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Hintergrund entschwinden. Offenbar ist Habermas überzeugt, dass diese revidierte Analyse der modernen politischen Ökonomie unabdingbar ist für das Bestreben in der Theorie des kommunikativen Handelns, eine modernisierte – und dennoch erkennbar marxistische – Sozialtheorie zu formulieren, die den gesellschaftlichen Bedingungen der heutigen Zeit entspricht.

      Schon als Habermas erstmals diese stark stilisierte Beschreibung der politischen Ökonomie des Nachkriegskapitalismus vorschlug, ließ sich diese nur auf einen kleinen Kreis einzelstaatlicher Situationen anwenden und vernachlässigte den Umfang gesellschaftlicher und klassenbasierter Spezifizität.24 Noch offensichtlicher wurde dies Mitte der 1980er, als sich der fordistische Kapitalismus sowie der Sozialstaat der Nachkriegszeit in Großbritannien, den USA und anderswo bereits in Auflösung befanden.25 Bis heute sieht sich der Sozialstaat in den meisten europäischen Staaten ebenso wie in den kapitalistischen Industriestaaten Asiens (z. B. Australien, Japan, und Neuseeland) und Nordamerikas massivem Druck ausgesetzt. Zudem erweist sich Habermas’ Interpretation als wenig hilfreich bei der Aufgabe, neu entstehende kapitalistisch-politische Ökonomien wie das demokratische Indien, das autoritäre China oder auch nur die postkommunistischen Marktwirtschaften Osteuropas zu erklären. Sicher bleibt Verwaltungsmacht eine Hauptquelle gesellschaftlicher Missstände. Dennoch erscheint die kontroverse Behauptung, dass konventionelle Formen wirtschaftlicher und Klassenungleichheit im Kapitalismus in den Verwaltungsapparat ›verschoben‹ seien, deutlich provinzieller als noch in den 1980ern. Zum Beispiel lohnt es sich in Anbetracht dessen, dass die »rechtliche Institutionalisierung des Tarifkonflikts« die unmittelbare Grundlage für die »sozialstaatliche Pazifizierung des Klassenkonflikts« (II, 510) darstellt, daran zu denken, dass selbst in hochkapitalistischen Staaten die Zahl der durch Gewerkschaftsverträge abgedeckten Werktätigen sinkt.26 Kein Wunder, dass wir selbst dort starke Belege für das alarmierende Ausmaß finden, in dem die ökonomischen Ungleichheiten des Kapitalismus unmittelbar das soziale Dasein bestimmen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Prozentsatz der Männer, deren potenzielles Einkommen durch den Verweis auf das ihrer Väter vorhergesagt werden konnte, ging zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1980er Jahren erheblich zurück. Im Jahre 2000 hatte sich dieser Anteil verglichen mit den 1950er Jahren verdoppelt und lag nun etwa auf dem Niveau der Ära vor dem New Deal. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Sohn eines Arbeiters ebenfalls nicht über ein Arbeitereinkommen hinauskommt, war in 1980er Jahren doppelt so groß geworden wie in den 1920ern. Die Situation hat sich gegenüber den 1950ern Jahren verschlechtert und gleicht der aus den 1910er und 1920er Jahren. 36 Prozent der amerikanischen Kinder, deren Eltern sich im untersten Fünftel der Vermögensverteilung wiederfinden, werden dort auch bleiben; und jene, die in höhere Einkommensschichten hineingeboren werden, werden ebenfalls mit größerer Wahrscheinlichkeit dort verbleiben als dies noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Wie auch andere kapitalistische Industriestaaten bleiben die USA mit Sicherheit eine Gesellschaft, in der die Kategorie der sozialen Klasse nicht nur verstörend zentral bleibt, sondern wo Klassenungleichheit in dramatischem Ausmaße zunimmt.27

      IV.

      Unsere Untersuchung der kritischen Beschreibung der Verrechtlichung in der Theorie des kommunikativen Handelns richtet unsere Aufmerksamkeit auf einen Grund für Habermas’ vollständige Hinwendung zu juristischen Themen in den späten 1980ern und frühen 1990ern, der leicht übersehen werden kann: Einer der entscheidenden Thesen der Theorie des kommunikativen Handelns zufolge nehmen zentrale Sozialpathologien in heutiger Zeit Formen der Gesetzgebung und der Verwaltung an, und Aufgabe kritischer Theorie müsse es daher sein, besonderes Augenmerk auf die Dilemmata heutigen Sozialrechts zu richten. Als Resultat dieser Bemühung erschien Faktizität und Geltung Anfang der 1990er Jahre als ein bedeutender – und tatsächlich äußerst beeindruckender – Beitrag zu Jurisprudenz und praktischer Philosophie. In Anbetracht der Imposanz dieses Werkes mag es pedantisch scheinen, auf bestimmte Spielarten hinzuweisen, in denen sich die von mir beschriebenen Schwächen auch in Faktizität und Geltung wiederfinden. Meinem Verständnis nach ist dieses Werk teilweise als Konsequenz eines wichtigen, aber verborgenen Stranges Habermas’schen Denkens zu verstehen, demzufolge sich traditionelllinke Kapitalismuskritik als Kritik moderner Gesetzgebung rekonfigurieren lasse. Selbst in der beeindruckenden Ausarbeitung in Faktizität und Geltung weist diese Umformulierung jedoch eine Reihe problematischer Schwachpunkte auf.

      Doch bevor wir uns diesen Schwachpunkten zuwenden, sei hier auf ein weit verbreitetes exegetisches Missverständnis eingegangen: Habermas’ frühere Kritik der Verrechtlichung verschwindet keineswegs durch seine sogenannte ›juristische Wende‹ in Faktizität und Geltung.28 Auch wenn der Begriff ›Verrechtlichung‹ nur wenige Male in Faktizität und Geltung auftaucht, so geistert ihr Phantom doch durch jedes einzelne Kapitel (FG, 472)29. Wie schon die Theorie des kommunikativen Handelns, so interpretiert auch Faktizität und Geltung modernes Recht als Scharnier oder Transformator, angesiedelt in der heiklen Position zwischen Lebenswelt und den Subsystemen Wirtschaft und Verwaltung. Auch hier beschreibt Habermas wiederholt die besorgniserregende Aussicht auf ein Verwaltungssystem, das sich auf problematischen juristischen Wegen ›selbst programmiert‹– und dadurch von der Lebenswelt (oder dem, was er nun manchmal als kommunikative Macht beschreibt) abkapsele. Die Möglichkeit einer juristisch vermittelten Kolonialisierung der Lebenswelt durch die Verwaltung bleibt weiterhin für seine Diagnose der Missstände unserer modernen Gesellschaft wesentlich. Trotz des Zugeständnisses (wie zuvor in der Theorie des kommunikativen Handelns), dass die Frage, ob die Lebenswelt vom Verwaltungssystem (und dem Medium Macht, nun teils als administrative Macht umschrieben) überwältigt wird, eine empirische bleibe, ist Habermas doch weiterhin um die Möglichkeit einer »tendenziell verselbständigte[n] administrative[n] Macht« besorgt (FG, 400; siehe auch 59 f., 105 f., 186 f., 398 u. 468-537). Ebenso wenig hat er seine Besorgnis bezüglich einer möglichen Verdinglichung in Folge der zunehmenden Hegemonie des Verwaltungssystems über die Lebenswelt vollständig aufgegeben (FG, 391).

      Wie schon in der Theorie des kommunikativen Handelns widmet Habermas auch in Faktizität und Geltung das Schlusskapitel den aktuellen Debatten um mögliche Rechtsreformen: Er ist immer noch, zumindest implizit, der Auffassung, dass sich Kapitalismuskritik als Kritik gesetzlicher Regelung umformulieren ließe – und das in größerem Umfang, als er je begründen konnte. Daraus folgt, dass soziale Reform, in überraschend hohem Maße, Rechtsreform mit sich bringen müsse. Die konstruktiven Reformvorschläge in Faktizität und Geltung betreffen daher die Möglichkeiten neuer ›Paradigmen des Rechts‹.

      Auf der einen Seite gelingt es Habermas, seine früheren Thesen zu aktualisieren; seine juristische Diagnose im letzten Kapitel von Faktizität und Geltung, »Paradigmen des Rechts«, übertrifft ihre Vorgängerversion. Der Kotau des Rechts vor dem Subsystem der Verwaltung bedrohe individuelle Autonomie und generiere gleichzeitig bürokratischen Paternalismus und Normierung. Problematischerweise »programmiert sich die Verwaltung selbst«, besonders dann, wenn ihre Handlungen nicht mehr eng an demokratisch hervorgebrachte Rechtsnormen gebunden sind (FG, 522). Besonders häufig sei diese Gefahr im modernen Sozialstaat anzutreffen, in dem kontraproduktive Formen administrativen und juristischen Handelns zu oft von kommunikationsbasierter Entscheidungsfindung abgekoppelt seien. Mit großer Sorgfalt identifiziert Habermas die Materialisierung des Rechts – und nicht in erster Linie die sogenannten ›gewalttätigen Abstraktionen‹ des klassischen Formalrechts – als einen entscheidenden Faktor in der Marginalisierung der Lebenswelt. So drohe beispielsweise die Ausuferung unklarer und ergebnisoffener Maßstäbe das Prinzip der Gewaltenteilung, deren Aufrechterhaltung für das Gipfeln freier Deliberation in rechtmäßigem staatlichem Handeln wesentlich sei, zu Kleinholz zu verarbeiten. Die administrative Kolonialisierung der Lebenswelt könne durch eine Vielzahl verschiedener Arten des Rechts erfolgen.

      Auf der anderen Seite wiederholen und verschärfen sich in Faktizität und Geltung die teilweise rätselhaften diagnostischen Wendungen, die mit der wachsenden Fokussierung des Autors auf juristische Fragen einhergingen. Obwohl Faktizität und Geltung auf der Theorie des kommunikativen Handelns aufbaut und sich offensichtlich der dort formulierten Umarbeitung der Systemtheorie bedient, erscheint das spätere Buch vom Frankfurter Marxismus noch weiter entfernt. Zwar hebt Habermas die zentrale Rolle weitgehender sozialer und ökonomischer Gleichheit für die Demokratie hervor und spricht von einer Öffentlichkeit, »die

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