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im Körper arbeiten, die also eine enge Verwandtschaft mit dem Leben pflegen und keine feindschaftlichen Eigenschaften körperfremder Substanzen besitzen, können in modifizierter Form assimiliert werden.

      Die Osteopathie beruht auf der genauen Kenntnis anatomischer Strukturen und physiologischer Körperfunktionen. Die Natur hat im Körper bestimmte Lebenskräfte, vitalisierende Flüssigkeiten und vitalisierende Prozesse und Aktivitäten platziert, die im harmonischen Einklang miteinander das normale Gleichgewicht des Körpermechanismus aufrechterhalten; jede Störung dieser Kräfte, Flüssigkeiten oder Prozesse und jede Störung ihrer Aktivität, Zirkulation oder Distribution bewirkt einen Mangel an Harmonie und eine Störung der Ordnung des Körpers. Osteopathische Manipulationen zielen darauf ab, diese zu ihrem Normalzustand zurückzuführen, sodass der Körper sein normales funktionelles Gleichgewicht und die entsprechende Form wiedererlangen kann. Die Osteopathie behauptet also, dass das Leben durch Lebenskräfte, vitalisierende Flüssigkeiten und Prozesse revitalisiert und gestärkt werden kann. Die Krankheit wird entfernt oder zurückgedrängt, weil die anomale strukturelle Anordnung verschwindet, welche die Disharmonie im Körper erzeugt und die normale funktionelle Aktivität verhindert.

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      ABB. 10: NEUES SCHULGEBÄUDE DER A.S.O. (1897)

      Osteopathie boomt, und der Bedarf an neuen Unterrichtsräumen ist geradezu erdrückend. Daher muss bereits wenige Jahre nach Gründung der A.S.O. substanziell ausgebaut werden.

      DER UMFANG DER OSTEOPATHIE

      Der Name Osteopathie wurde der neuen Wissenschaft durch Dr. Still aufgrund der Tatsache verliehen, dass die Fehlstellung der Knochen auf seiner Entdeckungsreise zunächst den ersten Platz im Katalog der Ursachen oder Läsionen einnahm, welche Krankheitszustände hervorrufen. Wie jede andere Bezeichnung, die einer neuen Wissenschaft verliehen wird, umfasst sie inzwischen nicht mehr alles. Doch bezeichnet sie nach wie vor den Kern, von welchem aus die neue Wissenschaft startete. Die Osteopathie stellt eine Wissenschaft der Pathologie und eine neue therapeutische Wissenschaft dar, denn die Praxis der Medizin kann nicht auf Symptomatologie und die Verschreibung von Medikamenten beschränkt werden.

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      Entscheidend für die praktische Ausbildung jener Zeit war die Möglichkeit, in eigenen klinischen Räumlichkeiten zu praktizieren.

      6. DIE VORBEUGENDE UND HEILDENDE WIRKUNG DER WISSENSCHAFT DER OSTEOPATHIE

      Vortrag vor der Royal Society of Literature, London.57 Journal of Osteopathy (VI), 1900, S. 366–383.

      Zum ersten Mal in Europa und in dieser Weltmetropole möchte ich die Behauptungen dieser neuen Wissenschaft darstellen. Ich trete als deren Verteidiger auf, weil ich ihre Behauptungen überprüft und dabei festgestellt habe, dass sie auf wissenschaftlichen Prinzipien beruhen, die zum Gemeinbesitz der medizinischen Profession gehören. Es trifft sich ausgezeichnet, dass die erste Darlegung und Verteidigung der Osteopathie vor dieser ehrwürdigen wissenschaftlichen Vereinigung geschieht. Ihre verbrieften Rechte als Königliche Gesellschaft verschaffen Ihnen den Vorzug und die Ehre, jede wissenschaftliche Wahrheit mit dem Siegel der Echtheit zu versehen. Und Sie haben das Recht, sie unter den gewöhnlichen Leuten zu verbreiten. Mich ermutigen die Worte, mit denen sich Hamlet an Horatio wendet:

      „Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf der Erde als sich Ihre Philosophie träumen lässt.“

      Es ist wunderbar, das Privileg zu besitzen, in diesen letzten Jahren des 19. Jahrhunderts zu leben und an all den wissenschaftlichen Anstrengungen und Bewegungen teilzuhaben, die versprechen, die Zivilisation mit ihrem höchsten Ruhm zu krönen. Im Bereich der Medizin finden Veränderungen statt, die den vergangenen Generationen noch gänzlich unbekannt waren. Auch in anderen Sparten der Kultur- und Naturwissenschaft weicht die Künstlichkeit der Natürlichkeit. Es gab in der Wissenschaft allerlei Ballast, der nun abgeladen wird, und wir werden mehr und mehr zu den einfacheren und sichereren Methoden der Natur zurückgeführt. Von einem alten Gelehrten stammt diese begeisterte Lobpreisung der Heilkunst:

      „Bei nichts kommt der Mensch den Göttern näher als bei der Gesundmachung seiner sterblichen Mitmenschen.“

      Die Wissenschaft schreitet unentwegt fort. Jedes neue Jahrzehnt eröffnet im wissenschaftlichen Bereich Tiefen und Einsichten, wie man sie sich bis dahin noch gar nicht hatte vorstellen können. Keine Wissenschaft und keine Kunst ist jedoch derart vielen Veränderungen unterworfen wie die der Medizin – wobei wir hier den Begriff Medizin im weitesten Sinn verwenden. Nach der Definition von Dr. Malcom Morris, F.R.C.S., der über den medizinischen Fortschritt während der Regierungszeit der Königin schreibt, umfasst Medizin „[…] die gesamte Heilkunst und jene Gesetze, auf denen diese Praxis beruht.“ Die Wissenschaft der Medizin ist nicht auf Medikamente bzw. deren Verschreibung oder Gebrauch beschränkt. Tatsächlich bringt die Therapie der modernen medizinischen Colleges Medikamente rasch in Misskredit. Das Enzyklopädische Wörterbuch definiert Medizin als „Wissenschaft und Kunst, die in erster Linie auf die Verhütung von Krankheiten und in zweiter Linie auf deren Heilung zielt.“ Nur ein sehr kleiner Teil des Ausbildungsprogramms ist den Medikamenten gewidmet. Anatomie, Physiologie, Pathologie, Symptomatologie und Diagnose haben ihre Bewahrer, Förderer und Verteidiger in diesen Schulen gefunden. Und wenn wir die Pharmakologie beiseite lassen, sehen wir immer noch ein großes Feld der medizinischen Ausbildung vor uns liegen.

      Allmählich verstehen die Menschen, dass man Krankheiten durch wissenschaftlichere Methoden heilen kann als durch die Anwendung mysteriöser und unsicherer Medikamente. Nahezu instinktiv scheinen sich Menschen in allen Ländern in die gleiche Richtung einem System zuzuwenden, dessen Hauptprinzip es ist, den Körpermechanismus an sich selbst anzupassen und seine organischen Funktionen zu harmonisieren. Drückt ein verspannter Muskel auf einen sensiblen Nerv, entsteht Schmerz, drückt er auf einen motorischen Nerv, hat das den Verlust der Muskelfunktion oder Lähmung zur Folge. Die Dislozierung eines Knochens, Ligaments oder Muskels mit Behinderung eines Blutgefäßes erfordert die mechanische Kunstfertigkeit eines Maschinisten, um die Dislozierung zu beheben oder die Behinderung zu entfernen, sodass das System in Freiheit und normal arbeiten kann. Die Inaktivität von Nerven, eine Flüssigkeitsstauung oder die Ansammlung verseuchter und keimhaltiger Flüssigkeiten im System erfordern die mechanische Befreiung der verursachenden Teile. Und in dieser Befreiung liegt das Geheimnis der Wiederherstellung der Gesundheit und der Beseitigung von Leiden und Krankheit. Wissenschaftliche Forscher in der gesamten Welt beginnen zu erkennen, dass wir bei der Therapie auf der Basis der Anpassungsfähigkeit Struktur und Funktionen des Körpers beachten müssen. Dr. Willock, M. R. C. S., der mehr Aufmerksamkeit für neue, die Brust betreffende Behandlungsformen fordert, ist der Ansicht, diese Methoden zur Behandlung derartiger Krankheiten

      „[…] haben die Medikamente aus ihrer Monopolstellung vertrieben. Sie zeigen, dass etwas anderes als pharmazeutische Produkte eine entscheidende Heilwirkung auf pathologische Zustände des Atmungs- und des Kreislaufsystems hat. Unter allen Organsystemen, von deren ununterbrochener funktioneller Aktivität das Fortbestehen des Lebens abhängt, sind es diese beiden, über die wir am meisten mechanische Kontrolle haben. Und wir können über mechanische Mittel eine beachtliche und bedeutende therapeutische Wirkung bei bestimmten Erkrankungen von Herz und Lungen erzielen.“

      Durch die Anwendung der mechanischen Behandlung wird, wie Dr. Willock hinzufügt,

      „[…] die Belastung des geschwächten Gewebes vermindert und seine Vitalität verlängert. Zusätzlich wird die Wirkung andauernder Bewegungen auf elastische und Muskelgewebe diese stärken – vorausgesetzt übertriebene Anstrengung wird vermieden.“

      Mechanische Bewegungen verschaffen uns demnach verstärkte funktionelle Aktivität und verstärkte Ernährung. Ergänzen wir dies noch durch die Tatsache, dass durch mechanische Mittel die Nervenstimulation physiologisch gefördert, Blut und Lymphe befreit und sämtliche Behinderungen aus dem Weg geschafft werden können – dann

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