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Sobald jemand an ihn herantritt und fragt, was er denn da treibe mit seinem Licht, antwortet er: „Ich suche Menschen.“2 Alles Tiere also? Diogenes übertreibt und karikiert, doch der wirtschaftliche Zustand dieser ersten Demokratie ist tatsächlich alles andere als erhaben. Extreme Güterknappheit prägt die Ökonomie. Wer gut bürgerlich wohnt, tut das in primitiven, fensterlosen Häusern, gebaut aus Holzrahmen und Lehmziegeln, mit einem von Säulen umrahmten Vorhof. Im Haus ist auch das Vieh – zumeist Rinder und Schweine – untergebracht. Die öffentlichen Bäder der Zeit gleichen eher Kaltwasser-Kneippanstalten als Warmwasser-Thermen und scheinen in einem teilweise erbärmlichen sanitären Zustand zu sein. „Wo säubern die sich, die sich hier säubern?“, fragt Diogenes.3

      So karg die Häuser und Wascheinrichtungen sind, so dürftig ist es auch um die lebensnotwendigen Güter bestellt. Mangel ist ein ungebetener Dauergast in den städtischen Kornkammern. Per Gesetz ist deshalb für alle Athener die Ausfuhr von Getreide verboten, und ein ganzer Beamtenapparat überwacht Qualität, Menge und Preis des Mehls. Jedes Handelsschiff, das Piräus mit den üblichen athenischen Exportgütern (Textilien, Eisenwaren, Waffen, Handwerkszeug, Kunstgegenstände) verlässt, ist angehalten, mit Korn beladen wiederzukehren. Der Mangel macht das tägliche Brot auch extrem anfällig für Inflation und Spekulation: Jedes Gerücht von einem ausgefallenen oder verunglückten Transport lässt die Brotpreise oft um bis zu 30 Prozent pro Tag ansteigen.

      An einer Vielzahl historischer Quellen lässt sich ablesen, wie sparsam die Athener leben mussten. Eine einzige Mahlzeit pro Tag dürfte die Regel gewesen sein. Bezeichnend deshalb auch die bescheidenen Wunschvorstellungen der Bürger: In dem von den Dichtern der Zeit entworfenen „Schlaraffenland“ altgriechischer Prägung fliegen keine luxuriösen Bratgänse durch die Luft. Der Komödiendichter Pherekrates kann seine Landsleute noch mit der Vorstellung eines „nie verebbenden Stromes von Brühe und Speckbrei“ begeistern, den er durch die Straßen wallen lässt.4

      Wo die Bedürfnisse oft schon am Lebensnotwendigen scheitern, dort wird umso auffälliger, wer sich viel mehr als das Notwendigste leisten kann. Athen ist nicht nur voll von Bettlern, auch „Hunde“ genannt, sondern auch Wirkungsstätte zwar weniger, dafür umso reicherer Menschen. Die Konzentration von Grund und Vermögen in der Hand weniger führt immer wieder zu Revolten. Schuldknechtschaft und Kredite, mit Zinsen jenseits der zwölf Prozent, scheinen schon seit dem Beginn des hellenischen Geldwesens5 eines der drückendsten gesellschaftlichen Probleme gewesen zu sein. Der Schweizer Historiker Jacob Christoph Burckhardt (1818– 1897) berichtet von den „Pyramiden aus Schuldsteinen“, die sich auf den Feldern erhoben, zum Zeichen der Hypotheken, welche auf den Grundstücken lasteten. Wer kein Land mehr zu beleihen hat, verpfändet den eigenen Körper, was zu einem tausendfachen Aderlass führt, da Schuldknechte wie Tiere gehandelt und als Zwangsarbeiter ins Ausland verkauft werden.

      Schon der erste Verfechter wirtschaftlicher Rechtschaffenheit und Arbeit, Hesiod, beklagt in seinem Lehrstück Werke und Tage um 700 v. Chr. die Verworfenheit des Menschengeschlechts und sieht für die Zukunft tiefschwarz, nachdem Pandora, so Hesiod, von Zeus gesandt, ihre Büchse geöffnet und alle Übel über die Menschheit ausgegossen hat: „Das Recht liegt in den Fäusten. Der Schurke schädigt den Ehrenmann mit krummen Worten und schwört Meineid, Neid wird alle Menschen begleiten, lärmend, hämisch, Hass im Blick. Da nun verlassen Anstand und Ehrgefühl die Menschheit und gehen beide von der Erde zum Olymp. Übrig bleiben den sterblichen Menschen nur bittere Schmerzen und nirgends ist Abwehr des Unheils […] Davor nehmt euch in Acht ihr Könige und Gabenfresser!“6

      Immerhin könne sich die Menschheit aus eigener Kraft vor dem moralischen Niedergang retten: durch Arbeit, Rechtschaffenheit und Fleiß. „Vor das Gedeihen haben die Götter den Schweiß gesetzt“, warnt der Dichter, „dem aber zürnen die Götter, der faul dahinlebt, nach Art der stachellosen Drohnen, die faule Prasser sind und den mühsam geernteten Honig verfressen.“7

      Diese gut gemeinten Ratschläge scheinen kaum Auswirkungen auf das reale Leben gehabt zu haben. Etwa einhundert Jahre nach Hesiod deklamiert der Dichter Theognis von Megara: „Der Pöbel verführt das Volk, gewährt das Recht den Ungerechten, sei’s um den eigenen Gewinn, sei’s um den Genuss der Gewalt.“8 Selbst der Kriegerstaat Sparta scheint seiner sprichwörtlichen Zucht abhold und dem Mammon verfallen zu sein. Tyrtaios, ein spartanischer Staatspoet, klagt bitter: „Geldgier ist’s, die Sparta zerstört, nichts anderes weiter.“

       Verfassung gegen Ungerechtigkeit

      Aus der gesellschaftlichen Schieflage scheint zumindest in Athen die Erkenntnis zu wachsen, dass es einer grundlegenden Änderung bedürfe: Im Jahr 594 v. Chr. entsteht die erste Verfassung mit dem Ziel der „Eunomia“, der Wohlgesetzlichkeit. Ihr Verfasser ist Poet und nüchterner Staatslenker in einer Person. Die Athener nennen ihn auch den „Versöhner“: Solon9, der Sohn des Exeketides aus Salamis. Seine Rechtsvorlesungen sind Lehrgedichte, so wie das folgende über die triste soziale Lage:

       Die Bürger selbst in Unverständnis zerstören

       Unsere herrliche Stadt, schnorriger Habsucht voll.

       Ungerecht ist der Sinn der Bürger und ihrer Führer

       Die, in Sünden verstrickt, leichtsinnig Drangsal erleiden.

      Und Solon zur notwendigen Reform:

       Solches gebeut mir der Geist, dem athenischen Volke

       zu lehren,

       wie viel Leiden dem Staat schlimme Verfassung aufzwingt.

       Eunomia jedoch bringt gefügte Ordnung zum Lichte,

       Fesseln legt sie auf, denen, die Unrecht bejah’n,

       ebnet, was rau, und bannt in Schranken

       schändlichen Hochmut.

       Unheilsblüten jedoch machet sie sprossend schon welk,

       hämmert gerad das verbogene Recht und beseitigt

       den Ingrimm,

       der aus innerm Zwist unter Bürgern entstand,

       so entsprießt ihr dann verständige Eintracht der Menschen.

      Man möchte nicht glauben, wie groß die praktischen Auswirkungen sind, die diese blumigen Worte haben: Solon kassiert alle Schuldforderungen und befreit die Schuldner von der Knechtschaft. Alle Zwangsarbeiter, die ins Ausland verkauft worden waren, werden auf Staatskosten zurückverhandelt.10

      Ferner verbietet er den Kredit mit Leibesbesicherung und führt eine Höchstgrenze für Grundbesitz ein, dazu noch das Erbrecht auf Basis des freien Testaments. Geschworenengerichte sprechen nun Recht, die Bürgerversammlung wird geschaffen, das spätere Zentralorgan der Demokratie.

      Bei allem Fortschritt ist Solon skeptisch, was die gesetzliche Verordnung des Guten bewirken mag. Denn wirklich zwingend sei die Ordnung nur für die Armen. Reiche und Mächtige könnten das Recht leicht in ihrem Sinne verdrehen. „Gesetze sind gleich Spinnweben. Sie halten etwas Leichtes und Schwaches fest, während etwas Größeres sie durchschlägt und davonkommt.“ Gegen dieses Größere arbeitet er über zwanzig Jahre lang mit aller Kraft und muss schließlich nach Kilikien emigrieren, als der Tyrann Peisistratos in Athen die Macht ergreift.

      So durchdacht Solons Reformen im Bereich der Justiz auch erscheinen, sie berühren jenen Teil der gesellschaftlichen Ordnung kaum, der den eigentlichen Grund für die Missstände bildet: die Erwerbstätigkeit und den Handel mit Gütern.

      Hesiods Bild von Arbeit, Schweiß und göttlichem Lohn war weder bei den Staatslenkern noch bei Privatpersonen gefragt. Als „Banausen“ verspotten die Griechen jene Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Sie lassen vielmehr Sklaven arbeiten.

      Die Staatseinnahmen werden

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