möglichen Güteraustausch und fremde Kaufleute hereingetragene „Reichtums-Versuchung“ wäre also eine viel zu große Gefahr für die Moral der Bewohner. Also wird für die ideale Polis auch ein Ort ohne Meereszugang gewählt, um den Seehandel fernzuhalten: „Denn indes die Meeresnähe dem Großhandel wie dem Kleinhandel Tür und Tor öffnet, erzeugt sie in den Seelen ein wetterwendisches und untreues Wesen und lässt in der Bürgerschaft den Geist der Treue und der Freundschaft gegen sich und die übrigen Menschen schwinden.“18

      Ebenso gefährlich wie der Handel ist das Wachstum der Bevölkerung. Denn Wachstum bedeutet auch Drang nach einem größeren Territorium, das Nachbarn oder Feinden mit Gewalt abgerungen werden muss: „So haben wir also die Entstehung des Krieges gefunden“19, sagt Sokrates nachdenklich. Die Gewalttätigkeit des Wachstums erfordert also eine Kriegerkaste: die Wächter.

      Dem pythagoräischen Vorbild folgend ist diese Elite eine Art strenge Ordensgemeinschaft. Wächter haben keinerlei Einkünfte, Eigentum ist ihnen verboten: „Was aber Gold und Silber anlangt, so muss man ihnen sagen, dass sie es von den Göttern als göttliches Gold in ihrer Seele haben und keines menschlichen außerdem bedürfen.“ Wächter unterhalten weder Ehe noch Familie und leben in gemeinsamen Unterkünften. Zudem gibt es eine „Weiber- und Kindergemeinschaft“, auf dass „Freunden alles gemein sein werde“. Dieses Bild entwirft Platon nicht aus „Lustgreiserei“, sondern zu Elitezuchtzwecken – es ist Rassenhygiene, die er anpreist.

      In Platons Staat rekrutieren sich aus den Reihen der Wächter auch die Lenker des Staates. Gut ausgebildete, dem Gemeinwesen verpflichtete Philosophen sollten es sein. Auch sie bleiben ohne Eigentum, „denn sonst gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten und auch nicht für das menschliche Geschlecht“20. Wieder zeigt sich Platons Ziel, jedes Erwerbsstreben von politischen Ämtern fernzuhalten. Doch auch die Vermögen der einfachen Bürger unterliegen im „Staat“ behördlicher Kontrolle und müssen ab einer bestimmten Höhe umverteilt werden. Auf geheimes Horten von Gütern steht strenge Strafe.

      Diese Eigentumskontrolle und Beschränkung entspringt nicht irgendeiner Willkür des Philosophen. Sie beruht auf tief greifenden Überlegungen zur Freiheit menschlichen Handelns: Eine Gesellschaft, die den Egoismus über alles andere stelle, bringe das Gemeinwesen zu Fall und ende zwangsweise in der Diktatur: „Es schwindet jede Achtung vor den Gesetzen, gleich ob geschrieben oder ungeschrieben, um ja keinen Gebieter, welcher es auch sei, über sich zu haben.“ Wo keine Gesetze gelten, gilt bald das Recht des Stärkeren: „Das also ist der schöne und herrliche Anfang, aus dem die Tyrannis herauswächst, wie ich glaube.“21

       Aristoteles: Harmonie gegen Untergang

      Wir wollen uns an dieser Stelle noch einmal das Bild der griechischen Gesellschaft in Erinnerung rufen. Dieses Gewimmel von hochintelligenten, künstlerisch über die Maßen begabten, streit-, spiel- und kriegslustigen Menschen, die zur Zeit der dionysischen Mysterienspiele auch in kollektive Raserei verfallen konnten; deren wichtigstes bürgerliches Kleinod die Redekunst und das Theater waren (und die für den Theaterbesuch auch noch vom Staat bezahlt wurden); Menschen, welche die Arbeit tendenziell als Strafe der Götter ansahen, und deren Götter ja auch nur dann selbst an die Werkbank traten, wenn es darum ging, einem Kollegen unter den Olympischen eins auszuwischen.

      Ein solcher Staat konnte zumindest für seine Elite nur auf Basis der Ausbeutung anderer funktionieren. Im Falle Athens und Spartas waren das Sklaven. Menschlichkeit wurde den Unterdrückten nur zum Teil zugestanden: Man nannte sie je nachdem „männlicher“ oder „weiblicher Körper“ – oder schlicht „Menschenfüße“. Arbeit und Wirtschaft blieben großteils auf den Landbesitzer, den Sklaven und den Nichtbürger, den Metöken, beschränkt.

      Diese überall mitschwingende Verachtung jeder Erwerbstätigkeit mag mit ein Grund sein, weshalb nur wenige der griechischen Philosophen wirtschaftliche Überlegungen hinterlassen haben. Man braucht schon einen Gelehrten, der sich über wirklich alles Gedanken macht, um Ausführliches zum Thema zu finden. Einen solchen universellen Geist finden wir in Aristoteles.

      Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) stammt aus Stagira, zwischen Thrakien und Makedonien gelegen. Sein Vater war der Hofarzt des Königs Nikomachos von Makedonien. Im Alter von 18 Jahren tritt Aristoteles in die Akademie Platons ein und bleibt dort zwanzig Jahre. Das ist insoferne erstaunlich, als die beiden Charaktere und ihr Denken nicht unähnlicher hätten sein können.

      Aristoteles stülpt der Welt kein Ideal über. Er studiert sie zunächst im Kleinen, beobachtet akribisch den Kreislauf von Werden und Vergehen, die Mechanik der Kräfte, und erst aus diesen tausenden Observationen leitet er das Wirken eines Prinzips ab: das des „ersten Bewegers“. Die Ordnung der Natur winde sich gleichsam eine Treppe der Entwicklung hinauf, von den Pflanzen, die noch in der Erde wurzeln, über die Tiere, die der festen Verbindung zum Boden nicht mehr bedürfen, hin zum Menschen und danach zu Geist und Seele. Es ist eine Ordnung in Richtung Vollkommenheit, die ein jeder – bewusst oder unbewusst – beschreitet.

      Ganz ähnlich sind auch seine Betrachtungen zur Politik aufgebaut. Unten, am Fundament der menschlichen Gesellschaft steht nicht irgendein hehres Ziel, ein Ideal, dem alle folgen, sondern schlicht der Eigennutz: Die Bedürfnisse verbinden die Menschen miteinander, wäre dies nicht der Fall, „so würde überhaupt kein Verkehr unter den Menschen statthaben. So aber sind sie aufeinander angewiesen“.22

      Seine ökonomischen Überlegungen beginnt Aristoteles bei der kleinsten Wirtschaftseinheit: dem Oikos – dem Haus und seinen Gesetzmäßigkeiten und Bedürfnissen. Er beschreibt die Arbeitsteilung zwischen Hausherrn, Familienmitgliedern, Sklaven und Haustieren. Es bedarf noch keines Tausches von Gütern. Der Oikos genügt sich selbst. In seiner Urform ist der Haushalt auf den Erwerb von Nahrungsmitteln ausgerichtet. Viehzucht, Jagd und Ackerbau sind nach Aristoteles die klassischen Instrumente der Nahrungsgewinnung – aber auch die Räuberei.

      Die nächsthöhere ökonomische Stufe ist der Tausch von Waren. Der Tausch dient dem Erwerb von Wertgegenständen. Die Bedürfnisse führen die Menschen dazu zusammen. Der Wert der getauschten Gegenstände ist nicht absolut, sondern wird vom Menschen subjektiv verliehen. Aristoteles nennt dabei zunächst den Nutzen, der dem Gegenstand beigegeben wird, und schließlich auch die Arbeit: „Gut ist, wofür viel gearbeitet und aufgewendet wird; denn schon deswegen erscheint etwas gut und wird als ein Ziel betrachtet.“23

      Er hat damit einen Mechanismus erkannt, den man später als „Mehrwert“ bezeichnet hat: die Veredelung, welche ein Gegenstand durch Arbeit erfährt. Aber Aristoteles geht weit darüber hinaus: Er erfasst den Mechanismus von Angebot und Nachfrage und eine primitive Form des Gleichgewichtspreises, mit dem er später die Ideen von Thomas von Aquin bis Adam Smith beeinflussen sollte. Kurz fasst er es so: „Es ist der Bedarf, der alles zusammenhält“, und „alles muss geschätzt werden“. Der Schuhmacher, der für Schuhe Getreide eintauschen will, vergleicht vor dem Tausch den Wert seiner Ware mit dem Angebotenen, und nur wenn er eine Gleichheit feststellt, kommt es zum Tausch, vorausgesetzt, dass auch die Gegenseite so urteilt. Aristoteles nennt dies „Angemessenheit“, bei der sich „das Ganze zum Ganzen wie das Glied zum Glied verhält“.24

      Auf dieser Basis errichtet Aristoteles nun sein System der Verteilung der Güter und des Reichtums. Zunächst warnt er davor, dass der Tausch um des Tausches willen als „künstliche“ Form des Erwerbs „kein Ende und keine Schranken mehr kennt“.25 Das gilt vor allem für das Medium, das den Handel um des Handels willen erst ermöglicht: Geld. Für Aristoteles ist es zunächst ein Wertmaß, eine gesellschaftliche Übereinkunft. Zum Zwecke des Tausches verwendet, ist Geld durchaus von Nutzen. Es besticht vor allem in seiner Eigenschaft, den Wert nicht nur zu symbolisieren, sondern auch zu halten. Der Geldwert konserviert also den Gegenwert eines Tauschgeschäfts und kann zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt die Tauschkette fortsetzen.26 Er ermöglicht demnach „den Vergleich zwischen gegenwärtigen und künftigen Leistungen“.27

      Dagegen hätte Aristoteles nichts einzuwenden, gäbe es da nicht den Zins. – Wir erinnern uns an die Schuldsteinpyramiden auf den Feldern

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