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durchdringen, reines Blut muss in jedem Organ und Gewebe zirkulieren und eine vollkommene Nervensubstanz mit einer unbezähmbaren organischen Kraft muss jedes Gewebe beleben und durch jeden Bereich des Körpers verlaufen. So sieht die Osteopathie die Funktionen im menschlichen Körper.

      Sie geht davon aus, dass die Verschreibung anorganischer Medikamente das physiologische System schädigt. In dieser Ansicht wird sie von den meisten bedeutenden Ärzten unterstützt, die eine Therapie ohne Medikamente praktizieren. Der berühmte Hilton, der weltweites Ansehen genießt und Rest and Pain geschrieben hat, verteidigte einst die inzwischen überall gefeierte Ruhekur. Weiter findet sich u. a. Dr. Keith, der in seinen Plea for a Simpler Life und Pads of an old Physician dasselbe Prinzip entschieden verteidigt und in einigen seiner Überlegungen die osteopathische Behandlung bereits antizipiert, insbesondere bei Angina pectoris. Die gefeierte manuelle Behandlung von Ling besitzt viele Aspekte, welche die osteopathische Therapie andeuten. Dr. William Osler lehnt in seinem glänzenden Werk über die Practice of Medicine den Gebrauch von Medikamenten als vergebliche und unzureichende Therapie rundweg ab. Den Höhepunkt erreicht er, indem er beim Erörtern von Krankheitsursachen „[…] die Einnahme von Medikamenten, jene schädlichste aller Gewohnheiten“ als eine der nahezu beständigen Ursachen von Krankheit bezeichnet.

      Dr. Lauder Brunton vom St.-Bartholomäus-Krankenhaus in London macht in Bezug auf Kopfschmerzen diese im Prinzip osteopathische Feststellung:

      „[…] Bei Migräne erfolgt eine Dilatation der proximalen Teile der Arteria carotida zusammen mit einer Kontraktion des peripheren Teils, und sobald ich die Belastung von den Gefäßen wegnehme, indem ich die Arteria carotida drücke, wird der Schmerz sofort erleichtert.“

      Die Osteopathie nimmt die von solchen über den Bereich der Medizin verstreuten Männern verkündeten Prinzipien auf und fügt deren logischen Schlussfolgerungen jene Prinzipien hinzu, die ihrer Arbeit zugrunde liegen, nämlich: dass mechanische therapeutische Maßnahmen, sofern sie systematisch und physiologisch angewendet werden, die Grundlage der Vorsorge gegen und der Behandlung von Krankheiten bilden können. Die medizinische Wissenschaft schreitet nun von der Kindheit ins Mannesalter. Sie sammelt die fruchtbaren Verallgemeinerungen der vergangenen Geschichte, um sie jener induktiven Untersuchung zu unterziehen, die für ihre Überprüfung nötig ist. Wir versuchen in der Osteopathie, eine Kunst auf eine Wissenschaft zurückzuführen. Darin drückt sich der moderne Geist der wissenschaftlichen Forschung aus, und wir hoffen, dadurch aus den toten Dogmatismen der Vergangenheit als neue Wissenschaft aufzuerstehen – nicht nur in Bezug auf die klinische Arbeit im Krankenhaus, sondern auch auf die wissenschaftliche Arbeit im Labor.

      Damit markieren wir den Anfang einer Entwicklung, von der wir glauben, dass sie den Bereich der Medizin mit Sicherheit revolutionieren wird. Die Osteopathie umfasst mit der Therapie sämtlicher körperlicher und mentaler Erkrankungen ein sehr weites Gebiet. Sie belegte ihren therapeutischen Wert erstmals bei angeblich unheilbaren Zuständen und hat sich bis heute in alle Bereiche der Medizin verzweigt. Formuliert wurde sie erstmals 1874 von Dr. A. T. Still. Dessen eigene Darstellung zeigt uns den ursprünglichen Blickwinkel, von dem aus er sie betrachtete. Er behauptete

       „[…] dass ein natürlicher Blutfluss Gesundheit repräsentiert; dass Krankheit in der Wirkung lokaler oder allgemeiner Störung des Blutes besteht; dass die Erregung der Nerven die Muskeln dazu bringt, zu kontrahieren und den venösen Blutfluss zum Herzen zu pressen; und dass die Knochen als Hebel benutzt werden könnten, um den Druck auf Nerven, Venen und Arterien zu erleichtern.“ 58

      Das menschliche System betrachtete er als vom Schöpfer perfekt konstruierte Maschine, die, im Zustand angemessener Anpassung gehalten, lange Zeit zu überleben fähig ist. Er stellte weiterhin fest, dass Manipulationen im Blick auf die skelettale Struktur nahezu beliebig durchführbar seien, woraus sich ergebe, dass man alle Organe dazu anregen könne, ihre normalen Funktionen wieder auszuführen. Aus diesem Anfang hat sich inzwischen ein System manipulativer Therapie entwickelt, die darauf abzielt, alle anomalen strukturellen und funktionellen Störungen des Systems anzupassen.

      Obgleich die Osteopathie Medikamente ablehnt, behauptet sie dennoch, Erbin aller wissenschaftlichen Leistungen der vergangenen Medizin zu sein. Ihre Prinzipien lagen begraben unter der massiven Literatur aller anderen Heilungssysteme und wurden dennoch gelegentlich beim Kampf gegen Krankheiten eingesetzt. Doch die grundlegenden Prinzipien wurden bisher hinsichtlich ihrer Anwendung im prophylaktischen und heilenden Sinn noch nie vollständig systematisiert. Obgleich die Osteopathie hauptsächlich wissenschaftliche Manipulationen verwendet, beschränkt sie sich nicht ausschließlich auf die Wissenschaft und Kunst der Manipulation. Sie schließt vielmehr auch all jene therapeutischen Prinzipien ein, die von der Natur überprüft worden sind. Oft sind eine kräftige Konstitution und die natürliche Stärke eines Körpers fähig, Veränderungen selbst zu richten. Doch nicht selten ist die Natur zu schwach, um den Normalzustand wiederherzustellen. Hier setzt die Osteopathie an und unterstützt die Natur, indem sie den Körper derart manipuliert, dass dieser sich wieder selbst anpassen kann.

      Die Osteopathie verkennt nicht die Tatsache, dass es viele indirekte, unter der Überschrift Prädisponierende Ursachen zusammenfassbare Ursachen gibt, die sich von den direkten Ursachen für Krankheit oder erkrankte Zustände unterscheiden. Vererbung, Umwelt, insbesondere aus gesundheitlicher und hygienischer Sicht, unterschiedlichste Bazillen, infizierte Keime müssen hierbei ebenfalls berücksichtigt werden, da sie alle Funktionsstörungen hervorrufen und sowohl lokal wie auch systemisch eine Störung der Körpergewebe verursachen können. Die Osteopathie behauptet, dass sich hinter diesen Faktoren oft eine tatsächliche Krankheitsursache verbirgt und dass deren Auswirkungen schlicht als Mittel oder Medium für Störungen und Unordnung der Gewebefunktionen dienen.

      Liegen entsprechende Befunde vor, stellt sich natürlich die Frage: Wie kann die Störung beseitigt werden? Wo immer eine strukturelle Veränderung, eine gestörte Funktion oder eine Unordnung des Gewebes besteht, erscheint es nur logisch, die Anpassung der ursächlichen Läsion vorzuschlagen. Stellt der Chirurg ein ausgekugeltes Gelenk oder einen gebrochenen Knochen fest, wendet er seine mechanische Kunstfertigkeit an, um das Gelenk und den Knochen zu richten. Ist eine Rippe disloziert, ein Wirbel aus seiner normalen Position geraten oder ein Muskel verspannt – was eine Behinderung des Blut- und Lymphkreislaufs sowie der Aktivität der Nervenkraft mit einschließt: Was spricht dann dagegen, die chirurgische Wissenschaft mechanisch zur Anwendung zu bringen, um diese anomalen Zustände zu richten? Darin liegt das Geheimnis der Osteopathie – sie ist ein medizinisch-chirurgisches, kein medizinisches und chirurgisches System. Dass die besagten strukturellen Störungen die inneren Organe des Körpers beeinflussen, kann kaum bezweifelt werden. Das erste grundlegende Prinzip der osteopathischen Therapie besteht folglich darin, eine zuvor diagnostizierte derartige strukturelle Läsion zu entfernen bzw. die Dislozierung anzupassen, ob es sich nun um einen Knochen, Knorpel, ein Ligament oder einen Muskel handelt. Im Anschluss daran besteht das zweite Prinzip darin, den Allgemeinzustand des Patienten durch allgemeine Manipulation der Körpergewebe, die eine freie Zirkulation ermöglichen, zu verbessern und auch eine Begleitung im Hinblick auf Hygiene und Ernährung zu gewährleisten.

      Nach Entfernen der Störung kann das Blut wieder frei fließen und die Nervenkraft in freien Bahnen wirken. Der Druck auf die Nervenfaser oder das Blutgefäß kann an jedem Punkt der skelettalen Struktur auftreten, und die Wirkung kann entweder direkt oder reflektorisch erfolgen. Im ersten Fall sind die Wirkungen nahe am Punkt der Behinderung zu erwarten, im zweiten Fall werden sie wahrscheinlich an einem entfernten Teil des Körpers oder in entfernten affizierten Reflexorganen festgestellt. Hieraus erklärt sich, warum in der Osteopathie die Wirbelsäule und die Rippen die wichtigsten Teile des Skeletts darstellen. Läsionen in diesen Bereichen beeinflussen ernsthaft die organischen Zentren im Rückenmark, die Medulla oblongata und das Gehirn als Grundlage des Lebens. Und sie bewirken eine Störung der trophischen Aktivitäten, die von der Wirbelsäule zu den vegetativen Ganglien und Nerven verlaufen und als Versorgungszentren für die funktionelle Aktivität in Thorax und Abdomen dienen. Die Osteopathie zielt darauf ab, Dislozierungen von Rippe und Wirbel und die Gewebeverspannung oder -dislozierung so anzupassen, dass die Natur ihre normale Aktivität wieder aufnehmen kann. Dies ist nur möglich, sobald die Gewebe und Knochen sich in ihrer normalen Position befinden und ihre normale Funktion

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