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festgesetzten Betrag. Die wiederum vergeben Lizenzen teurer an Subunternehmer, welche nichts Besseres zu tun haben, als den Wegzoll kräftig in die Höhe zu schrauben, um selbst auch noch zu verdienen. So kam es, dass der Zöllner bald so beliebt war wie ein Straßenräuber – vermöge ähnlicher Tätigkeit – und diesen Ruf bis ins Spätmittelalter behalten hat.

      Die von Perikles (500 – 429 v. Chr.) eingeführte Bezahlung von Theatergeld und Sold für die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen festigt zwar die Beständigkeit der Demokratie, plündert aber die Staatskassen. Aus dem chronischen Geldmangel entstehen fragwürdige Formen der Haushaltsfinanzierung: Reichen Bürgern wird unter dem Vorwurf des „Müßiggangs“ das Vermögen entzogen – und zwar per Volksentscheid durch das berüchtigte Scherbengericht (Ostrakismos). So öffnet die Gerichtsbarkeit in Händen einer von Demagogen geleiteten Plebs dem als Volksjustiz getarnten Faustrecht Tür und Tor. Aristophanes nennt das Volk einen „Wespenschwarm“, eine „Menge von ungezügelter Gier“. In der Endausbaustufe dieses korrupten Systems im 5. Jahrhundert halten sich Reiche zum eigenen Schutz bezahlte „Gegendenunzianten“, die im Fall des Falles den gierigen Angreifer selbst zum Objekt des Volkszorns machen sollen.

      Dabei suchen einige Athener sehr wohl nach Finanzierungsalternativen für die öffentlichen Aufgaben. Der Politiker und Feldherr Xenophon11 erfindet staatliche Anteilscheine – und damit die schuldenfinanzierte Budgetpolitik: Mit den Erlösen einer Investitionsanleihe, so Xenophon, könne die Infrastruktur Athens ausgebaut werden. Weiters könnten 6.000 Staatssklaven gekauft werden, die man danach vermieten könne. Der Erlös aus diesem Sklavenleasing würde nach Xenophons Berechnung ausreichen, um jedem Vollbürger das Existenzminimum zu sichern.

       Die Arithmetik der Gerechtigkeit

      Nicht viele Athener können sich mit solchen praktischen, kapitalorientierten Vorschlägen anfreunden. Die Philosophen suchen vielmehr nach dem ewig gültigen Maß, dem Prinzip einer göttlichen Ordnung auf Erden. Sie wollen den „großen politischen Wurf“ – und landen deshalb nicht bei Xenophons regionalen Initiativen, sondern beim universalen Weltprojekt des Philosophen Pythagoras12 (um 570 – nach 510 v. Chr.). Der ist ein sagenumwobener Mann. Die Legende will es, dass er mit Bären und Adlern sprechen konnte und die himmlischen Sphären habe klingen hören. Historisch verbürgt ist nur sein Wirken in Kroton in Süditalien. Dort lebten er und seine Jünger nach strengen Regeln eines Ordens, der auch die Geschicke des zugehörigen Stadtstaates bestimmte. Die etwa dreihundert Erwählten unterzogen sich täglichen Exerzitien, übten sich in Ehelosigkeit, strenger Diät und mehrjährigem Schweigen als Initiationsritus.

      Seine Philosophie entwirft Pythagoras aus der Ansicht, dass die Welt einem ewigen Widerstreit der Dinge unterworfen sei. Nur die Mathematik sei von diesem Wechselspiel von Sünde und Vergeltung ausgenommen. Die Zahl ist demnach die Konstante des Universums. Daraus konstruierten die Pythagoräer eine „optimale“ Gesellschaftsordnung, die sich an der mathematischen Ordnung orientiert. Die Zahl 10 ist demnach der höchste Punkt einer Entwicklung, sie symbolisiert den perfekten Staat. Die Zahlen 9 und 4 als Quadratzahlen der niedrigsten potenzierbaren Zahlen 3 und 2 galten als der Gerechtigkeit am nächsten. Aus der Funktion der Zahl 3 und ihrem Ziel, der Gerechtigkeit, ermittelten sie nun die drei wichtigsten Staatsfunktionen: Gesetzgebung, Exekutive und Judikatur. Die Herrschaft über das System hat nach Pythagoras immer ein König inne. Demokratie verachtet er.

      So stehen einander schließlich mathematische Mystik und Demokratie gegenüber, wobei Letztere die eindeutig schlechtere Position innehat. Einer ihrer wenigen Verteidiger war Demokrit von Abdera13. In seinen Fragmenten zur Ethik finden wir die ersten Anklänge des kategorischen Imperativs. Die Gemeinschaft beruht nach seinem Dafürhalten auf der Erfahrung des Nutzens, Gesetze in Überfülle seien ebenso schädlich wie das Fehlen von Gesetzen: „Die Gesetze würden nichts dagegen haben, dass ein jeder nach seinem Belieben lebte, wenn nicht der eine den anderen schädigte.“ Dem entsprechend ist das Austarieren von Eigennutz und Gemeinnutz die eigentliche Staatsfunktion: „Die Pflichten der Polis soll man unter allen für die größten halten, auf dass diese gut verwaltet werde, denn eine wohlverwaltete Polis ist die größte Stütze. Ist sie gesund, so bleibt alles gesund, geht sie zugrunde, geht alles zugrunde.“

      Die Ideen von Pythagoras und Demokrit werden prägend sein für die beiden Basismodelle von einer gerechten Gesellschaft und der Verteilung der Güter, zu denen wir nun kommen. Entlang diesen beiden Extremen – dem Maß und Zahl gewordenen Idealbild eines Staates einerseits und dem Primat des nutzenorientierten praktischen Verstandes andererseits – entwerfen die Hauptvertreter der griechischen Philosophie, Platon und Aristoteles, ihre Theorien. Der Idealist steht erstmals gegen den Realisten.

       Platons Wächterstaat

      Reich an Gütern starb im Jahre 348 v. Chr. der Philosoph Aristokles, aufgrund seiner Physiognomie auch „der Breitstirnige“ – Platon – genannt. Dieser Spross eines athenischen Aristokratengeschlechts steht an der Wiege des philosophischen Idealismus. Er war es, der in seinen maßgeblich von Pythagoras beeinflussten Werken Der Staat und Die Gesetze die Utopie eines Gemeinwesens und einer Ökonomie entwarf, die als erste philosophische Spielart des Kommunismus in die Geschichte einging.

      Die attische Demokratie hielt Platon für minderwertig, was nicht heißen will, dass er einen Hang zur Diktatur gehabt hätte. Die bereits geschilderte Herrschaft des korrumpierten Pöbels dürfte einen großen Anteil daran gehabt haben, dass Platon sich nach anderen Staatsmodellen umsah. Unter den Zelebritäten eben jener Volksherrschaft in Athen war er jedenfalls nicht sehr beliebt. Aristipp, Molon und Xenophon schmähten den Mann in ihren Werken aufs Äußerste. Und auch unser Begleiter Diogenes macht sich einen Schalk daraus, Platons Vorlesungen zu stören. Als sich dieser bei seinen Studenten Applaus verschafft mit der Bemerkung, der Mensch sei ein federloses Wesen auf zwei Beinen, stürmt Diogenes Platons nächste Vorlesung mit einem gerupften Hahn und schreit: „Seht her, Platons Mensch!“14

      Platon unterscheidet sich von seinen philosophischen Vorgängern zunächst dadurch, dass er ein begnadeter Schriftsteller ist. „Was er schrieb, war lieblich, wie der Zikaden Gezirp vom Hain des Hekademos“, schreibt sein Schüler Timon. Die Themen Religion, Moral, Logik, Philosophie, Staat und Recht behandelt Platon in Form von Dialogen, deren Hauptheld Platons Lehrmeister Sokrates ist.

      Ob diese Gespräche Sokrates authentisch wiedergeben, darf bezweifelt werden. Der Meister selbst soll einmal gesagt haben: „Beim Herakles, wie viel hat der Junge bloß über mich zusammengelogen.“15 Doch das schmälert die platonische Kunst und den sokratischen Ruhm keineswegs. Denn wie kein anderer vermag Platon, dieses Gemisch aus Wahrheit und Erfundenem zu einem Gedankengebäude zu fügen, bis es solide wie aus Stein gemeißelt vor uns steht. Platon wird so Sokrates – und Sokrates Platon –, eine seit zwei Jahrtausenden erfolgreiche Legierung.

      Der Philosoph landet in seinem beständigen Suchen immer wieder bei der Frage nach dem Sein an sich – und bei der pythagoräischen Transzendenz der Dinge. Wenn beispielsweise ein Mensch ein in den Sand gezeichnetes Quadrat betrachtet, sieht er eine geometrische Figur, deren Geraden in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Die Zeichnung selbst kann vom Wind leicht verweht werden. Das Quadrat als mathematisches Verhältnis aber ist unveränderlich und ewig. Die Realität kann demnach immer nur ein vergängliches Abbild einer Idee sein. Platons Schlussfolgerung: Wenn es eine reale Polis gibt, dann gibt es auch ein ewig gültiges Urbild dazu, das Ideal des perfekten, gerechten Staates.

      Was aber zeichnet diesen besten aller Stadtstaaten aus? Ein Staat, meint Platon, ist ein Zusammenschluss von Menschen zu ihrem eigenen Vorteil. Ein jeder habe in diesem Gemeinwesen seine bestimmte Funktion. Der Baumeister kümmert sich um die Errichtung der Häuser, der Schuster um die Schuhe, der Bauer um die Produktion der Nahrungsmittel und so fort. Die Spezialisierung führt zu besserer Qualität und zu höherem Ertrag.

      Weil nun ein jeder ein wertvoller Teil des Systems sei, gebiete es die Gerechtigkeit, dass niemand sich auf Kosten des anderen bereichere. Die Folgen: Keiner der Bürger darf mehr als das Vierfache eines anderen besitzen, Zinsnahme ist streng verboten: „Reichtum verdirbt die Seele des Menschen durch Genusssucht, die

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